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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Das provisorische Oestreich.
Von Franz Schuselka.

Eine Schrift gegen das Ministerium und die Ordounanzregierung, in welcher
der Verfasser die Unhaltbarkeit der jetzigen Negierung nachzuweisen sucht. Die
Thätigkeit und die Persönlichkeiten der einzelnen Minister werden kritisirt und die
Schlußfolgerung ist, daß der nächste Reichstag dem Ministerium und der ganzen
jetzigen Politik ein schnelles und ruhmloses Ende machen müsse. Das Buch ist
mit der biedern Herzlichkeit und warmen Ueberzeugung geschrieben, welche die
Schriften Schnselka's charakterisirt; der Eindruck, welchen es macht, ist günstiger,
als der einiger seiner früheren politischen Broschüren; das Ministerium ist sehr
heftig angegriffen, aber der Angreifende zeigt Haltung, Maß, die feste ehrenhafte
Redlichkeit, welche einer solchen polemischen Schrift bei Freund und Gegner die
beste Empfehlung ist. Schuselka entwickelt jetzt eine energische Thätigkeit als
Schriftsteller, seit seinen "Fahrten," "Deutsch oder Russisch" und dem "Interim"
erschien noch: Beleuchtung der Aufklärungen des Grafen Kquelmont; vom zweiten
Band der Fahrten wird jetzt die zweite Auflage herauskommen. Auch diese letzte
Schrift muß wieder im Ausland gedruckt und verlegt werden, es ist schon dieser
Umstand eine herbe Anklage gegen das Ministerium, daß die Arbeiten eines so
ehrenwerthen und uicht unmäßigen Mannes eine Geburtsstätte außerhalb dein
Revier des kaiserlichen Aars suchen müssen.

Wir theilen unsern Lesern eine charakteristische Stelle der Abhandlung mit:
"Wer ein geniales Werk schaffen soll, der muß vor allem andern eben Genie be¬
sitzen.-- Da alle Welt überzeugt ist, daß zur Organisirung Oestreichs der höchste
Grad genialer Originalität nothwendig sei, und da das Ministerium Schwarzen-
berg nicht den allergeringsten Grad dieser Begabung beweist, so ist die natürliche
Folge davon, daß niemand diesem Münsterimndie Vollbringung des großen Werkes
zutraut, daß also der gesammte Bestand Oestreichs jedem Denker als ein proviso¬
rischer erscheint.

"Dies ist in so hohem Grade eine Wahrheit, daß das Ministerium selber es
anerkennt. Die Macht der Wahrheit zwingt es, jedem seiner Gesetze und Ver¬
fügungen eigenhändig das Kennzeichen des Provisoriums an die Stirne zu schrei¬
ben. Alles ist provisorisch im neuen Oestreich bis auf die Fiakertaxe hinab, und
in der Art und Weise, wie dieses Gesetz verhöhnt wird, liegt ein tragikomisches
Omen für alle andern, liegt der populäre Beweis, wie wenig Respekt mau vor
der ganzen provisorischen Gesetzgebung überhaupt hat.

"Sie wird von Tag zu Tag mehr ein Gegenstand des Witzes und Spottes.
Wo wird deun das neue Oestreich gemacht? frägt man; und die Antwort lautet:
In der k. k. Hos- und Staatsdruckerei wird es gedruckt! Und in der. That ist


Das provisorische Oestreich.
Von Franz Schuselka.

Eine Schrift gegen das Ministerium und die Ordounanzregierung, in welcher
der Verfasser die Unhaltbarkeit der jetzigen Negierung nachzuweisen sucht. Die
Thätigkeit und die Persönlichkeiten der einzelnen Minister werden kritisirt und die
Schlußfolgerung ist, daß der nächste Reichstag dem Ministerium und der ganzen
jetzigen Politik ein schnelles und ruhmloses Ende machen müsse. Das Buch ist
mit der biedern Herzlichkeit und warmen Ueberzeugung geschrieben, welche die
Schriften Schnselka's charakterisirt; der Eindruck, welchen es macht, ist günstiger,
als der einiger seiner früheren politischen Broschüren; das Ministerium ist sehr
heftig angegriffen, aber der Angreifende zeigt Haltung, Maß, die feste ehrenhafte
Redlichkeit, welche einer solchen polemischen Schrift bei Freund und Gegner die
beste Empfehlung ist. Schuselka entwickelt jetzt eine energische Thätigkeit als
Schriftsteller, seit seinen „Fahrten," „Deutsch oder Russisch" und dem „Interim"
erschien noch: Beleuchtung der Aufklärungen des Grafen Kquelmont; vom zweiten
Band der Fahrten wird jetzt die zweite Auflage herauskommen. Auch diese letzte
Schrift muß wieder im Ausland gedruckt und verlegt werden, es ist schon dieser
Umstand eine herbe Anklage gegen das Ministerium, daß die Arbeiten eines so
ehrenwerthen und uicht unmäßigen Mannes eine Geburtsstätte außerhalb dein
Revier des kaiserlichen Aars suchen müssen.

Wir theilen unsern Lesern eine charakteristische Stelle der Abhandlung mit:
„Wer ein geniales Werk schaffen soll, der muß vor allem andern eben Genie be¬
sitzen.— Da alle Welt überzeugt ist, daß zur Organisirung Oestreichs der höchste
Grad genialer Originalität nothwendig sei, und da das Ministerium Schwarzen-
berg nicht den allergeringsten Grad dieser Begabung beweist, so ist die natürliche
Folge davon, daß niemand diesem Münsterimndie Vollbringung des großen Werkes
zutraut, daß also der gesammte Bestand Oestreichs jedem Denker als ein proviso¬
rischer erscheint.

„Dies ist in so hohem Grade eine Wahrheit, daß das Ministerium selber es
anerkennt. Die Macht der Wahrheit zwingt es, jedem seiner Gesetze und Ver¬
fügungen eigenhändig das Kennzeichen des Provisoriums an die Stirne zu schrei¬
ben. Alles ist provisorisch im neuen Oestreich bis auf die Fiakertaxe hinab, und
in der Art und Weise, wie dieses Gesetz verhöhnt wird, liegt ein tragikomisches
Omen für alle andern, liegt der populäre Beweis, wie wenig Respekt mau vor
der ganzen provisorischen Gesetzgebung überhaupt hat.

„Sie wird von Tag zu Tag mehr ein Gegenstand des Witzes und Spottes.
Wo wird deun das neue Oestreich gemacht? frägt man; und die Antwort lautet:
In der k. k. Hos- und Staatsdruckerei wird es gedruckt! Und in der. That ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/62>, abgerufen am 06.05.2024.