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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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In" März 1 " A S.



Ein Jahr ist um, ein schweres, ereignisreiches Jahr! Sollen wir das Haupt
mit Asche bedecken und wehklagen, daß der Völkerfrühling vom Jahre 1848
so schnell verblüht ist, daß "sein Same in unfruchtbare" Boden gefallen," daß
"die Menschen noch nicht reif waren für die Sendung der Märzrevolution?"
Sollen wir aus Verzweiflung nach Kalifornien ziehen, um mit unermeßlichen Reich¬
thum beladen zurückzukehren und die Fürsten von ihren güldenen Thronen zu
stürzen? Oder könnten wir vielleicht mit dem edlen Hecker bei den Indianern
"im Busche" und an den Ufern des Ohio die Ideale der Demokratie zu verwirk¬
lichen suchen?

Noch ist die Revolution nickt verloren, rufen uns die hoffnungsreichen Na"
dicalcn zu. "Ein neuer März steht vor der Thür, das souveräne Volk wird sich
erheben und ein Blutgericht wird ergehen über die Verräther der Freiheit, über
die Renegaten der Demokratie. Wieder wird im Westen das Panier der socialen
Republik erhoben werden und dann in den Staub mit den Thronen, mit der
Bourgeoisie und mit dem Constitutionalismus!" -- Nun, wir könnten diese blu¬
tigen Prophezeiungen mit großer Gemüthsruhe anhören. Unsere Seele ist rein
von jeglicher Schuld und dem Gespenste des Radicalismus habe" wir bisher ohne
Beschwörungsformel und ohne ^ve U-nlle's in's Auge geblickt. Aber der gute
Spießbürger, wie bebt derj an allen Glieder", wenn er ein solches Donnerwetter
aus dem Munde eines entschiedene" Demokraten anhört! Geht aus die Börse oder
besucht einen glücklichen Familienvater, oder haltet um die Hand eines Mädchen
ans gutem Hanse an, oder bietet ein Manuscript zum Drucke an -- überall
werden euch bedenkliche Gesichter entgegenkommen und mit einem tiefen Stoßseufzer
an den drohenden März erinnern! Die Furchtsamen und Kurzsichtigen glaube" um eine
neue Revolution, wie an ein unabweisbares Fatum, mit christlicher Demuth er¬
gebe" sie sich in die Fügungen der göttlichen Vorsehung und hoffen nur, daß die
Obrigkeit, so vou Gott zum Schutze der gutgesinnten Erdensöhne eingesetzt ist,
ihre Pflicht erfüllen und nöthigenfalls den Belagerungszustand über die aufge¬
wühlten Landesgebiete verhänge" werde, selbst die Staatsmänner lauschen ängst¬
lich, ob nicht ein neues Erdbeben vom Süden oder Westen im Anzuge sei, die
Banquiers verschließen ihre Portefeuilles, da die "politischen Conjunctnren eben
nicht beruhigender Natur sind," der verzweifelte Gewerbsmann rüstet sich zur Aus¬
wanderung über die See und die Aristokratie in den Hauptstädten bezieht bereits
vor Eingang der eigentlichen Saison ihre Landsitze und neutralen Badeörtcr.


In» März 1 « A S.



Ein Jahr ist um, ein schweres, ereignisreiches Jahr! Sollen wir das Haupt
mit Asche bedecken und wehklagen, daß der Völkerfrühling vom Jahre 1848
so schnell verblüht ist, daß „sein Same in unfruchtbare» Boden gefallen," daß
„die Menschen noch nicht reif waren für die Sendung der Märzrevolution?"
Sollen wir aus Verzweiflung nach Kalifornien ziehen, um mit unermeßlichen Reich¬
thum beladen zurückzukehren und die Fürsten von ihren güldenen Thronen zu
stürzen? Oder könnten wir vielleicht mit dem edlen Hecker bei den Indianern
„im Busche" und an den Ufern des Ohio die Ideale der Demokratie zu verwirk¬
lichen suchen?

