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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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"Ich schloß sie ein, damit sie Dich diesen Abend nicht sehen konnte," antwortete
der Vater, während seine Hände in das Moos krallten. Neben Wilhelm lag die
Madonna und die Flinte. Ein Hahn knackte und der alte Mann, der auf den Knieen
lag, sank zusammen, Wilhelm warf sich mit dem Gesicht auf das Mädchen. --
Nach einem Augenblick stummen Entsetzens trat einer aus der andrängenden Menge
und beugte sich zu Wilhelm: "Hinweg über die Grenze, ich bringe Dir den Flci-
schcrfuchs, durch das Gedränge hier, helfen wir Dir alle mit unsern Hämmern."
Wilhelm machte ein abwehrendes Zeichen mit der Hand. "Bist Dn toll, sie fassen
Dich, wenn Du noch einen Augenblick wartest." Er wollte ihn in die Höhe
ziehen, da trat unser alter Baron herzu und legte feierlich die Hand "uf Wii->
Helens Kopf. "Dieser Grund ist mein," sprach er "und noch habe ich auf meinem
Gebiet bis zu dieser Stunde die Pflicht als Obrigkeit den Verbrecher zu halten.
Er gehört mir und dem Gesetz."

Die Leute wichen zurück, Wilhelm aber ließ sich ohne Widerstand ergreifen.

Die rothen Feuer längs der Gebirgskette haben nicht gebrannt, der ver¬
worrene Traum von einem Umsturz der Welt verschwindet aus dem Gedächtniß
der armen Thalbewohner, aber die Armuth, die Nohhett leben noch fort und jeder
zerlumpte Bettelbube, der in der herrlichen Landschaft die branne Hand nach dem
Almosen ausstreckt, ist eine schmerzhafte Mahnung an uns, daß wir selbst die
Hand anlegen und die heiligen Flammen der Sitte, der Ordnung, der Thälig.
keit auszuüben auf dem zerfallenen Heerd der unglücklichen Kinder deS Gebirges.


V. 5.


Aus Berlin.

"So treiben wir Possen mit der Zeit und die Geister der Weisen sitzen in
den Wolken und spotten unser/' Also kein erbliches Kaiserthum und auch nickts an¬
deres! Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Nachricht durch Berlin, überall war sie
der einzige Gegenstand der Unterhaltung, überall erregte sie um so größeres Erstaunen,
je bestimmter man jeden Augenblick einen kühnen Griff erwartete. Alle Parteien wa¬
ren darauf gefaßt und hatten sich in die Unvermeidlichkeit der rettenden That völlig
ergeben. "Wir brauchen einen Erbkaiscr, wie die Franzosen ihren Napoleon, damit
er sich möglichst schnell unmöglich macht" -- riefen die Demokraten: "uns und nur uns
arbeitet er in die Hände. Schwerlich wird der neue Oberstaat auch nur von der
Lassaulx'scheu Zeitdauer großer Reiche bestehen; was er aber bis zu seinem Falle den
einzelnen Fürsten und Ländern an Macht und SclbMndigkeit entzieht, das muß uns
zufallen bei der neuen Revolution! -- Der ganze Mittelstand und die wahren ConsU-
tutionellen. die den Schlund der Revolution geschlossen glauben, sahen im Geiste bereits
ganz Deutschland eingehüllt in einen konstitutionellen Purpurmantel, unter dem all die
unzähligen Parlamentchen und Verfassungen warm und sicher schlafen konnten. Die
ehrlichen Bourgeois zählten schon heiteren Blickes an den Fingern alle Vortheile der


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»Ich schloß sie ein, damit sie Dich diesen Abend nicht sehen konnte," antwortete
der Vater, während seine Hände in das Moos krallten. Neben Wilhelm lag die
Madonna und die Flinte. Ein Hahn knackte und der alte Mann, der auf den Knieen
lag, sank zusammen, Wilhelm warf sich mit dem Gesicht auf das Mädchen. —
Nach einem Augenblick stummen Entsetzens trat einer aus der andrängenden Menge
und beugte sich zu Wilhelm: „Hinweg über die Grenze, ich bringe Dir den Flci-
schcrfuchs, durch das Gedränge hier, helfen wir Dir alle mit unsern Hämmern."
Wilhelm machte ein abwehrendes Zeichen mit der Hand. „Bist Dn toll, sie fassen
Dich, wenn Du noch einen Augenblick wartest." Er wollte ihn in die Höhe
ziehen, da trat unser alter Baron herzu und legte feierlich die Hand «uf Wii->
Helens Kopf. „Dieser Grund ist mein," sprach er „und noch habe ich auf meinem
Gebiet bis zu dieser Stunde die Pflicht als Obrigkeit den Verbrecher zu halten.
Er gehört mir und dem Gesetz."

Die Leute wichen zurück, Wilhelm aber ließ sich ohne Widerstand ergreifen.

Die rothen Feuer längs der Gebirgskette haben nicht gebrannt, der ver¬
worrene Traum von einem Umsturz der Welt verschwindet aus dem Gedächtniß
der armen Thalbewohner, aber die Armuth, die Nohhett leben noch fort und jeder
zerlumpte Bettelbube, der in der herrlichen Landschaft die branne Hand nach dem
Almosen ausstreckt, ist eine schmerzhafte Mahnung an uns, daß wir selbst die
Hand anlegen und die heiligen Flammen der Sitte, der Ordnung, der Thälig.
keit auszuüben auf dem zerfallenen Heerd der unglücklichen Kinder deS Gebirges.


V. 5.


Aus Berlin.

„So treiben wir Possen mit der Zeit und die Geister der Weisen sitzen in
den Wolken und spotten unser/' Also kein erbliches Kaiserthum und auch nickts an¬
deres! Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Nachricht durch Berlin, überall war sie
der einzige Gegenstand der Unterhaltung, überall erregte sie um so größeres Erstaunen,
je bestimmter man jeden Augenblick einen kühnen Griff erwartete. Alle Parteien wa¬
ren darauf gefaßt und hatten sich in die Unvermeidlichkeit der rettenden That völlig
ergeben. „Wir brauchen einen Erbkaiscr, wie die Franzosen ihren Napoleon, damit
er sich möglichst schnell unmöglich macht" — riefen die Demokraten: „uns und nur uns
arbeitet er in die Hände. Schwerlich wird der neue Oberstaat auch nur von der
Lassaulx'scheu Zeitdauer großer Reiche bestehen; was er aber bis zu seinem Falle den
einzelnen Fürsten und Ländern an Macht und SclbMndigkeit entzieht, das muß uns
zufallen bei der neuen Revolution! — Der ganze Mittelstand und die wahren ConsU-
tutionellen. die den Schlund der Revolution geschlossen glauben, sahen im Geiste bereits
ganz Deutschland eingehüllt in einen konstitutionellen Purpurmantel, unter dem all die
unzähligen Parlamentchen und Verfassungen warm und sicher schlafen konnten. Die
ehrlichen Bourgeois zählten schon heiteren Blickes an den Fingern alle Vortheile der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/243>, abgerufen am 06.05.2024.