Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Graf Waldemor. Schauspiel in fünf Akten. von
Gustav Freytag.



Vierter Akt.
Erste Scene. Einfache Bürgerstube. Eine Uhr, eine Bank, zwei Tische mit
Holzstühlen. Es brennt Licht.
Gertrud am Tische links, das Haupt aus die Hand gestützt. Hiller rechts schnitzelnd,
von Zeit zu Zeit sie betrachtend. Pause.

Hiller.

Nun, meine Tochter? woran denkst Du?

Sagtest Du was, Vater?


Gertr.
Hiller.

Ja, mein Kind. Ich frug nur, ob die Kränze abgeholt sind.


Gertr.

Schon vor Abend, Vater.


Hiller.

So? das ist mir lieb, das ist mir recht lieb. -- Hast Du heut

vielleicht Nachbars Röschen gesprochen?


Gertr.

Nein, Vater, Du weißt, Röschen kommt nicht mehr zu uns.


Hiller.

So? dann läßt sie's bleiben. -- Aber woran ich dachte, Gertrud.

Unser Haus wird baufällig, es hat wieder eingeregnet, die Balken sind schadhaft,
das ist gewiß -- und dann dachte ich an den Garten, er ist doch sehr klein,
Gertrud.


Gertr.

Wir waren sehr glücklich hier.

Hin! - Der Garten ist doch zu klein, und Du weißt, hinten an


Hiller.

der Grenze ist er naß und die Pflanzen verderben.

(aufstehend).

Gertr.

Vater, warum sprichst Du nicht aus, woran Du denkst,

Du willst fort von hier.


Hiller.

Jetzt ist's heraus, ich hatte nicht den Muth, Dir's zu sagen.


Gertr.

O, daß es so weit kommen mußte! Du suchst eine fremde Stätte

für Dein ehrwürdiges Haupt. Vater, Du bist sehr festgewurzelt in diesem Gar¬
ten, löst Du Dich los von hier, so reißest Du an Deinem Leben.

Vieles steht dort draußen, woran mein Herz hängt, hier aber


Hiller.

steht eine Blüthe, die mir mehr werth ist, als Alles, und ich fürchte, die wird
mir nur genesen in fremder Luft.


Grenzboten. i. iz/.g. 4g
Graf Waldemor. Schauspiel in fünf Akten. von
Gustav Freytag.



Vierter Akt.
Erste Scene. Einfache Bürgerstube. Eine Uhr, eine Bank, zwei Tische mit
Holzstühlen. Es brennt Licht.
Gertrud am Tische links, das Haupt aus die Hand gestützt. Hiller rechts schnitzelnd,
von Zeit zu Zeit sie betrachtend. Pause.

Hiller.

Nun, meine Tochter? woran denkst Du?

Sagtest Du was, Vater?


Gertr.
Hiller.

Ja, mein Kind. Ich frug nur, ob die Kränze abgeholt sind.


Gertr.

Schon vor Abend, Vater.


Hiller.

So? das ist mir lieb, das ist mir recht lieb. — Hast Du heut

vielleicht Nachbars Röschen gesprochen?


Gertr.

Nein, Vater, Du weißt, Röschen kommt nicht mehr zu uns.


Hiller.

So? dann läßt sie's bleiben. — Aber woran ich dachte, Gertrud.

Unser Haus wird baufällig, es hat wieder eingeregnet, die Balken sind schadhaft,
das ist gewiß — und dann dachte ich an den Garten, er ist doch sehr klein,
Gertrud.


Gertr.

Wir waren sehr glücklich hier.

Hin! - Der Garten ist doch zu klein, und Du weißt, hinten an


Hiller.

der Grenze ist er naß und die Pflanzen verderben.

(aufstehend).

Gertr.

Vater, warum sprichst Du nicht aus, woran Du denkst,

Du willst fort von hier.


Hiller.

Jetzt ist's heraus, ich hatte nicht den Muth, Dir's zu sagen.


Gertr.

O, daß es so weit kommen mußte! Du suchst eine fremde Stätte

für Dein ehrwürdiges Haupt. Vater, Du bist sehr festgewurzelt in diesem Gar¬
ten, löst Du Dich los von hier, so reißest Du an Deinem Leben.

Vieles steht dort draußen, woran mein Herz hängt, hier aber


Hiller.

steht eine Blüthe, die mir mehr werth ist, als Alles, und ich fürchte, die wird
mir nur genesen in fremder Luft.


