Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Wteyerbeer's Prophet nud die Oper.



Ziemlich schnell ist die Leipziger Aufführung des Propheten auf die Dresdner
gefolgt. Der besonnene Leipziger hat sich nicht beeilt, von dieser Gelegenheit zu
eifrigen Gebrauch zu mache"; das Haus war nicht sehr voll, die doppelten Preise
sagen unserm Publikum uicht zu; es hat die ttcberzeuguug, daß doch noch einmal
eine Zeit kommen werde, wo es sich den nämlichen Genuß wohlfeiler verschaffen
könne, und sein Eifer ist nicht von der Art, daß er ihn zu hastigen Entschlüssen
drängte. Unsre Stadt ist ihrer ganzen Natur uach conservativ: wir wollen uicht
die Contrerevolution, aber wir wollen das Gegentheil der Revolution.

Die Ausstattung war den großen Ansprüchen angemessen, welche der Com-
ponist an die Aeußerlichkeiten seiner Stücke zu stellen gewohnt ist. Eine ganz
neue, stattliche und untadelhafte Garderobe, viel neue Statisten, das (^orps nie
dullot in vielfachen Metamorphosen, an den Windmühlen, dein Sonnenaufgang,
der Winterlandschaft und dein Schlittschuhlauf nichts Erhebliches auszusetzen. Eine
Bemerkung erlaube ich mir, was die Treue des Cvstüms betrifft. Das Pariser
Muster war strenge festgehalten, aber nicht zur Befriedigung des ästhetischen Sin¬
nes. Zweifarbige Tricots -- das rechte Bein blau, das linke gelb -- galt bisher
für das officielle Narrcucosrüm, und es befremdet,, ein ganzes tragisches Stück in
Narrenmaöken gespielt zu scheu. Die runden Filzmützcn mit aufgekrempten Hin¬
teren Rande tragen nicht dazu bei, den Ernst des Eindrucks zu erhöhen. Was
geht es uns an, daß diese geschmacklose Tracht wirklich eine kurze Zeit in Holland
grassirt hat! Wenn wir in dem Krönungssaal Johann's von Leyden Pariser
Ballet-Tänzerinnen ertrage", so können wir uus auch schou, ohne eine Sünde am
heiligen Geist historischer Gewissenhaftigkeit zu begehen, einfarbige Beine gefallen
lassen. Wir siud um so scrupulöser im Costüm, in den Raritäten, je leichtsinni-
ger wir mit dem eigentlichen Inhalt der Geschichte umgehen, und mau kann von
unserer historischen Genremalerei die Ausdrücke-gebrauchen, mit denen der Holksche
Jäger den Wachtmeister verspottet: Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das
habt ihr ihm glücklich abgeguckt, aber sein Genie, ich meine sein Geist, sich nicht
ans der Wachtparade weist. -- Ich gehe zur Sache über.

Die Anforderungen, die man an das Theater stellt, und zu stellen berechtigt
ist, sind heute der Art, daß die Oper, welche mau früher als eine Luxuspflauze
aus dem heiligen Garten der Poesie verbannte, eine vollkommen gleichberechtigte
und ebenbürtige Stellung einnehmen darf, wenn sie ihre Aufgabe versteht. Das
moderne Drama, wie es seine vorzüglichsten Träger in Shakespeare, Lessing und
Goethe gefunden hat, nud wie es uoch von den französischen Romantikern, den
Jungdeutschen n. s. w. verstanden wird, hat sich in seiner subjectiven Richtung
so verloren, daß es nach allen Seiten hin der Gefahr eines psychologischen Naf-


Gn'iiMcn II. 1850. '3
Wteyerbeer's Prophet nud die Oper.



Ziemlich schnell ist die Leipziger Aufführung des Propheten auf die Dresdner
gefolgt. Der besonnene Leipziger hat sich nicht beeilt, von dieser Gelegenheit zu
eifrigen Gebrauch zu mache»; das Haus war nicht sehr voll, die doppelten Preise
sagen unserm Publikum uicht zu; es hat die ttcberzeuguug, daß doch noch einmal
eine Zeit kommen werde, wo es sich den nämlichen Genuß wohlfeiler verschaffen
könne, und sein Eifer ist nicht von der Art, daß er ihn zu hastigen Entschlüssen
drängte. Unsre Stadt ist ihrer ganzen Natur uach conservativ: wir wollen uicht
die Contrerevolution, aber wir wollen das Gegentheil der Revolution.

