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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in
Oestreich.
(Pesth 1850. C. A. Hartlcbcn.)

Diesen Titel führt eine geistreiche Schrift, welche in diesen Wochen von Pesth
aus in den Buchhandel kam. Der Verfasser hat sich nicht genannt, und wir haben
Ursache, ihm deshalb zu zürnen, denn es wäre von hohem Interesse, den Namen
eines so hochgebildeten und verständigen Mannes zu erfahren. Wahrscheinlich ist
er ein ttugar; -- vielleicht Eötvös? Das kleine Buch ist seinem Inhalte nach
bedeutend, doppelt anziehend durch seine Geburtsstätte. So klar und energisch
nud so staatsmännisch gehalten, eine Parteischrift im besten Sinne des Worts.
Der Versasser geht vom Begriff der Nationalität aus, sucht zu beweisen, daß die
nationellen Bestrebungen im unlösbaren Gegensatz zu den Grundsätzen der Freiheit
stehen und in ihrer consequenten Durchführung alle bestehenden Staaten auflösen
müßten; daß auch in Oestreich das Prinzip der Gleichberechtigung mit dem Be-
stehen des cvnstiintionellen Prinzips unverträglich sei und zum Absolutismus führen
müsse, daß es sich überdies vollständig gar nicht durchführen lasse, und doch, nur
theilweise durchgeführt in den Völkern gerade das Gegentheil von Zufriedenheit
hervorrufen und dnrch seine Consequenzen Oestreich zerstören würde. Es folgt sein
Ideal einer Aerfassnug des Kaiserstaats. -- Viele seiner Sätze unterschreiben die
Grenzboten unbedingt. -- Der loyale Oestreicher, umringt von den nationalen
Kämpfen der östreichischen Völker, deren volksthümliche Forderungen höchst unklar,
leidenschaftlich und zum großen Theil unberechtigt erschiene", ist gewöhnt, Nationa¬
litäten und Staat als Gegensätze zu empfinden, und uuter Nationalität wenig
mehr als die Raceueigeuthüiulichkeit mit ihren unvermeidlichen Neußeruugeu, Volks¬
sitten, Sprache und originellen Empfindungen zu verstehen. Wir, die wir um¬
gekehrt gewöhnt siud, die Eigenthümlichkeit der Nationen, welche sich ans einem
großen gebildeten Staatsleben entwickelt, in ihrem Lebensprozeß zu beobachten,
wie sie sich allmälig gestaltet, ändert, fortbildet, sowohl Urheber als Produkt ihres
Staates; fassen deu Begriff der Nationalität höher, so, daß er uns sogar ein
Gegensatz zu der Bestimmtheit der Racen und Stämme wird. Die englische z. B.
und sogar die preußische Nationalität, die erstere aus einer Vermischung von
wenigstens vier Stämmen und Sprachen hervorgegangen, die letztere ein Gemisch
von vielen deutschen und slavischem Völkeriudividnalitäteu, haben eine ganz andere
und höhere Berechtigung, als was man im Kaiserstaate Nationalität nennt, Serben,
Slowaken, Czechen, und Walachen, welche sämmtlich zu einer frühen Zeit in ihrer
nationalen Entwickelung gestört wordeu, und durch ungünstige Verhältnisse in einer
halben krankhaften Existenz erhalten worden sind.


Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in
Oestreich.
(Pesth 1850. C. A. Hartlcbcn.)