Grenzboten. i. iz/.g. 4g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278357"/>
        <div n="1">
          <head> Graf Waldemor. Schauspiel in fünf Akten. <note type="byline"> von<lb/>
Gustav Freytag.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Vierter Akt.</head><lb/>
            <stage> Erste Scene.  Einfache Bürgerstube.  Eine Uhr, eine Bank, zwei Tische mit<lb/>
Holzstühlen.  Es brennt Licht.</stage><lb/>
            <stage> Gertrud am Tische links, das Haupt aus die Hand gestützt. Hiller rechts schnitzelnd,<lb/>
von Zeit zu Zeit sie betrachtend. Pause.</stage><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller. </note><lb/>
            <p xml:id="ID_1980"> Nun, meine Tochter? woran denkst Du?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1981"> Sagtest Du was, Vater?</p><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr. </note><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller. </note><lb/>
            <p xml:id="ID_1982"> Ja, mein Kind. Ich frug nur, ob die Kränze abgeholt sind.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr. </note><lb/>
            <p xml:id="ID_1983"> Schon vor Abend, Vater.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1984" next="#ID_1985"> So? das ist mir lieb, das ist mir recht lieb. &#x2014; Hast Du heut</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1985" prev="#ID_1984"> vielleicht Nachbars Röschen gesprochen?</p><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr. </note><lb/>
            <p xml:id="ID_1986"> Nein, Vater, Du weißt, Röschen kommt nicht mehr zu uns.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1987" next="#ID_1988"> So? dann läßt sie's bleiben. &#x2014; Aber woran ich dachte, Gertrud.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1988" prev="#ID_1987"> Unser Haus wird baufällig, es hat wieder eingeregnet, die Balken sind schadhaft,<lb/>
das ist gewiß &#x2014; und dann dachte ich an den Garten, er ist doch sehr klein,<lb/>
Gertrud.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr. </note><lb/>
            <p xml:id="ID_1989"> Wir waren sehr glücklich hier.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1990" next="#ID_1991"> Hin! - Der Garten ist doch zu klein, und Du weißt, hinten an</p><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1991" prev="#ID_1990"> der Grenze ist er naß und die Pflanzen verderben.</p><lb/>
            <stage> (aufstehend).</stage><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1992" next="#ID_1993"> Vater, warum sprichst Du nicht aus, woran Du denkst,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1993" prev="#ID_1992"> Du willst fort von hier.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1994"> Jetzt ist's heraus, ich hatte nicht den Muth, Dir's zu sagen.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1995" next="#ID_1996"> O, daß es so weit kommen mußte! Du suchst eine fremde Stätte</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1996" prev="#ID_1995"> für Dein ehrwürdiges Haupt. Vater, Du bist sehr festgewurzelt in diesem Gar¬<lb/>
ten, löst Du Dich los von hier, so reißest Du an Deinem Leben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1997" next="#ID_1998"> Vieles steht dort draußen, woran mein Herz hängt, hier aber</p><lb/>
            <note type="speaker"> Hiller.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1998" prev="#ID_1997"> steht eine Blüthe, die mir mehr werth ist, als Alles, und ich fürchte, die wird<lb/>
mir nur genesen in fremder Luft.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. i. iz/.g. 4g</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] Graf Waldemor. Schauspiel in fünf Akten. von Gustav Freytag. Vierter Akt. Erste Scene. Einfache Bürgerstube. Eine Uhr, eine Bank, zwei Tische mit Holzstühlen. Es brennt Licht. Gertrud am Tische links, das Haupt aus die Hand gestützt. Hiller rechts schnitzelnd, von Zeit zu Zeit sie betrachtend. Pause. Hiller. Nun, meine Tochter? woran denkst Du? Sagtest Du was, Vater? Gertr. Hiller. Ja, mein Kind. Ich frug nur, ob die Kränze abgeholt sind. Gertr. Schon vor Abend, Vater. Hiller. So? das ist mir lieb, das ist mir recht lieb. — Hast Du heut vielleicht Nachbars Röschen gesprochen? Gertr. Nein, Vater, Du weißt, Röschen kommt nicht mehr zu uns. Hiller. So? dann läßt sie's bleiben. — Aber woran ich dachte, Gertrud. Unser Haus wird baufällig, es hat wieder eingeregnet, die Balken sind schadhaft, das ist gewiß — und dann dachte ich an den Garten, er ist doch sehr klein, Gertrud. Gertr. Wir waren sehr glücklich hier. Hin! - Der Garten ist doch zu klein, und Du weißt, hinten an Hiller. der Grenze ist er naß und die Pflanzen verderben. (aufstehend). Gertr. Vater, warum sprichst Du nicht aus, woran Du denkst, Du willst fort von hier. Hiller. Jetzt ist's heraus, ich hatte nicht den Muth, Dir's zu sagen. Gertr. O, daß es so weit kommen mußte! Du suchst eine fremde Stätte für Dein ehrwürdiges Haupt. Vater, Du bist sehr festgewurzelt in diesem Gar¬ ten, löst Du Dich los von hier, so reißest Du an Deinem Leben. Vieles steht dort draußen, woran mein Herz hängt, hier aber Hiller. steht eine Blüthe, die mir mehr werth ist, als Alles, und ich fürchte, die wird mir nur genesen in fremder Luft. Grenzboten. i. iz/.g. 4g

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/369>, abgerufen am 07.05.2024.