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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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den und sein Gebahren in den Kammern, auch sein Verhältniß zu seinen Wäh¬
lern nud seiner Partei, jede Aeußerung seines Wesens, welche über das Alles
lehrreiche Auskunft gibt. Deshalb auch seine Erscheinung. Niemand kann für
das Gesicht, das ihm angeschassen ist, aber um den Mann kennen zu lernen,
muß ich die Linien seines Gesichts studiren, und aus originellen Gebehrden, un¬
gewöhnlicher Tracht und Haltung des Körpers ergänze ich mein Urtheil über sein
Inneres. Alles dies wird der Politiker der Kritik, der Lanne, dem Spott Preis
geben müssen. Nicht aber sein Privatleben, nicht seine Familienverhältnisse, nicht
seine gemüthlichen Beziehungen zu der Außenwelt. Die gehören ihm allein, so
lange er nicht selbst durch Verletzungen des Rechts das öffentliche Urtheil heraus¬
fordert. Was man auch an unserer deutschen Tagespresse aussetzen mag, man
soll nicht verkennen, daß sie in der überwiegenden Mehrzahl ihrer Organe diese
feine Grenzlinie berechtigter Kritik wohl zu halten weiß; sie steht hier in vortheil-
haften Gegensatz zu der Journalistik Nordamerika'S und der Schweiz, wo sich
die spießbürgerlichste und gemeinste Verzerrung der Persönlichkeiten breit macht.
Unser Fehler ist im Gegentheil zu große Empfindlichkeit der Individuen. Sehen
Sie nach England, nach Frankreich. Dort lebt der Witz von den politischen
Männern der Nation, was schadet es ihnen? Ist Peel oder Russell deshalb
weniger einflußreich, oder Wellington weniger der Kriegsgott von John Bull,
weil dieser täglich in Karrikaturen oder humorischcn Darstellungen die Freude hat,
über sie zu lachen. Im Gegentheil. Große drückt den Kleinen, wenn aber der große
Mann anch eine große Nase hat, so wird ihm das Uebrige wohl verziehen.

Und sehen Sie, Herr Weichsel, deshalb sollten uns die großen Charaktere
der Gegenwart nickt zürnen, sondern dankbar sein, wenn wir ihre kleinen Schwächen
hier und da aufdecken müssen. Sie werden ihrem Volk dadurch erst verständlich,
gleicksam mundrecht. Es steht der politischen Größe wohl an, wenn sie sich auch
in Kleinigkeiten hochherzig zeigt. Den Verfasser Ihres Portraits wird es gewiß
freuen, wenn Sie die Selbstbeherrschung gewinnen sich über seine fröhliche Laune zu
Gröbsten. amusiren. --

,
Leben Sie wohl, werden Sie uns gut.


Deutsche Gemüthlichkeit i" Kriegszeiten.



Jüngst hörte ich eine Geschichte, die so ungemüthlich ist, daß ich sie nicht
loswerden kann.

Die Bewohner der deutschen Stadt Weißenburg in Ungarn hielten eS in
diesem Kriege mit den Magyaren; die Serben lagen vor der Stadt, der Bürger¬
meister kam als Parlamentär ins Serbenlager. Man ißt, man trinkt süßen Un-
Mwein, der Bürgermeister wird hochherzig und recht martialisch. Spät Abends


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den und sein Gebahren in den Kammern, auch sein Verhältniß zu seinen Wäh¬
lern nud seiner Partei, jede Aeußerung seines Wesens, welche über das Alles
lehrreiche Auskunft gibt. Deshalb auch seine Erscheinung. Niemand kann für
das Gesicht, das ihm angeschassen ist, aber um den Mann kennen zu lernen,
muß ich die Linien seines Gesichts studiren, und aus originellen Gebehrden, un¬
gewöhnlicher Tracht und Haltung des Körpers ergänze ich mein Urtheil über sein
Inneres. Alles dies wird der Politiker der Kritik, der Lanne, dem Spott Preis
geben müssen. Nicht aber sein Privatleben, nicht seine Familienverhältnisse, nicht
seine gemüthlichen Beziehungen zu der Außenwelt. Die gehören ihm allein, so
lange er nicht selbst durch Verletzungen des Rechts das öffentliche Urtheil heraus¬
fordert. Was man auch an unserer deutschen Tagespresse aussetzen mag, man
soll nicht verkennen, daß sie in der überwiegenden Mehrzahl ihrer Organe diese
feine Grenzlinie berechtigter Kritik wohl zu halten weiß; sie steht hier in vortheil-
haften Gegensatz zu der Journalistik Nordamerika'S und der Schweiz, wo sich
die spießbürgerlichste und gemeinste Verzerrung der Persönlichkeiten breit macht.
Unser Fehler ist im Gegentheil zu große Empfindlichkeit der Individuen. Sehen
Sie nach England, nach Frankreich. Dort lebt der Witz von den politischen
Männern der Nation, was schadet es ihnen? Ist Peel oder Russell deshalb
weniger einflußreich, oder Wellington weniger der Kriegsgott von John Bull,
weil dieser täglich in Karrikaturen oder humorischcn Darstellungen die Freude hat,
über sie zu lachen. Im Gegentheil. Große drückt den Kleinen, wenn aber der große
Mann anch eine große Nase hat, so wird ihm das Uebrige wohl verziehen.

