Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Box.

Um Mitternacht.


Wald.

Fahre zum Grafen Hugo, ich lasse ihn bitten, mich sogleich zu be¬

suchen. Dann eilst Du zu meinem Notar, auch dieser soll kommen und Zeugen
mitbringen, es wird Einer sein Testament machen. (Vorhang fällt schnell.)




Fünfter Akt.
Scene. Gärtnerwohnung. Zimmer wie im vorigen Akt. Eine Lampe brennt. Hans
in dem Lehnstuhl, welcher ihn verdeckt, schlafend, Gertrud mit Reisegepäck
beschäftigt.

Gertr.

Ich bin fertig und zur Reise bereit. -- Hier noch

(Sachen tragend).

das neue Wamms des Kleinen, das nehme ich mit. Ich nähte daran, als ex
bei uns war, und ich hoffte, vor seinen Augen würde eS der Hans das erste
Mal tragen! (den schlafenden Hans betrachtend) Dn unschuldiges Kind! -- Schlafe,
Du Sohn meiner Schmerzen, zum letzten Mal in dem Raum, wo Deine Jugend
aufblühte. -- Wunderbare Fügung! Vor wenig Wochen stand ich Deinem Vater
gegenüber und forderte mit kindischem Hochmuth seine Vaterliebe für Dich, und
jetzt fliehe ich mit Dir vor Deiner eigenen Mutter. Damals schalt ich ihn in
meiner Seele, weil er Deine Mutter nicht mehr im Herzen trug, und jetzt fürchte
ich, daß er sie doch noch lieben konnte. -- Sonst war die Thräne schnell in mei¬
nem Auge, und hätte man mir erzählt, was ich selbst erlebt habe, ich hätte mich
heiß und roth geweint über all das Verhängniß; und heut knüpfe ich mein Bündel
zusammen, und scheide vou fast Allem, was mir lieb ist, von dem Vaterhaus,
aus der Nähe des Mannes, an dem mein schwaches Herz sehr sest hängt, und
niam Auge ist trocken und mein Gemüth ist ruhig und ernst, wie ein blaner
Himmel in der Nacht. Sehr bin ich verändert und ich wundre mich darüber.
Mein Tuch könnte ich um mich ziehn und still durch aller Herren Länder gehn. Wie
kommt das? -- Mau sagt, kurz vor dem Tode soll der Menschen Gemüth so
werden, wie ein Wasserspiegel, alles Ufer spiegelt sich darin, und man kann
hinuntersehen bis auf den Grund. -- Ist mir mein Sterben nahe? -- Und ist
eS nicht der Tod, so ist es das Leben selbst, was mich geändert hat. O ja,
jetzt ahne ich, was das Leben ist.

Der Vater verweilt lange mit dem Wagen, (das Fenster zur Seite rechts öff¬
nend) Schon graut der Morgen, (sie löscht die Lampe, graues Morgenlicht im Vorder¬
grund, der Hintergrund bleibt dunkel) es wird kühl und der Wind erhebt sich in
den Obstbäumen. (Pause, Geräusch) Ich höre Tritte! Der Vater kommt, er bringt

(eilt zur Thür, öffnet.)
die Pferde,


Box.

Um Mitternacht.


Wald.

Fahre zum Grafen Hugo, ich lasse ihn bitten, mich sogleich zu be¬

suchen. Dann eilst Du zu meinem Notar, auch dieser soll kommen und Zeugen
mitbringen, es wird Einer sein Testament machen. (Vorhang fällt schnell.)




Fünfter Akt.
Scene. Gärtnerwohnung. Zimmer wie im vorigen Akt. Eine Lampe brennt. Hans
in dem Lehnstuhl, welcher ihn verdeckt, schlafend, Gertrud mit Reisegepäck
beschäftigt.

Gertr.

Ich bin fertig und zur Reise bereit. — Hier noch

(Sachen tragend).