Noch ist die Revolution nickt verloren, rufen uns die hoffnungsreichen Na»
dicalcn zu. „Ein neuer März steht vor der Thür, das souveräne Volk wird sich
erheben und ein Blutgericht wird ergehen über die Verräther der Freiheit, über
die Renegaten der Demokratie. Wieder wird im Westen das Panier der socialen
Republik erhoben werden und dann in den Staub mit den Thronen, mit der
Bourgeoisie und mit dem Constitutionalismus!" — Nun, wir könnten diese blu¬
tigen Prophezeiungen mit großer Gemüthsruhe anhören. Unsere Seele ist rein
von jeglicher Schuld und dem Gespenste des Radicalismus habe» wir bisher ohne
Beschwörungsformel und ohne ^ve U-nlle's in's Auge geblickt. Aber der gute
Spießbürger, wie bebt derj an allen Glieder», wenn er ein solches Donnerwetter
aus dem Munde eines entschiedene» Demokraten anhört! Geht aus die Börse oder
besucht einen glücklichen Familienvater, oder haltet um die Hand eines Mädchen
ans gutem Hanse an, oder bietet ein Manuscript zum Drucke an — überall
werden euch bedenkliche Gesichter entgegenkommen und mit einem tiefen Stoßseufzer
an den drohenden März erinnern! Die Furchtsamen und Kurzsichtigen glaube» um eine
neue Revolution, wie an ein unabweisbares Fatum, mit christlicher Demuth er¬
gebe» sie sich in die Fügungen der göttlichen Vorsehung und hoffen nur, daß die
Obrigkeit, so vou Gott zum Schutze der gutgesinnten Erdensöhne eingesetzt ist,
ihre Pflicht erfüllen und nöthigenfalls den Belagerungszustand über die aufge¬
wühlten Landesgebiete verhänge» werde, selbst die Staatsmänner lauschen ängst¬
lich, ob nicht ein neues Erdbeben vom Süden oder Westen im Anzuge sei, die
Banquiers verschließen ihre Portefeuilles, da die „politischen Conjunctnren eben
nicht beruhigender Natur sind," der verzweifelte Gewerbsmann rüstet sich zur Aus¬
wanderung über die See und die Aristokratie in den Hauptstädten bezieht bereits
vor Eingang der eigentlichen Saison ihre Landsitze und neutralen Badeörtcr.


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[0398] In» März 1 « A S. Ein Jahr ist um, ein schweres, ereignisreiches Jahr! Sollen wir das Haupt mit Asche bedecken und wehklagen, daß der Völkerfrühling vom Jahre 1848 so schnell verblüht ist, daß „sein Same in unfruchtbare» Boden gefallen," daß „die Menschen noch nicht reif waren für die Sendung der Märzrevolution?" Sollen wir aus Verzweiflung nach Kalifornien ziehen, um mit unermeßlichen Reich¬ thum beladen zurückzukehren und die Fürsten von ihren güldenen Thronen zu stürzen? Oder könnten wir vielleicht mit dem edlen Hecker bei den Indianern „im Busche" und an den Ufern des Ohio die Ideale der Demokratie zu verwirk¬ lichen suchen? Noch ist die Revolution nickt verloren, rufen uns die hoffnungsreichen Na» dicalcn zu. „Ein neuer März steht vor der Thür, das souveräne Volk wird sich erheben und ein Blutgericht wird ergehen über die Verräther der Freiheit, über die Renegaten der Demokratie. Wieder wird im Westen das Panier der socialen Republik erhoben werden und dann in den Staub mit den Thronen, mit der Bourgeoisie und mit dem Constitutionalismus!" — Nun, wir könnten diese blu¬ tigen Prophezeiungen mit großer Gemüthsruhe anhören. Unsere Seele ist rein von jeglicher Schuld und dem Gespenste des Radicalismus habe» wir bisher ohne Beschwörungsformel und ohne ^ve U-nlle's in's Auge geblickt. Aber der gute Spießbürger, wie bebt derj an allen Glieder», wenn er ein solches Donnerwetter aus dem Munde eines entschiedene» Demokraten anhört! Geht aus die Börse oder besucht einen glücklichen Familienvater, oder haltet um die Hand eines Mädchen ans gutem Hanse an, oder bietet ein Manuscript zum Drucke an — überall werden euch bedenkliche Gesichter entgegenkommen und mit einem tiefen Stoßseufzer an den drohenden März erinnern! Die Furchtsamen und Kurzsichtigen glaube» um eine neue Revolution, wie an ein unabweisbares Fatum, mit christlicher Demuth er¬ gebe» sie sich in die Fügungen der göttlichen Vorsehung und hoffen nur, daß die Obrigkeit, so vou Gott zum Schutze der gutgesinnten Erdensöhne eingesetzt ist, ihre Pflicht erfüllen und nöthigenfalls den Belagerungszustand über die aufge¬ wühlten Landesgebiete verhänge» werde, selbst die Staatsmänner lauschen ängst¬ lich, ob nicht ein neues Erdbeben vom Süden oder Westen im Anzuge sei, die Banquiers verschließen ihre Portefeuilles, da die „politischen Conjunctnren eben nicht beruhigender Natur sind," der verzweifelte Gewerbsmann rüstet sich zur Aus¬ wanderung über die See und die Aristokratie in den Hauptstädten bezieht bereits vor Eingang der eigentlichen Saison ihre Landsitze und neutralen Badeörtcr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/398>, abgerufen am 06.05.2024.