Diesen Titel führt eine geistreiche Schrift, welche in diesen Wochen von Pesth
aus in den Buchhandel kam. Der Verfasser hat sich nicht genannt, und wir haben
Ursache, ihm deshalb zu zürnen, denn es wäre von hohem Interesse, den Namen
eines so hochgebildeten und verständigen Mannes zu erfahren. Wahrscheinlich ist
er ein ttugar; — vielleicht Eötvös? Das kleine Buch ist seinem Inhalte nach
bedeutend, doppelt anziehend durch seine Geburtsstätte. So klar und energisch
nud so staatsmännisch gehalten, eine Parteischrift im besten Sinne des Worts.
Der Versasser geht vom Begriff der Nationalität aus, sucht zu beweisen, daß die
nationellen Bestrebungen im unlösbaren Gegensatz zu den Grundsätzen der Freiheit
stehen und in ihrer consequenten Durchführung alle bestehenden Staaten auflösen
müßten; daß auch in Oestreich das Prinzip der Gleichberechtigung mit dem Be-
stehen des cvnstiintionellen Prinzips unverträglich sei und zum Absolutismus führen
müsse, daß es sich überdies vollständig gar nicht durchführen lasse, und doch, nur
theilweise durchgeführt in den Völkern gerade das Gegentheil von Zufriedenheit
hervorrufen und dnrch seine Consequenzen Oestreich zerstören würde. Es folgt sein
Ideal einer Aerfassnug des Kaiserstaats. — Viele seiner Sätze unterschreiben die
Grenzboten unbedingt. — Der loyale Oestreicher, umringt von den nationalen
Kämpfen der östreichischen Völker, deren volksthümliche Forderungen höchst unklar,
leidenschaftlich und zum großen Theil unberechtigt erschiene», ist gewöhnt, Nationa¬
litäten und Staat als Gegensätze zu empfinden, und uuter Nationalität wenig
mehr als die Raceueigeuthüiulichkeit mit ihren unvermeidlichen Neußeruugeu, Volks¬
sitten, Sprache und originellen Empfindungen zu verstehen. Wir, die wir um¬
gekehrt gewöhnt siud, die Eigenthümlichkeit der Nationen, welche sich ans einem
großen gebildeten Staatsleben entwickelt, in ihrem Lebensprozeß zu beobachten,
wie sie sich allmälig gestaltet, ändert, fortbildet, sowohl Urheber als Produkt ihres
Staates; fassen deu Begriff der Nationalität höher, so, daß er uns sogar ein
Gegensatz zu der Bestimmtheit der Racen und Stämme wird. Die englische z. B.
und sogar die preußische Nationalität, die erstere aus einer Vermischung von
wenigstens vier Stämmen und Sprachen hervorgegangen, die letztere ein Gemisch
von vielen deutschen und slavischem Völkeriudividnalitäteu, haben eine ganz andere
und höhere Berechtigung, als was man im Kaiserstaate Nationalität nennt, Serben,
Slowaken, Czechen, und Walachen, welche sämmtlich zu einer frühen Zeit in ihrer
nationalen Entwickelung gestört wordeu, und durch ungünstige Verhältnisse in einer
halben krankhaften Existenz erhalten worden sind.


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[0109] Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Oestreich. (Pesth 1850. C. A. Hartlcbcn.) Diesen Titel führt eine geistreiche Schrift, welche in diesen Wochen von Pesth aus in den Buchhandel kam. Der Verfasser hat sich nicht genannt, und wir haben Ursache, ihm deshalb zu zürnen, denn es wäre von hohem Interesse, den Namen eines so hochgebildeten und verständigen Mannes zu erfahren. Wahrscheinlich ist er ein ttugar; — vielleicht Eötvös? Das kleine Buch ist seinem Inhalte nach bedeutend, doppelt anziehend durch seine Geburtsstätte. So klar und energisch nud so staatsmännisch gehalten, eine Parteischrift im besten Sinne des Worts. Der Versasser geht vom Begriff der Nationalität aus, sucht zu beweisen, daß die nationellen Bestrebungen im unlösbaren Gegensatz zu den Grundsätzen der Freiheit stehen und in ihrer consequenten Durchführung alle bestehenden Staaten auflösen müßten; daß auch in Oestreich das Prinzip der Gleichberechtigung mit dem Be- stehen des cvnstiintionellen Prinzips unverträglich sei und zum Absolutismus führen müsse, daß es sich überdies vollständig gar nicht durchführen lasse, und doch, nur theilweise durchgeführt in den Völkern gerade das Gegentheil von Zufriedenheit hervorrufen und dnrch seine Consequenzen Oestreich zerstören würde. Es folgt sein Ideal einer Aerfassnug des Kaiserstaats. — Viele seiner Sätze unterschreiben die Grenzboten unbedingt. — Der loyale Oestreicher, umringt von den nationalen Kämpfen der östreichischen Völker, deren volksthümliche Forderungen höchst unklar, leidenschaftlich und zum großen Theil unberechtigt erschiene», ist gewöhnt, Nationa¬ litäten und Staat als Gegensätze zu empfinden, und uuter Nationalität wenig mehr als die Raceueigeuthüiulichkeit mit ihren unvermeidlichen Neußeruugeu, Volks¬ sitten, Sprache und originellen Empfindungen zu verstehen. Wir, die wir um¬ gekehrt gewöhnt siud, die Eigenthümlichkeit der Nationen, welche sich ans einem großen gebildeten Staatsleben entwickelt, in ihrem Lebensprozeß zu beobachten, wie sie sich allmälig gestaltet, ändert, fortbildet, sowohl Urheber als Produkt ihres Staates; fassen deu Begriff der Nationalität höher, so, daß er uns sogar ein Gegensatz zu der Bestimmtheit der Racen und Stämme wird. Die englische z. B. und sogar die preußische Nationalität, die erstere aus einer Vermischung von wenigstens vier Stämmen und Sprachen hervorgegangen, die letztere ein Gemisch von vielen deutschen und slavischem Völkeriudividnalitäteu, haben eine ganz andere und höhere Berechtigung, als was man im Kaiserstaate Nationalität nennt, Serben, Slowaken, Czechen, und Walachen, welche sämmtlich zu einer frühen Zeit in ihrer nationalen Entwickelung gestört wordeu, und durch ungünstige Verhältnisse in einer halben krankhaften Existenz erhalten worden sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/109>, abgerufen am 05.05.2024.