das neue Wamms des Kleinen, das nehme ich mit. Ich nähte daran, als ex
bei uns war, und ich hoffte, vor seinen Augen würde eS der Hans das erste
Mal tragen! (den schlafenden Hans betrachtend) Dn unschuldiges Kind! — Schlafe,
Du Sohn meiner Schmerzen, zum letzten Mal in dem Raum, wo Deine Jugend
aufblühte. — Wunderbare Fügung! Vor wenig Wochen stand ich Deinem Vater
gegenüber und forderte mit kindischem Hochmuth seine Vaterliebe für Dich, und
jetzt fliehe ich mit Dir vor Deiner eigenen Mutter. Damals schalt ich ihn in
meiner Seele, weil er Deine Mutter nicht mehr im Herzen trug, und jetzt fürchte
ich, daß er sie doch noch lieben konnte. — Sonst war die Thräne schnell in mei¬
nem Auge, und hätte man mir erzählt, was ich selbst erlebt habe, ich hätte mich
heiß und roth geweint über all das Verhängniß; und heut knüpfe ich mein Bündel
zusammen, und scheide vou fast Allem, was mir lieb ist, von dem Vaterhaus,
aus der Nähe des Mannes, an dem mein schwaches Herz sehr sest hängt, und
niam Auge ist trocken und mein Gemüth ist ruhig und ernst, wie ein blaner
Himmel in der Nacht. Sehr bin ich verändert und ich wundre mich darüber.
Mein Tuch könnte ich um mich ziehn und still durch aller Herren Länder gehn. Wie
kommt das? — Mau sagt, kurz vor dem Tode soll der Menschen Gemüth so
werden, wie ein Wasserspiegel, alles Ufer spiegelt sich darin, und man kann
hinuntersehen bis auf den Grund. — Ist mir mein Sterben nahe? — Und ist
eS nicht der Tod, so ist es das Leben selbst, was mich geändert hat. O ja,
jetzt ahne ich, was das Leben ist.

Der Vater verweilt lange mit dem Wagen, (das Fenster zur Seite rechts öff¬
nend) Schon graut der Morgen, (sie löscht die Lampe, graues Morgenlicht im Vorder¬
grund, der Hintergrund bleibt dunkel) es wird kühl und der Wind erhebt sich in
den Obstbäumen. (Pause, Geräusch) Ich höre Tritte! Der Vater kommt, er bringt

