Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

land" fehlen, eS kommt mir das gerade so vor, als hörte ich einen dicken Wassersüch¬
tigen gegenüber einem gesunden magern Manne mit seinem Umfang renomiren. Teu¬
fel! ich glaube, die Prahlerei liegt hier in der Luft! Aber ist es nicht wirklich zum
aus der Haut fahren, wenn Männer, die für deutsche Patrioten, und leidlich ver¬
nünftige Leute galten, aus einmal höchst feierlich über die angestammten Rechte des
Hauses Habsburg auf die deutsche Krone zu predigen anfangen? Ich habe Briefe von
Frankfurter liberalen Abgeordneten, die von einer andern deutschen Herrschaft, als unter
habsburgischen Scepter nichts wissen wollten. Als ob es sich jetzt darum handelte, die
Haube der Theresia, den Unterrock der Hecuba nebst ihren Augengläsern zu repariren!
Die Abneigung gegen Preußen mag allerdings auch das ihrige dazu beigetragen haben,
um der deutschen Politik der Oestreicher diese Richtung zu geben; Preußen ist einmal
unter den europäischen Staaten, was Lord Palmerston unter den europäischen Staats¬
männern ist "der Bestgehaßte und Bcftgcschmähte," und es kann, glaube ich, mit
dem Compliment ganz zufrieden sein; indessen muß ich doch bemerken, daß die Anti¬
pathie gegen Preußen hier nicht das Gepräge der Kleinlichkeit trägt, wie z. B. in
Sachsen, schon aus dem Grunde, weil Oestreich ein großer, selbstständiger Staat ist.
Seltsam klingt es aber allerdings, wenn man einen Oestreicher mit Pathos gegen die
perfide Politik Preußens, die Intriguen der preußischen Partei declamiren hört, der
sich denn doch eines wohlgefälligen Lächelns nicht erwehren kann, wenn er sich erinnert,
daß der Metternich perfider und pfiffiger war, als sie alle. -- Unterdeß gilt es pro¬
visorisch für eine "strafbare Verwegenheit" ein dreifarbiges Band zutragen oder: Was
ist des Deutschen Vaterland? zu singen.

Nachschrift. Ich erlaube mir, Sie aus die politischen Briefe von Adolph
Neustadt aufmerksam zu machen, von denen so eben das erste Heft erschienen ist.
Neustadt, der Verfasser, der mit --et bezeichneten Briefe in dem constitutionellen
Blatte für Böhmen, ist ooch jedenfalls eins der bedeutendsten publicistischen Talente Oest¬
reichs, er gab seine Stellung an jenem Blatte auf und schlug glänzende Anerbietungen,
die ihm von anderer Seite gemacht wurden, aus, weil er fürchtete, daß seine Un¬
abhängigkeit dadurch gefährdet werden könne, auch die politischen Briefe, deren erstes
Heft die Sitzungen des Landtags vom 3. --10. Januar behandelt, zeichnen sich in
hohem Grade durch Lebendigkeit und Frische der Darstellung und seltne Unpartei¬
lichkeit des Urtheils aus.


2.
Aus Berlin.

Manteuffels Politik hat eine gewisse Berechtigung, ist sie gleich keine deutsche, so
ist sie dafür eine echt berlinische und dem Typus der curiosen Stadt vortrefflich ange¬
paßt. Ein eignes Völkchen, diese Berliner! Reden over schwatzen vielmehr, ist ihnen
Bedürfniß wie das liebe Brot, nur muß es auch immer etwas Neues sein, dem sie
die alten stereotypen Witze anpassen können, und nirgend verbraucht sich ein Conver-
sations-gcgcnstand schneller, als in unserm Svrecathen. Versatilität und Leichtigkeit der
Auffassung, verbunden mit äußerster Oberflächlichkeit und Mangel jeden Ernstes, sind
die Grundzüge ihres Charakters und hieraus hat Manteuffel mit großem Scharfsinn


