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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Deutsche S ta a t s in a n n e r.*>
3.
Georg Freiherr von Vincke.

Der niederschlagende Eindruck, den die neueste preußische Geschichte auf unz
macht, nud der sich um so mehr steigert, je wärmer unser Gefühl für Preußen ist,
bezieht sich weniger auf die Ereignisse selbst, als aus die Personen, die sich in
ihnen geltend machen. Ein Staat kann in seinen Entwürfen fehl gehen, er kann
in seinen Zwecken scheitern, ohne daß wir ihn darum geringschätzen. Aber wenn
seine Träger, einer uach dem andern, das klägliche Bild sittlicher Haltlosigkeit
und geistiger Unklarheit darstellen, wenn sich Schwäche des Willens mit Unredlich¬
keit des Willens paart, kleinliche Bosheit mit fieberhafter Furcht; wenn einen
Tag über deu andern die eine Intrigue die andere verdrängt, bis keiner der
Spieler mehr weiß, welche Rolle er eigentlich vorstellen will, dann wird unsere
Empfindung unmittelbar beleidigt, und über den Verdruß, den die schlecht ge¬
arbeiteten Charaktere in uns hervorrufen, verlieren wir den Faden der gesammten
Handlung.

Unsere Feinde haben nicht verfehlt, was wir thaten, bis in'S kleinste Detail
mit scharfer Aufmerksamkeit zu verfolgen; sie haben Preußen mit beißendem Spott
gegeißelt, mochte es ihren Absichten entgegentreten oder sich ihnen unterwerfen.
Wir haben uus gegen diese Angriffe empört, denn wenn auch dem Anschein nach
nur gegen Einzelne gerichtet, trafen sie das preußische Wesen überhaupt. Aber
wir konnten uus nicht erwehren, wenn wir unter uns waren, denselben Ton an¬
zuschlagen. Wir haben deshalb unser Preusteuthum nicht abgeschüttelt, so wenig
mau aus seiner Haut heraustreten kaun, aber unser Patriotismus, unsere Liebe
und Begeisterung blieb eine Abstraction, denn sie heftete sich an keine bestimmte
Erscheinung.



*) Vergl. Rcidowitz Heft II. Manteuffel Heft 1,2.
Grciizbotcn. II. 18S0.21
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3.
Georg Freiherr von Vincke.

Der niederschlagende Eindruck, den die neueste preußische Geschichte auf unz
macht, nud der sich um so mehr steigert, je wärmer unser Gefühl für Preußen ist,
bezieht sich weniger auf die Ereignisse selbst, als aus die Personen, die sich in
ihnen geltend machen. Ein Staat kann in seinen Entwürfen fehl gehen, er kann
in seinen Zwecken scheitern, ohne daß wir ihn darum geringschätzen. Aber wenn
seine Träger, einer uach dem andern, das klägliche Bild sittlicher Haltlosigkeit
und geistiger Unklarheit darstellen, wenn sich Schwäche des Willens mit Unredlich¬
keit des Willens paart, kleinliche Bosheit mit fieberhafter Furcht; wenn einen
Tag über deu andern die eine Intrigue die andere verdrängt, bis keiner der
Spieler mehr weiß, welche Rolle er eigentlich vorstellen will, dann wird unsere
Empfindung unmittelbar beleidigt, und über den Verdruß, den die schlecht ge¬
arbeiteten Charaktere in uns hervorrufen, verlieren wir den Faden der gesammten
Handlung.

Unsere Feinde haben nicht verfehlt, was wir thaten, bis in'S kleinste Detail
mit scharfer Aufmerksamkeit zu verfolgen; sie haben Preußen mit beißendem Spott
gegeißelt, mochte es ihren Absichten entgegentreten oder sich ihnen unterwerfen.
Wir haben uus gegen diese Angriffe empört, denn wenn auch dem Anschein nach
nur gegen Einzelne gerichtet, trafen sie das preußische Wesen überhaupt. Aber
wir konnten uus nicht erwehren, wenn wir unter uns waren, denselben Ton an¬
zuschlagen. Wir haben deshalb unser Preusteuthum nicht abgeschüttelt, so wenig
mau aus seiner Haut heraustreten kaun, aber unser Patriotismus, unsere Liebe
und Begeisterung blieb eine Abstraction, denn sie heftete sich an keine bestimmte
Erscheinung.



*) Vergl. Rcidowitz Heft II. Manteuffel Heft 1,2.
Grciizbotcn. II. 18S0.21
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[0169] Deutsche S ta a t s in a n n e r.*> 3. Georg Freiherr von Vincke. Der niederschlagende Eindruck, den die neueste preußische Geschichte auf unz macht, nud der sich um so mehr steigert, je wärmer unser Gefühl für Preußen ist, bezieht sich weniger auf die Ereignisse selbst, als aus die Personen, die sich in ihnen geltend machen. Ein Staat kann in seinen Entwürfen fehl gehen, er kann in seinen Zwecken scheitern, ohne daß wir ihn darum geringschätzen. Aber wenn seine Träger, einer uach dem andern, das klägliche Bild sittlicher Haltlosigkeit und geistiger Unklarheit darstellen, wenn sich Schwäche des Willens mit Unredlich¬ keit des Willens paart, kleinliche Bosheit mit fieberhafter Furcht; wenn einen Tag über deu andern die eine Intrigue die andere verdrängt, bis keiner der Spieler mehr weiß, welche Rolle er eigentlich vorstellen will, dann wird unsere Empfindung unmittelbar beleidigt, und über den Verdruß, den die schlecht ge¬ arbeiteten Charaktere in uns hervorrufen, verlieren wir den Faden der gesammten Handlung. Unsere Feinde haben nicht verfehlt, was wir thaten, bis in'S kleinste Detail mit scharfer Aufmerksamkeit zu verfolgen; sie haben Preußen mit beißendem Spott gegeißelt, mochte es ihren Absichten entgegentreten oder sich ihnen unterwerfen. Wir haben uus gegen diese Angriffe empört, denn wenn auch dem Anschein nach nur gegen Einzelne gerichtet, trafen sie das preußische Wesen überhaupt. Aber wir konnten uus nicht erwehren, wenn wir unter uns waren, denselben Ton an¬ zuschlagen. Wir haben deshalb unser Preusteuthum nicht abgeschüttelt, so wenig mau aus seiner Haut heraustreten kaun, aber unser Patriotismus, unsere Liebe und Begeisterung blieb eine Abstraction, denn sie heftete sich an keine bestimmte Erscheinung. *) Vergl. Rcidowitz Heft II. Manteuffel Heft 1,2. Grciizbotcn. II. 18S0.21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/169>, abgerufen am 06.05.2024.