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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die Wahlrefovm in Frankreich.



Sollte es dem Verfasser des ewigen Juden begegnen, daß seine Dichtungen
seinen Namen nicht unsterblich machten, so ist das Schicksal darauf bedacht ge¬
wesen, ihn ans eine andere Weise zu entschädigen. Die Wahl Engen Sue's
zum Abgeordneten von Paris bat die Veranlassung zu einer der wichtigsten Er¬
eignisse in der Geschickte der jungen Republik gegeben.

Woher kommt der gewaltige Eindruck, den die neuen Wahlen auf die ge¬
stimmte conservative Partei gemacht haben? -- Sie haben mit Schrecken gesehn,
das; die gemäßigten ,,honetten" Republikaner für die socialistischen Kandidaten
gestimmt haben, gegen die sie im Juni auf den Barrikaden kämpften, und sie
müssen sich uun die Möglichkeit vor Augen stellen, daß im I. 1852 eine sociali¬
stische Mehrheit aus der Koalition beider Parteien hervorgeht.

Was sie aber von einer socialistischen Mehrheit fürchten, hat Herr Thiers
am deutlichsten ausgesprochen. Nicht ein agrarisches Gesetz im Sinne deS Eom-
muniömnS, denn dieses ist unmöglich, sondern die Eröffnung eines allgemeinen
Staatöcreditö für die Arbeiter, die unbegrenzte Ausgabe von Papiergeld und
damit die Entwerthung und Unsicherheit alles Eigenthums.

Diesem vorzubeugen, wollen sie die Armee des Socialismus aus dein ge¬
setzlichen Boden heraufdrangen, sie halten die Gefahr, ihr auf ungesetzlichen
Boden zu begegnen, für geringer.

Sie wollen es bei ihrer Reform deö Wahlgesetzes vermeiden, den Buch¬
staben der Verfassung zu verletze". Sie wollen eS sür jetzt, obgleich sie es durch
das Organ ihrer beredtesten Führer erklärt haben, daß im Fall eines entstbiede-
ncn Widerspruchs zwischen der Verfassung und dem Heil Frankreichs sie keinen
Anstand nehmen würden, für das Heil F aukreichS ein^utreieu.

Die Verfassung verbietet mit bestimmten Ausdrücken, bei der Bestimmung
des activen Wahlrechts, folgende Punkte eintreten zu lassen: eüieu EeusuS irgend
welcher Art, Erhöhung des erforderlichen Alters vou 21 Jahren, indirecte Wahl.
Sie hat es vergessen, andere Beschränkungen zu mttersageu. Die conservatwe
Partei und ihre Siebzehner-Comnussion hat also nur eine geringe Auswahl von
Bestimmungen gehabt, durch die sie das aeiive Wahlrecht beschränken konnte,
und sie hat die wirksamste gewählt: die Nothwendigkeit eines dreijährigen Aufent-
halts in der Wahlgemeinde -- entsprechend der dreijährige" Periode der Legislatur.
Die Verfassung lenkte nur einen halbjährigen Aufenthalt verlangt.

Niemand wird darau zweifeln, daß durch die Einführung dieser Beschränkung
die Absicht der Constitution wesentlich verändert wird; denn sie schließt eine
Zahl von beiläufig drei Millionen Urwahleru aus; llrwähleru, die meistens die
Armee des Socialismus recrutiren. Aber der Buchstabe der Verfassung wird
nicht verletzt.


Die Wahlrefovm in Frankreich.



Sollte es dem Verfasser des ewigen Juden begegnen, daß seine Dichtungen
seinen Namen nicht unsterblich machten, so ist das Schicksal darauf bedacht ge¬
wesen, ihn ans eine andere Weise zu entschädigen. Die Wahl Engen Sue's
zum Abgeordneten von Paris bat die Veranlassung zu einer der wichtigsten Er¬
eignisse in der Geschickte der jungen Republik gegeben.

Woher kommt der gewaltige Eindruck, den die neuen Wahlen auf die ge¬
stimmte conservative Partei gemacht haben? — Sie haben mit Schrecken gesehn,
das; die gemäßigten ,,honetten" Republikaner für die socialistischen Kandidaten
gestimmt haben, gegen die sie im Juni auf den Barrikaden kämpften, und sie
müssen sich uun die Möglichkeit vor Augen stellen, daß im I. 1852 eine sociali¬
stische Mehrheit aus der Koalition beider Parteien hervorgeht.

Was sie aber von einer socialistischen Mehrheit fürchten, hat Herr Thiers
am deutlichsten ausgesprochen. Nicht ein agrarisches Gesetz im Sinne deS Eom-
muniömnS, denn dieses ist unmöglich, sondern die Eröffnung eines allgemeinen
Staatöcreditö für die Arbeiter, die unbegrenzte Ausgabe von Papiergeld und
damit die Entwerthung und Unsicherheit alles Eigenthums.

Diesem vorzubeugen, wollen sie die Armee des Socialismus aus dein ge¬
setzlichen Boden heraufdrangen, sie halten die Gefahr, ihr auf ungesetzlichen
Boden zu begegnen, für geringer.