land" fehlen, eS kommt mir das gerade so vor, als hörte ich einen dicken Wassersüch¬
tigen gegenüber einem gesunden magern Manne mit seinem Umfang renomiren. Teu¬
fel! ich glaube, die Prahlerei liegt hier in der Luft! Aber ist es nicht wirklich zum
aus der Haut fahren, wenn Männer, die für deutsche Patrioten, und leidlich ver¬
nünftige Leute galten, aus einmal höchst feierlich über die angestammten Rechte des
Hauses Habsburg auf die deutsche Krone zu predigen anfangen? Ich habe Briefe von
Frankfurter liberalen Abgeordneten, die von einer andern deutschen Herrschaft, als unter
habsburgischen Scepter nichts wissen wollten. Als ob es sich jetzt darum handelte, die
Haube der Theresia, den Unterrock der Hecuba nebst ihren Augengläsern zu repariren!
Die Abneigung gegen Preußen mag allerdings auch das ihrige dazu beigetragen haben,
um der deutschen Politik der Oestreicher diese Richtung zu geben; Preußen ist einmal
unter den europäischen Staaten, was Lord Palmerston unter den europäischen Staats¬
männern ist „der Bestgehaßte und Bcftgcschmähte," und es kann, glaube ich, mit
dem Compliment ganz zufrieden sein; indessen muß ich doch bemerken, daß die Anti¬
pathie gegen Preußen hier nicht das Gepräge der Kleinlichkeit trägt, wie z. B. in
Sachsen, schon aus dem Grunde, weil Oestreich ein großer, selbstständiger Staat ist.
Seltsam klingt es aber allerdings, wenn man einen Oestreicher mit Pathos gegen die
perfide Politik Preußens, die Intriguen der preußischen Partei declamiren hört, der
sich denn doch eines wohlgefälligen Lächelns nicht erwehren kann, wenn er sich erinnert,
daß der Metternich perfider und pfiffiger war, als sie alle. — Unterdeß gilt es pro¬
visorisch für eine „strafbare Verwegenheit" ein dreifarbiges Band zutragen oder: Was
ist des Deutschen Vaterland? zu singen.

Nachschrift. Ich erlaube mir, Sie aus die politischen Briefe von Adolph
Neustadt aufmerksam zu machen, von denen so eben das erste Heft erschienen ist.
Neustadt, der Verfasser, der mit —et bezeichneten Briefe in dem constitutionellen
Blatte für Böhmen, ist ooch jedenfalls eins der bedeutendsten publicistischen Talente Oest¬
reichs, er gab seine Stellung an jenem Blatte auf und schlug glänzende Anerbietungen,
die ihm von anderer Seite gemacht wurden, aus, weil er fürchtete, daß seine Un¬
abhängigkeit dadurch gefährdet werden könne, auch die politischen Briefe, deren erstes
Heft die Sitzungen des Landtags vom 3. —10. Januar behandelt, zeichnen sich in
hohem Grade durch Lebendigkeit und Frische der Darstellung und seltne Unpartei¬
lichkeit des Urtheils aus.