Und sehen Sie, Herr Weichsel, deshalb sollten uns die großen Charaktere
der Gegenwart nickt zürnen, sondern dankbar sein, wenn wir ihre kleinen Schwächen
hier und da aufdecken müssen. Sie werden ihrem Volk dadurch erst verständlich,
gleicksam mundrecht. Es steht der politischen Größe wohl an, wenn sie sich auch
in Kleinigkeiten hochherzig zeigt. Den Verfasser Ihres Portraits wird es gewiß
freuen, wenn Sie die Selbstbeherrschung gewinnen sich über seine fröhliche Laune zu
Gröbsten. amusiren. —

,
Leben Sie wohl, werden Sie uns gut.


Deutsche Gemüthlichkeit i» Kriegszeiten.



Jüngst hörte ich eine Geschichte, die so ungemüthlich ist, daß ich sie nicht
loswerden kann.

Die Bewohner der deutschen Stadt Weißenburg in Ungarn hielten eS in
diesem Kriege mit den Magyaren; die Serben lagen vor der Stadt, der Bürger¬
meister kam als Parlamentär ins Serbenlager. Man ißt, man trinkt süßen Un-
Mwein, der Bürgermeister wird hochherzig und recht martialisch. Spät Abends


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[0499] den und sein Gebahren in den Kammern, auch sein Verhältniß zu seinen Wäh¬ lern nud seiner Partei, jede Aeußerung seines Wesens, welche über das Alles lehrreiche Auskunft gibt. Deshalb auch seine Erscheinung. Niemand kann für das Gesicht, das ihm angeschassen ist, aber um den Mann kennen zu lernen, muß ich die Linien seines Gesichts studiren, und aus originellen Gebehrden, un¬ gewöhnlicher Tracht und Haltung des Körpers ergänze ich mein Urtheil über sein Inneres. Alles dies wird der Politiker der Kritik, der Lanne, dem Spott Preis geben müssen. Nicht aber sein Privatleben, nicht seine Familienverhältnisse, nicht seine gemüthlichen Beziehungen zu der Außenwelt. Die gehören ihm allein, so lange er nicht selbst durch Verletzungen des Rechts das öffentliche Urtheil heraus¬ fordert. Was man auch an unserer deutschen Tagespresse aussetzen mag, man soll nicht verkennen, daß sie in der überwiegenden Mehrzahl ihrer Organe diese feine Grenzlinie berechtigter Kritik wohl zu halten weiß; sie steht hier in vortheil- haften Gegensatz zu der Journalistik Nordamerika'S und der Schweiz, wo sich die spießbürgerlichste und gemeinste Verzerrung der Persönlichkeiten breit macht. Unser Fehler ist im Gegentheil zu große Empfindlichkeit der Individuen. Sehen Sie nach England, nach Frankreich. Dort lebt der Witz von den politischen Männern der Nation, was schadet es ihnen? Ist Peel oder Russell deshalb weniger einflußreich, oder Wellington weniger der Kriegsgott von John Bull, weil dieser täglich in Karrikaturen oder humorischcn Darstellungen die Freude hat, über sie zu lachen. Im Gegentheil. Große drückt den Kleinen, wenn aber der große Mann anch eine große Nase hat, so wird ihm das Uebrige wohl verziehen. Und sehen Sie, Herr Weichsel, deshalb sollten uns die großen Charaktere der Gegenwart nickt zürnen, sondern dankbar sein, wenn wir ihre kleinen Schwächen hier und da aufdecken müssen. Sie werden ihrem Volk dadurch erst verständlich, gleicksam mundrecht. Es steht der politischen Größe wohl an, wenn sie sich auch in Kleinigkeiten hochherzig zeigt. Den Verfasser Ihres Portraits wird es gewiß freuen, wenn Sie die Selbstbeherrschung gewinnen sich über seine fröhliche Laune zu Gröbsten. amusiren. — , Leben Sie wohl, werden Sie uns gut. Deutsche Gemüthlichkeit i» Kriegszeiten. Jüngst hörte ich eine Geschichte, die so ungemüthlich ist, daß ich sie nicht loswerden kann. Die Bewohner der deutschen Stadt Weißenburg in Ungarn hielten eS in diesem Kriege mit den Magyaren; die Serben lagen vor der Stadt, der Bürger¬ meister kam als Parlamentär ins Serbenlager. Man ißt, man trinkt süßen Un- Mwein, der Bürgermeister wird hochherzig und recht martialisch. Spät Abends 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/499>, abgerufen am 06.05.2024.