Die Ausstattung war den großen Ansprüchen angemessen, welche der Com-
ponist an die Aeußerlichkeiten seiner Stücke zu stellen gewohnt ist. Eine ganz
neue, stattliche und untadelhafte Garderobe, viel neue Statisten, das (^orps nie
dullot in vielfachen Metamorphosen, an den Windmühlen, dein Sonnenaufgang,
der Winterlandschaft und dein Schlittschuhlauf nichts Erhebliches auszusetzen. Eine
Bemerkung erlaube ich mir, was die Treue des Cvstüms betrifft. Das Pariser
Muster war strenge festgehalten, aber nicht zur Befriedigung des ästhetischen Sin¬
nes. Zweifarbige Tricots — das rechte Bein blau, das linke gelb — galt bisher
für das officielle Narrcucosrüm, und es befremdet,, ein ganzes tragisches Stück in
Narrenmaöken gespielt zu scheu. Die runden Filzmützcn mit aufgekrempten Hin¬
teren Rande tragen nicht dazu bei, den Ernst des Eindrucks zu erhöhen. Was
geht es uns an, daß diese geschmacklose Tracht wirklich eine kurze Zeit in Holland
grassirt hat! Wenn wir in dem Krönungssaal Johann's von Leyden Pariser
Ballet-Tänzerinnen ertrage», so können wir uus auch schou, ohne eine Sünde am
heiligen Geist historischer Gewissenhaftigkeit zu begehen, einfarbige Beine gefallen
lassen. Wir siud um so scrupulöser im Costüm, in den Raritäten, je leichtsinni-
ger wir mit dem eigentlichen Inhalt der Geschichte umgehen, und mau kann von
unserer historischen Genremalerei die Ausdrücke-gebrauchen, mit denen der Holksche
Jäger den Wachtmeister verspottet: Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das
habt ihr ihm glücklich abgeguckt, aber sein Genie, ich meine sein Geist, sich nicht
ans der Wachtparade weist. — Ich gehe zur Sache über.

Die Anforderungen, die man an das Theater stellt, und zu stellen berechtigt
ist, sind heute der Art, daß die Oper, welche mau früher als eine Luxuspflauze
aus dem heiligen Garten der Poesie verbannte, eine vollkommen gleichberechtigte
und ebenbürtige Stellung einnehmen darf, wenn sie ihre Aufgabe versteht. Das
moderne Drama, wie es seine vorzüglichsten Träger in Shakespeare, Lessing und
Goethe gefunden hat, nud wie es uoch von den französischen Romantikern, den
Jungdeutschen n. s. w. verstanden wird, hat sich in seiner subjectiven Richtung
so verloren, daß es nach allen Seiten hin der Gefahr eines psychologischen Naf-


