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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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treten, und die wahrscheinlich eine allzu große Hinneigung zu Oestreich zeigen wird,
verbinden möchte.

Im Uebrigen kann man mit den Wahlen zufrieden sein; sie sind natürlich
conservativ, aber auf verständige Männer gefallen. Herr Pinder^ der abgesetzte
Oberpräsident von Schlesien, möchte der radicalste sein, wohl mehr aus Mangel
an Entschluß, als aus besonders radicalen Doctrinen. Nächst ihm werden Camp¬
hausen, Milde, Regierungsrath Kuh die Whigpartei im "Oberhause" vertreten.
Eine nicht unbedeutende Acquisition ist ferner Graf v. Alpen sieben-Erxle-
ben, der schon vor mehreren Jahren als Finanzminister constitutionelle Neigun¬
gen an den Tag legte, und damals als der künftige Staatskanzler bezeichnet wurde.

Ju der zweiten Kammer ist das Ministerium gegen den ersten Sturm des
Radicalismus gedeckt; die Majorität ist ihm so gut wie gewiß. Ich bemerke
nachträglich, daß von den Mitgliedern der alten Constituante, welche die Steuer-
verweigerung aussprachen, 60 wieder gewählt sind, wovon 9 aus die Mark, 7 auf
Schlesien, 13 auf Sachsen, 4 auf Pommern, 3 auf Preußen, 8 aus Posen, 3
auf Westphalen, 19 auf die Rheinprovinz fallen. --

Soll ich den Unterschied zwischen beiden Kammern bestimmter formuliren, so
möchte ich das aufstrebende Talent in der zweiten, die bestimmte Einsicht und Ge¬
schäftskenntniß in der ersten suchen. Es würde sich dann factisch herausstellen,
was ich in frühern Aufsätzen als theoretische Aufgabe der ersten Kammer suchte,
und was sich mir durch eine Wahl von Seiten der bestehenden ständischen, mer¬
kantilen , juristischen und administrativen Staatskörpern zu realisiren schien. Eine
Wahlreform in diesem Sinn, wie sie ein Theil der conservativen Partei zu beab¬
-I- -j- sichtigen scheint, kämen aber jetzt zu früh oder zu spät.




Die östreichische Note.



Es gibt eine Art politischer Sünden, welche der höfliche Mann "Naivetäten"
nennt, wenn er die Ausdrücke "Thorheit" und "Schlechtigkeit" zu vermeiden wünscht.
Solch eine Naivetät ist die gegenwärtige östreichische Note, in welcher sich das Mi¬
nisterium Schwarzenberg, nach dem Beispiel Preußens, über Oestreichs Stellung zu
Frankfurt und Deutschland ausspricht. Der Oestreicher, welcher annimmt, daß
das Ministerium in der Note seine ganzen und höchsten Ueberzeugungen ernsthaft
und ehrlich ausgedrückt hat, wird als Patriot sein Vaterland beklagen müssen,


Grenzboten. I. ihl". 4g

treten, und die wahrscheinlich eine allzu große Hinneigung zu Oestreich zeigen wird,
verbinden möchte.

Im Uebrigen kann man mit den Wahlen zufrieden sein; sie sind natürlich
conservativ, aber auf verständige Männer gefallen. Herr Pinder^ der abgesetzte
Oberpräsident von Schlesien, möchte der radicalste sein, wohl mehr aus Mangel
an Entschluß, als aus besonders radicalen Doctrinen. Nächst ihm werden Camp¬
hausen, Milde, Regierungsrath Kuh die Whigpartei im „Oberhause" vertreten.
Eine nicht unbedeutende Acquisition ist ferner Graf v. Alpen sieben-Erxle-
ben, der schon vor mehreren Jahren als Finanzminister constitutionelle Neigun¬
gen an den Tag legte, und damals als der künftige Staatskanzler bezeichnet wurde.

Ju der zweiten Kammer ist das Ministerium gegen den ersten Sturm des
Radicalismus gedeckt; die Majorität ist ihm so gut wie gewiß. Ich bemerke
nachträglich, daß von den Mitgliedern der alten Constituante, welche die Steuer-
verweigerung aussprachen, 60 wieder gewählt sind, wovon 9 aus die Mark, 7 auf
Schlesien, 13 auf Sachsen, 4 auf Pommern, 3 auf Preußen, 8 aus Posen, 3
auf Westphalen, 19 auf die Rheinprovinz fallen. —

Soll ich den Unterschied zwischen beiden Kammern bestimmter formuliren, so
möchte ich das aufstrebende Talent in der zweiten, die bestimmte Einsicht und Ge¬
schäftskenntniß in der ersten suchen. Es würde sich dann factisch herausstellen,
was ich in frühern Aufsätzen als theoretische Aufgabe der ersten Kammer suchte,
und was sich mir durch eine Wahl von Seiten der bestehenden ständischen, mer¬
kantilen , juristischen und administrativen Staatskörpern zu realisiren schien. Eine
Wahlreform in diesem Sinn, wie sie ein Theil der conservativen Partei zu beab¬
-I- -j- sichtigen scheint, kämen aber jetzt zu früh oder zu spät.




Die östreichische Note.



Es gibt eine Art politischer Sünden, welche der höfliche Mann „Naivetäten"
nennt, wenn er die Ausdrücke „Thorheit" und „Schlechtigkeit" zu vermeiden wünscht.
Solch eine Naivetät ist die gegenwärtige östreichische Note, in welcher sich das Mi¬
nisterium Schwarzenberg, nach dem Beispiel Preußens, über Oestreichs Stellung zu
Frankfurt und Deutschland ausspricht. Der Oestreicher, welcher annimmt, daß
das Ministerium in der Note seine ganzen und höchsten Ueberzeugungen ernsthaft
und ehrlich ausgedrückt hat, wird als Patriot sein Vaterland beklagen müssen,


Grenzboten. I. ihl». 4g
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/321>, abgerufen am 06.05.2024.