2.
Aus Berlin.

Manteuffels Politik hat eine gewisse Berechtigung, ist sie gleich keine deutsche, so
ist sie dafür eine echt berlinische und dem Typus der curiosen Stadt vortrefflich ange¬
paßt. Ein eignes Völkchen, diese Berliner! Reden over schwatzen vielmehr, ist ihnen
Bedürfniß wie das liebe Brot, nur muß es auch immer etwas Neues sein, dem sie
die alten stereotypen Witze anpassen können, und nirgend verbraucht sich ein Conver-
sations-gcgcnstand schneller, als in unserm Svrecathen. Versatilität und Leichtigkeit der
Auffassung, verbunden mit äußerster Oberflächlichkeit und Mangel jeden Ernstes, sind
die Grundzüge ihres Charakters und hieraus hat Manteuffel mit großem Scharfsinn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278354"/>
            <p xml:id="ID_1973" prev="#ID_1972"> land" fehlen, eS kommt mir das gerade so vor, als hörte ich einen dicken Wassersüch¬<lb/>
tigen gegenüber einem gesunden magern Manne mit seinem Umfang renomiren. Teu¬<lb/>
fel! ich glaube, die Prahlerei liegt hier in der Luft! Aber ist es nicht wirklich zum<lb/>
aus der Haut fahren, wenn Männer, die für deutsche Patrioten, und leidlich ver¬<lb/>
nünftige Leute galten, aus einmal höchst feierlich über die angestammten Rechte des<lb/>
Hauses Habsburg auf die deutsche Krone zu predigen anfangen? Ich habe Briefe von<lb/>
Frankfurter liberalen Abgeordneten, die von einer andern deutschen Herrschaft, als unter<lb/>
habsburgischen Scepter nichts wissen wollten. Als ob es sich jetzt darum handelte, die<lb/>
Haube der Theresia, den Unterrock der Hecuba nebst ihren Augengläsern zu repariren!<lb/>
Die Abneigung gegen Preußen mag allerdings auch das ihrige dazu beigetragen haben,<lb/>
um der deutschen Politik der Oestreicher diese Richtung zu geben; Preußen ist einmal<lb/>
unter den europäischen Staaten, was Lord Palmerston unter den europäischen Staats¬<lb/>
männern ist &#x201E;der Bestgehaßte und Bcftgcschmähte," und es kann, glaube ich, mit<lb/>
dem Compliment ganz zufrieden sein; indessen muß ich doch bemerken, daß die Anti¬<lb/>
pathie gegen Preußen hier nicht das Gepräge der Kleinlichkeit trägt, wie z. B. in<lb/>
Sachsen, schon aus dem Grunde, weil Oestreich ein großer, selbstständiger Staat ist.<lb/>
Seltsam klingt es aber allerdings, wenn man einen Oestreicher mit Pathos gegen die<lb/>
perfide Politik Preußens, die Intriguen der preußischen Partei declamiren hört, der<lb/>
sich denn doch eines wohlgefälligen Lächelns nicht erwehren kann, wenn er sich erinnert,<lb/>
daß der Metternich perfider und pfiffiger war, als sie alle. &#x2014; Unterdeß gilt es pro¬<lb/>
visorisch für eine &#x201E;strafbare Verwegenheit" ein dreifarbiges Band zutragen oder: Was<lb/>
ist des Deutschen Vaterland? zu singen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1974"> Nachschrift. Ich erlaube mir, Sie aus die politischen Briefe von Adolph<lb/>
Neustadt aufmerksam zu machen, von denen so eben das erste Heft erschienen ist.<lb/>
Neustadt, der Verfasser, der mit &#x2014;et bezeichneten Briefe in dem constitutionellen<lb/>
Blatte für Böhmen, ist ooch jedenfalls eins der bedeutendsten publicistischen Talente Oest¬<lb/>
reichs, er gab seine Stellung an jenem Blatte auf und schlug glänzende Anerbietungen,<lb/>
die ihm von anderer Seite gemacht wurden, aus, weil er fürchtete, daß seine Un¬<lb/>
abhängigkeit dadurch gefährdet werden könne, auch die politischen Briefe, deren erstes<lb/>
Heft die Sitzungen des Landtags vom 3. &#x2014;10. Januar behandelt, zeichnen sich in<lb/>
hohem Grade durch Lebendigkeit und Frische der Darstellung und seltne Unpartei¬<lb/>
lichkeit des Urtheils aus.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2.<lb/>
Aus Berlin.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1975" next="#ID_1976"> Manteuffels Politik hat eine gewisse Berechtigung, ist sie gleich keine deutsche, so<lb/>
ist sie dafür eine echt berlinische und dem Typus der curiosen Stadt vortrefflich ange¬<lb/>