(eilt zur Thür, öffnet.)
die Pferde,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278372"/>
            <note type="speaker"> Box. </note><lb/>
            <p xml:id="ID_2312"> Um Mitternacht.</p><lb/>
            <note type="speaker"> Wald.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_2313" next="#ID_2314"> Fahre zum Grafen Hugo, ich lasse ihn bitten, mich sogleich zu be¬</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2314" prev="#ID_2313"> suchen. Dann eilst Du zu meinem Notar, auch dieser soll kommen und Zeugen<lb/>
mitbringen, es wird Einer sein Testament machen. (Vorhang fällt schnell.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Fünfter Akt.</head><lb/>
            <stage> Scene.  Gärtnerwohnung. Zimmer wie im vorigen Akt. Eine Lampe brennt. Hans<lb/>
in dem Lehnstuhl, welcher ihn verdeckt, schlafend, Gertrud mit Reisegepäck<lb/>
beschäftigt.</stage><lb/>
            <note type="speaker"> Gertr.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_2315" next="#ID_2316"> Ich bin fertig und zur Reise bereit. &#x2014; Hier noch</p><lb/>
            <stage> (Sachen tragend). </stage><lb/>
            <p xml:id="ID_2316" prev="#ID_2315"> das neue Wamms des Kleinen, das nehme ich mit. Ich nähte daran, als ex<lb/>
bei uns war, und ich hoffte, vor seinen Augen würde eS der Hans das erste<lb/>
Mal tragen! (den schlafenden Hans betrachtend) Dn unschuldiges Kind! &#x2014; Schlafe,<lb/>
Du Sohn meiner Schmerzen, zum letzten Mal in dem Raum, wo Deine Jugend<lb/>
aufblühte. &#x2014; Wunderbare Fügung! Vor wenig Wochen stand ich Deinem Vater<lb/>
gegenüber und forderte mit kindischem Hochmuth seine Vaterliebe für Dich, und<lb/>
jetzt fliehe ich mit Dir vor Deiner eigenen Mutter. Damals schalt ich ihn in<lb/>
meiner Seele, weil er Deine Mutter nicht mehr im Herzen trug, und jetzt fürchte<lb/>
ich, daß er sie doch noch lieben konnte. &#x2014; Sonst war die Thräne schnell in mei¬<lb/>
nem Auge, und hätte man mir erzählt, was ich selbst erlebt habe, ich hätte mich<lb/>
heiß und roth geweint über all das Verhängniß; und heut knüpfe ich mein Bündel<lb/>
zusammen, und scheide vou fast Allem, was mir lieb ist, von dem Vaterhaus,<lb/>
aus der Nähe des Mannes, an dem mein schwaches Herz sehr sest hängt, und<lb/>
niam Auge ist trocken und mein Gemüth ist ruhig und ernst, wie ein blaner<lb/>
Himmel in der Nacht. Sehr bin ich verändert und ich wundre mich darüber.<lb/>
Mein Tuch könnte ich um mich ziehn und still durch aller Herren Länder gehn. Wie<lb/>
kommt das? &#x2014; Mau sagt, kurz vor dem Tode soll der Menschen Gemüth so<lb/>
werden, wie ein Wasserspiegel, alles Ufer spiegelt sich darin, und man kann<lb/>
hinuntersehen bis auf den Grund. &#x2014; Ist mir mein Sterben nahe? &#x2014; Und ist<lb/>
eS nicht der Tod, so ist es das Leben selbst, was mich geändert hat. O ja,<lb/>
jetzt ahne ich, was das Leben ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2317"> Der Vater verweilt lange mit dem Wagen, (das Fenster zur Seite rechts öff¬<lb/>
nend) Schon graut der Morgen, (sie löscht die Lampe, graues Morgenlicht im Vorder¬<lb/>
grund, der Hintergrund bleibt dunkel) es wird kühl und der Wind erhebt sich in<lb/>
den Obstbäumen. (Pause, Geräusch) Ich höre Tritte! Der Vater kommt, er bringt<lb/><stage> (eilt zur Thür, öffnet.)</stage> die Pferde, </p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0384] Box. Um Mitternacht. Wald. Fahre zum Grafen Hugo, ich lasse ihn bitten, mich sogleich zu be¬ suchen. Dann eilst Du zu meinem Notar, auch dieser soll kommen und Zeugen mitbringen, es wird Einer sein Testament machen. (Vorhang fällt schnell.) Fünfter Akt. Scene. Gärtnerwohnung. Zimmer wie im vorigen Akt. Eine Lampe brennt. Hans in dem Lehnstuhl, welcher ihn verdeckt, schlafend, Gertrud mit Reisegepäck beschäftigt. Gertr. Ich bin fertig und zur Reise bereit. — Hier noch (Sachen tragend). das neue Wamms des Kleinen, das nehme ich mit. Ich nähte daran, als ex bei uns war, und ich hoffte, vor seinen Augen würde eS der Hans das erste Mal tragen! (den schlafenden Hans betrachtend) Dn unschuldiges Kind! — Schlafe, Du Sohn meiner Schmerzen, zum letzten Mal in dem Raum, wo Deine Jugend aufblühte. — Wunderbare Fügung! Vor wenig Wochen stand ich Deinem Vater gegenüber und forderte mit kindischem Hochmuth seine Vaterliebe für Dich, und jetzt fliehe ich mit Dir vor Deiner eigenen Mutter. Damals schalt ich ihn in meiner Seele, weil er Deine Mutter nicht mehr im Herzen trug, und jetzt fürchte ich, daß er sie doch noch lieben konnte. — Sonst war die Thräne schnell in mei¬ nem Auge, und hätte man mir erzählt, was ich selbst erlebt habe, ich hätte mich heiß und roth geweint über all das Verhängniß; und heut knüpfe ich mein Bündel zusammen, und scheide vou fast Allem, was mir lieb ist, von dem Vaterhaus, aus der Nähe des Mannes, an dem mein schwaches Herz sehr sest hängt, und niam Auge ist trocken und mein Gemüth ist ruhig und ernst, wie ein blaner Himmel in der Nacht. Sehr bin ich verändert und ich wundre mich darüber. Mein Tuch könnte ich um mich ziehn und still durch aller Herren Länder gehn. Wie kommt das? — Mau sagt, kurz vor dem Tode soll der Menschen Gemüth so werden, wie ein Wasserspiegel, alles Ufer spiegelt sich darin, und man kann hinuntersehen bis auf den Grund. — Ist mir mein Sterben nahe? — Und ist eS nicht der Tod, so ist es das Leben selbst, was mich geändert hat. O ja, jetzt ahne ich, was das Leben ist. Der Vater verweilt lange mit dem Wagen, (das Fenster zur Seite rechts öff¬ nend) Schon graut der Morgen, (sie löscht die Lampe, graues Morgenlicht im Vorder¬ grund, der Hintergrund bleibt dunkel) es wird kühl und der Wind erhebt sich in den Obstbäumen. (Pause, Geräusch) Ich höre Tritte! Der Vater kommt, er bringt (eilt zur Thür, öffnet.) die Pferde,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/384
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/384>, abgerufen am 06.05.2024.