Gn'iiMcn II. 1850. '3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185361"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wteyerbeer's Prophet nud die Oper.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_52"> Ziemlich schnell ist die Leipziger Aufführung des Propheten auf die Dresdner<lb/>
gefolgt. Der besonnene Leipziger hat sich nicht beeilt, von dieser Gelegenheit zu<lb/>
eifrigen Gebrauch zu mache»; das Haus war nicht sehr voll, die doppelten Preise<lb/>
sagen unserm Publikum uicht zu; es hat die ttcberzeuguug, daß doch noch einmal<lb/>
eine Zeit kommen werde, wo es sich den nämlichen Genuß wohlfeiler verschaffen<lb/>
könne, und sein Eifer ist nicht von der Art, daß er ihn zu hastigen Entschlüssen<lb/>
drängte. Unsre Stadt ist ihrer ganzen Natur uach conservativ: wir wollen uicht<lb/>
die Contrerevolution, aber wir wollen das Gegentheil der Revolution.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_53"> Die Ausstattung war den großen Ansprüchen angemessen, welche der Com-<lb/>
ponist an die Aeußerlichkeiten seiner Stücke zu stellen gewohnt ist. Eine ganz<lb/>
neue, stattliche und untadelhafte Garderobe, viel neue Statisten, das (^orps nie<lb/>
dullot in vielfachen Metamorphosen, an den Windmühlen, dein Sonnenaufgang,<lb/>
der Winterlandschaft und dein Schlittschuhlauf nichts Erhebliches auszusetzen. Eine<lb/>
Bemerkung erlaube ich mir, was die Treue des Cvstüms betrifft. Das Pariser<lb/>
Muster war strenge festgehalten, aber nicht zur Befriedigung des ästhetischen Sin¬<lb/>
nes. Zweifarbige Tricots &#x2014; das rechte Bein blau, das linke gelb &#x2014; galt bisher<lb/>
für das officielle Narrcucosrüm, und es befremdet,, ein ganzes tragisches Stück in<lb/>
Narrenmaöken gespielt zu scheu. Die runden Filzmützcn mit aufgekrempten Hin¬<lb/>
teren Rande tragen nicht dazu bei, den Ernst des Eindrucks zu erhöhen. Was<lb/>
geht es uns an, daß diese geschmacklose Tracht wirklich eine kurze Zeit in Holland<lb/>
grassirt hat! Wenn wir in dem Krönungssaal Johann's von Leyden Pariser<lb/>
Ballet-Tänzerinnen ertrage», so können wir uus auch schou, ohne eine Sünde am<lb/>
heiligen Geist historischer Gewissenhaftigkeit zu begehen, einfarbige Beine gefallen<lb/>
lassen. Wir siud um so scrupulöser im Costüm, in den Raritäten, je leichtsinni-<lb/>
ger wir mit dem eigentlichen Inhalt der Geschichte umgehen, und mau kann von<lb/>
unserer historischen Genremalerei die Ausdrücke-gebrauchen, mit denen der Holksche<lb/>
Jäger den Wachtmeister verspottet: Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das<lb/>
habt ihr ihm glücklich abgeguckt, aber sein Genie, ich meine sein Geist, sich nicht<lb/>
ans der Wachtparade weist. &#x2014; Ich gehe zur Sache über.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_54" next="#ID_55"> Die Anforderungen, die man an das Theater stellt, und zu stellen berechtigt<lb/>
ist, sind heute der Art, daß die Oper, welche mau früher als eine Luxuspflauze<lb/>
aus dem heiligen Garten der Poesie verbannte, eine vollkommen gleichberechtigte<lb/>
und ebenbürtige Stellung einnehmen darf, wenn sie ihre Aufgabe versteht. Das<lb/>
moderne Drama, wie es seine vorzüglichsten Träger in Shakespeare, Lessing und<lb/>
Goethe gefunden hat, nud wie es uoch von den französischen Romantikern, den<lb/>
Jungdeutschen n. s. w. verstanden wird, hat sich in seiner subjectiven Richtung<lb/>
so verloren, daß es nach allen Seiten hin der Gefahr eines psychologischen Naf-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gn'iiMcn II. 1850. '3</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] Wteyerbeer's Prophet nud die Oper. Ziemlich schnell ist die Leipziger Aufführung des Propheten auf die Dresdner gefolgt. Der besonnene Leipziger hat sich nicht beeilt, von dieser Gelegenheit zu eifrigen Gebrauch zu mache»; das Haus war nicht sehr voll, die doppelten Preise sagen unserm Publikum uicht zu; es hat die ttcberzeuguug, daß doch noch einmal eine Zeit kommen werde, wo es sich den nämlichen Genuß wohlfeiler verschaffen könne, und sein Eifer ist nicht von der Art, daß er ihn zu hastigen Entschlüssen drängte. Unsre Stadt ist ihrer ganzen Natur uach conservativ: wir wollen uicht die Contrerevolution, aber wir wollen das Gegentheil der Revolution. Die Ausstattung war den großen Ansprüchen angemessen, welche der Com- ponist an die Aeußerlichkeiten seiner Stücke zu stellen gewohnt ist. Eine ganz neue, stattliche und untadelhafte Garderobe, viel neue Statisten, das (^orps nie dullot in vielfachen Metamorphosen, an den Windmühlen, dein Sonnenaufgang, der Winterlandschaft und dein Schlittschuhlauf nichts Erhebliches auszusetzen. Eine Bemerkung erlaube ich mir, was die Treue des Cvstüms betrifft. Das Pariser Muster war strenge festgehalten, aber nicht zur Befriedigung des ästhetischen Sin¬ nes. Zweifarbige Tricots — das rechte Bein blau, das linke gelb — galt bisher für das officielle Narrcucosrüm, und es befremdet,, ein ganzes tragisches Stück in Narrenmaöken gespielt zu scheu. Die runden Filzmützcn mit aufgekrempten Hin¬ teren Rande tragen nicht dazu bei, den Ernst des Eindrucks zu erhöhen. Was geht es uns an, daß diese geschmacklose Tracht wirklich eine kurze Zeit in Holland grassirt hat! Wenn wir in dem Krönungssaal Johann's von Leyden Pariser Ballet-Tänzerinnen ertrage», so können wir uus auch schou, ohne eine Sünde am heiligen Geist historischer Gewissenhaftigkeit zu begehen, einfarbige Beine gefallen lassen. Wir siud um so scrupulöser im Costüm, in den Raritäten, je leichtsinni- ger wir mit dem eigentlichen Inhalt der Geschichte umgehen, und mau kann von unserer historischen Genremalerei die Ausdrücke-gebrauchen, mit denen der Holksche Jäger den Wachtmeister verspottet: Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das habt ihr ihm glücklich abgeguckt, aber sein Genie, ich meine sein Geist, sich nicht ans der Wachtparade weist. — Ich gehe zur Sache über. Die Anforderungen, die man an das Theater stellt, und zu stellen berechtigt ist, sind heute der Art, daß die Oper, welche mau früher als eine Luxuspflauze aus dem heiligen Garten der Poesie verbannte, eine vollkommen gleichberechtigte und ebenbürtige Stellung einnehmen darf, wenn sie ihre Aufgabe versteht. Das moderne Drama, wie es seine vorzüglichsten Träger in Shakespeare, Lessing und Goethe gefunden hat, nud wie es uoch von den französischen Romantikern, den Jungdeutschen n. s. w. verstanden wird, hat sich in seiner subjectiven Richtung so verloren, daß es nach allen Seiten hin der Gefahr eines psychologischen Naf- Gn'iiMcn II. 1850. '3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/25
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/25>, abgerufen am 06.05.2024.