paßt. Ein eignes Völkchen, diese Berliner! Reden over schwatzen vielmehr, ist ihnen<lb/>
Bedürfniß wie das liebe Brot, nur muß es auch immer etwas Neues sein, dem sie<lb/>
die alten stereotypen Witze anpassen können, und nirgend verbraucht sich ein Conver-<lb/>
sations-gcgcnstand schneller, als in unserm Svrecathen. Versatilität und Leichtigkeit der<lb/>
Auffassung, verbunden mit äußerster Oberflächlichkeit und Mangel jeden Ernstes, sind<lb/>
die Grundzüge ihres Charakters und hieraus hat Manteuffel mit großem Scharfsinn</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0366] land" fehlen, eS kommt mir das gerade so vor, als hörte ich einen dicken Wassersüch¬ tigen gegenüber einem gesunden magern Manne mit seinem Umfang renomiren. Teu¬ fel! ich glaube, die Prahlerei liegt hier in der Luft! Aber ist es nicht wirklich zum aus der Haut fahren, wenn Männer, die für deutsche Patrioten, und leidlich ver¬ nünftige Leute galten, aus einmal höchst feierlich über die angestammten Rechte des Hauses Habsburg auf die deutsche Krone zu predigen anfangen? Ich habe Briefe von Frankfurter liberalen Abgeordneten, die von einer andern deutschen Herrschaft, als unter habsburgischen Scepter nichts wissen wollten. Als ob es sich jetzt darum handelte, die Haube der Theresia, den Unterrock der Hecuba nebst ihren Augengläsern zu repariren! Die Abneigung gegen Preußen mag allerdings auch das ihrige dazu beigetragen haben, um der deutschen Politik der Oestreicher diese Richtung zu geben; Preußen ist einmal unter den europäischen Staaten, was Lord Palmerston unter den europäischen Staats¬ männern ist „der Bestgehaßte und Bcftgcschmähte," und es kann, glaube ich, mit dem Compliment ganz zufrieden sein; indessen muß ich doch bemerken, daß die Anti¬ pathie gegen Preußen hier nicht das Gepräge der Kleinlichkeit trägt, wie z. B. in Sachsen, schon aus dem Grunde, weil Oestreich ein großer, selbstständiger Staat ist. Seltsam klingt es aber allerdings, wenn man einen Oestreicher mit Pathos gegen die perfide Politik Preußens, die Intriguen der preußischen Partei declamiren hört, der sich denn doch eines wohlgefälligen Lächelns nicht erwehren kann, wenn er sich erinnert, daß der Metternich perfider und pfiffiger war, als sie alle. — Unterdeß gilt es pro¬ visorisch für eine „strafbare Verwegenheit" ein dreifarbiges Band zutragen oder: Was ist des Deutschen Vaterland? zu singen. Nachschrift. Ich erlaube mir, Sie aus die politischen Briefe von Adolph Neustadt aufmerksam zu machen, von denen so eben das erste Heft erschienen ist. Neustadt, der Verfasser, der mit —et bezeichneten Briefe in dem constitutionellen Blatte für Böhmen, ist ooch jedenfalls eins der bedeutendsten publicistischen Talente Oest¬ reichs, er gab seine Stellung an jenem Blatte auf und schlug glänzende Anerbietungen, die ihm von anderer Seite gemacht wurden, aus, weil er fürchtete, daß seine Un¬ abhängigkeit dadurch gefährdet werden könne, auch die politischen Briefe, deren erstes Heft die Sitzungen des Landtags vom 3. —10. Januar behandelt, zeichnen sich in hohem Grade durch Lebendigkeit und Frische der Darstellung und seltne Unpartei¬ lichkeit des Urtheils aus. 2. Aus Berlin. Manteuffels Politik hat eine gewisse Berechtigung, ist sie gleich keine deutsche, so ist sie dafür eine echt berlinische und dem Typus der curiosen Stadt vortrefflich ange¬ paßt. Ein eignes Völkchen, diese Berliner! Reden over schwatzen vielmehr, ist ihnen Bedürfniß wie das liebe Brot, nur muß es auch immer etwas Neues sein, dem sie die alten stereotypen Witze anpassen können, und nirgend verbraucht sich ein Conver- sations-gcgcnstand schneller, als in unserm Svrecathen. Versatilität und Leichtigkeit der Auffassung, verbunden mit äußerster Oberflächlichkeit und Mangel jeden Ernstes, sind die Grundzüge ihres Charakters und hieraus hat Manteuffel mit großem Scharfsinn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/366
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/366>, abgerufen am 06.05.2024.