Sie wollen es bei ihrer Reform deö Wahlgesetzes vermeiden, den Buch¬
staben der Verfassung zu verletze». Sie wollen eS sür jetzt, obgleich sie es durch
das Organ ihrer beredtesten Führer erklärt haben, daß im Fall eines entstbiede-
ncn Widerspruchs zwischen der Verfassung und dem Heil Frankreichs sie keinen
Anstand nehmen würden, für das Heil F aukreichS ein^utreieu.

Die Verfassung verbietet mit bestimmten Ausdrücken, bei der Bestimmung
des activen Wahlrechts, folgende Punkte eintreten zu lassen: eüieu EeusuS irgend
welcher Art, Erhöhung des erforderlichen Alters vou 21 Jahren, indirecte Wahl.
Sie hat es vergessen, andere Beschränkungen zu mttersageu. Die conservatwe
Partei und ihre Siebzehner-Comnussion hat also nur eine geringe Auswahl von
Bestimmungen gehabt, durch die sie das aeiive Wahlrecht beschränken konnte,
und sie hat die wirksamste gewählt: die Nothwendigkeit eines dreijährigen Aufent-
halts in der Wahlgemeinde — entsprechend der dreijährige» Periode der Legislatur.
Die Verfassung lenkte nur einen halbjährigen Aufenthalt verlangt.

Niemand wird darau zweifeln, daß durch die Einführung dieser Beschränkung
die Absicht der Constitution wesentlich verändert wird; denn sie schließt eine
Zahl von beiläufig drei Millionen Urwahleru aus; llrwähleru, die meistens die
Armee des Socialismus recrutiren. Aber der Buchstabe der Verfassung wird
nicht verletzt.


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[0374] Die Wahlrefovm in Frankreich. Sollte es dem Verfasser des ewigen Juden begegnen, daß seine Dichtungen seinen Namen nicht unsterblich machten, so ist das Schicksal darauf bedacht ge¬ wesen, ihn ans eine andere Weise zu entschädigen. Die Wahl Engen Sue's zum Abgeordneten von Paris bat die Veranlassung zu einer der wichtigsten Er¬ eignisse in der Geschickte der jungen Republik gegeben. Woher kommt der gewaltige Eindruck, den die neuen Wahlen auf die ge¬ stimmte conservative Partei gemacht haben? — Sie haben mit Schrecken gesehn, das; die gemäßigten ,,honetten" Republikaner für die socialistischen Kandidaten gestimmt haben, gegen die sie im Juni auf den Barrikaden kämpften, und sie müssen sich uun die Möglichkeit vor Augen stellen, daß im I. 1852 eine sociali¬ stische Mehrheit aus der Koalition beider Parteien hervorgeht. Was sie aber von einer socialistischen Mehrheit fürchten, hat Herr Thiers am deutlichsten ausgesprochen. Nicht ein agrarisches Gesetz im Sinne deS Eom- muniömnS, denn dieses ist unmöglich, sondern die Eröffnung eines allgemeinen Staatöcreditö für die Arbeiter, die unbegrenzte Ausgabe von Papiergeld und damit die Entwerthung und Unsicherheit alles Eigenthums. Diesem vorzubeugen, wollen sie die Armee des Socialismus aus dein ge¬ setzlichen Boden heraufdrangen, sie halten die Gefahr, ihr auf ungesetzlichen Boden zu begegnen, für geringer. Sie wollen es bei ihrer Reform deö Wahlgesetzes vermeiden, den Buch¬ staben der Verfassung zu verletze». Sie wollen eS sür jetzt, obgleich sie es durch das Organ ihrer beredtesten Führer erklärt haben, daß im Fall eines entstbiede- ncn Widerspruchs zwischen der Verfassung und dem Heil Frankreichs sie keinen Anstand nehmen würden, für das Heil F aukreichS ein^utreieu. Die Verfassung verbietet mit bestimmten Ausdrücken, bei der Bestimmung des activen Wahlrechts, folgende Punkte eintreten zu lassen: eüieu EeusuS irgend welcher Art, Erhöhung des erforderlichen Alters vou 21 Jahren, indirecte Wahl. Sie hat es vergessen, andere Beschränkungen zu mttersageu. Die conservatwe Partei und ihre Siebzehner-Comnussion hat also nur eine geringe Auswahl von Bestimmungen gehabt, durch die sie das aeiive Wahlrecht beschränken konnte, und sie hat die wirksamste gewählt: die Nothwendigkeit eines dreijährigen Aufent- halts in der Wahlgemeinde — entsprechend der dreijährige» Periode der Legislatur. Die Verfassung lenkte nur einen halbjährigen Aufenthalt verlangt. Niemand wird darau zweifeln, daß durch die Einführung dieser Beschränkung die Absicht der Constitution wesentlich verändert wird; denn sie schließt eine Zahl von beiläufig drei Millionen Urwahleru aus; llrwähleru, die meistens die Armee des Socialismus recrutiren. Aber der Buchstabe der Verfassung wird nicht verletzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/374>, abgerufen am 05.05.2024.