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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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und ein Unglück für den Staat sind. Noch bemerke ich, daß bei diesem Entwurf
die militärische" Lehrer als verheirathet angenommen werden, so daß die Frau
Lehrerin und Aufseherin der Dorfmädchen wird. --Alles, was sich gegen die Grund¬
züge des Planes einwenden läßt, und er wird auf allen Seiten Anstoß erregen,
ist für eine energische Regierung kein Hinderniß. Die Widersetzlichkeit der Bauern
selbst läßt sich durch Prämien, die Widersetzlichkeit der Geistlichkeit, denen aller¬
dings nur der Religionsunterricht und freundliche Assistenz, aber kein Anfsichts-
recht über die neuen Schulen bleiben darf, läßt sich durch Energie, und die
Bedenken der Demokraten und der Ultraconservativen durch Hinweis auf die jam¬
mervolle und gefährliche Gegenwart dieses Volksstaunnes besiegen. Auch die geeig¬
neten Lehrer zu schaffen, ist in Preußen durchaus uicht unmöglich. Wer selbst Soldat
war, weiß, daß es in jeder Compagnie eine Anzahl Männer gibt, welche Beruf und
Lust hätten, sich einer solchen Thätigkeit zu widmen.

So sehr ich glaube, daß die jetzige Regierung Preußens für eine so kühne
Maßregel wenig Sympathien haben wird, so sest ist auch meine Ueberzeugung,
daß sowohl in dem polnischen Oberschlesien, als in den Weberdörfern des Gebirgs
nur auf diese Weise Heilung der schwersten Leiden möglich ist. Der Annaberg
aber mag noch manchmal sein Haupt in weißen Schnee hüllen, und manche Som¬
mersonne mag noch auf seine schwarzen Steine brennen, bevor die bittere Roll)
zwingen wird, das ins Werk zu setzen, was im Frühjahr 184" hätte beginnen
müssen.




Reden von Stahl.
W. Hertz.

Stahl gehört zu deu ausgezeichneten Denkern, die man nicht unbeachtet
lassen kann, auch wenn man das ganze Prinzip ihres Denkens und Empfindens
zu verwerfen geneigt sein sollte. Wir werden in der Galerie deutscher Staats¬
männer versuchen, ein Gesammtbild seiner politischen Thätigkeit zu geben. --
Für den Augenblick interessirt uns in der vorliegenden Sammlung seiner Reden
vor allem ein Schlußanfsatz, in welchem er seine Ansicht über das Verhältnis) der
Union zum deutschen Bunde ausspricht. Wir entnehmen daraus, wie nahe sich eigentlich
die verschiedenen politischen Parteien stehen würden, in allen Fragen, bei denen
es auf eine materielle Entscheidung ankommt, wenn sie einen Augenblick ihr ab-
stractes Prinzip, das Schiboleth ihrer Deklamationen, aus dem Gedächtniß lassen
wollten.


und ein Unglück für den Staat sind. Noch bemerke ich, daß bei diesem Entwurf
die militärische» Lehrer als verheirathet angenommen werden, so daß die Frau
Lehrerin und Aufseherin der Dorfmädchen wird. —Alles, was sich gegen die Grund¬
züge des Planes einwenden läßt, und er wird auf allen Seiten Anstoß erregen,
ist für eine energische Regierung kein Hinderniß. Die Widersetzlichkeit der Bauern
selbst läßt sich durch Prämien, die Widersetzlichkeit der Geistlichkeit, denen aller¬
dings nur der Religionsunterricht und freundliche Assistenz, aber kein Anfsichts-
recht über die neuen Schulen bleiben darf, läßt sich durch Energie, und die
Bedenken der Demokraten und der Ultraconservativen durch Hinweis auf die jam¬
mervolle und gefährliche Gegenwart dieses Volksstaunnes besiegen. Auch die geeig¬
neten Lehrer zu schaffen, ist in Preußen durchaus uicht unmöglich. Wer selbst Soldat
war, weiß, daß es in jeder Compagnie eine Anzahl Männer gibt, welche Beruf und
Lust hätten, sich einer solchen Thätigkeit zu widmen.

So sehr ich glaube, daß die jetzige Regierung Preußens für eine so kühne
Maßregel wenig Sympathien haben wird, so sest ist auch meine Ueberzeugung,
daß sowohl in dem polnischen Oberschlesien, als in den Weberdörfern des Gebirgs
nur auf diese Weise Heilung der schwersten Leiden möglich ist. Der Annaberg
aber mag noch manchmal sein Haupt in weißen Schnee hüllen, und manche Som¬
mersonne mag noch auf seine schwarzen Steine brennen, bevor die bittere Roll)
zwingen wird, das ins Werk zu setzen, was im Frühjahr 184» hätte beginnen
müssen.




Reden von Stahl.
W. Hertz.

Stahl gehört zu deu ausgezeichneten Denkern, die man nicht unbeachtet
lassen kann, auch wenn man das ganze Prinzip ihres Denkens und Empfindens
zu verwerfen geneigt sein sollte. Wir werden in der Galerie deutscher Staats¬
männer versuchen, ein Gesammtbild seiner politischen Thätigkeit zu geben. —
Für den Augenblick interessirt uns in der vorliegenden Sammlung seiner Reden
vor allem ein Schlußanfsatz, in welchem er seine Ansicht über das Verhältnis) der
Union zum deutschen Bunde ausspricht. Wir entnehmen daraus, wie nahe sich eigentlich
die verschiedenen politischen Parteien stehen würden, in allen Fragen, bei denen
es auf eine materielle Entscheidung ankommt, wenn sie einen Augenblick ihr ab-
stractes Prinzip, das Schiboleth ihrer Deklamationen, aus dem Gedächtniß lassen
wollten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/178>, abgerufen am 07.05.2024.