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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Kunst studiren, so erkennen wir, wie die vorhandenen Elemente in ihnen sich
zunächst einzeln geltend machten, che sie zu einer neuen Einheit verschmolzen.
Eine große Zukunft der Musik kann nur da erstehen, wo die bis jetzt gegebenen
musikalischen und geistigen Elemente in reicher Fülle zusammenwirken. Dies ist
nirgends mehr der Fall, als in Berlin. An Lehrmeistern der Kunst besitzt es die
besten, die die Gegenwart aufzuweisen haben möchte: Marx, den Vertreter des
modernen Princips der Wahrheit, Dehn, den strengen Grammatiker, den gelehrten
Kenner der alt-italienischen Schule, Grell und Nuugeuhagen, die Schüler der
Fasch'schen Richtung. Das wichtigste Element aber sür die Musik der Zukunft ist
die geistige Bildung des Musikers. Ohne in dem Fluß der modernen Ideen zu
leben, ohne zur geistigen Freiheit und Lebendigkeit erstarkt zu sei", wird kein
Componist dem Ideal, das die gebildete Welt von musikalischen Werken ersten
Ranges sich gebildet hat, zu entsprechen im Stande sein. Daß dem Musiker
nirgends eine reichere Gelegenheit geboten wird, die Fülle der modernen Bildung
in sich aufzunehmen, daß er hier, wenn er die innere Begabung dazu mitbringt,
unwillkürlich von der Strömung getragen wird, während er in jedem andern
Ort Gefahr lauft, zu frühzeitig in eine beschränkte Subjectivität zu verfallen, zu
frühzeitig mit sich abzuschließen, das liegt in dem Zusammenströmen der bedeutendsten
Talente ans allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft hierher, in dem steten
Wechsel,- dem stets regen Leben Berlins mit Nothwendigkeit begründet. Eins
fehlt, um Berlin zu der vollendetsten Kunstschule zu machen: ein nach allen Seiten
der musikalischen Technik sich erstreckendes Konservatorium, das einen äußern
Mittelpunkt für die vielen hier vorhandenen Kräfte abgäbe und der Zerfahrenheit
unserer musikalischen Zustände, die namentlich für den jungen Musiker verderblich
ist, entgegenarbeitete. Hoffentlich wird der Staat bald dazu schreiten, diesen lang
gepflegten Gedanken zu verwirklichen; denn das von Stern und Kullak ange-
kündigte Conservatorinm trägt nicht Namen an der Spitze, die für dies Ziel
sonderliche Hoffnungen erwecken könnten.




Friedrich Gerstäcker.*)

Seit Cooper sind Geschichten von den nordamerikanischen Hinterwäldlern für
unser Publicum Bedürfnis; geworden. Mehr noch in Deutschland als in England
selbst, ja mehr noch vielleicht als in jenen Gegenden, mit deren Zuständen sie sich



*) Die Regulatoren in Arkansas; aus dem Waldlel'-n Amerika'S. -- Di- Qu-ikcrstadt
und ihre Geheimnisse. -- Die Flusipiraten des Mississippi. -- Leipzig, Vereins-Verlags-
buchhandlung. (O. Wigand.)

Kunst studiren, so erkennen wir, wie die vorhandenen Elemente in ihnen sich
zunächst einzeln geltend machten, che sie zu einer neuen Einheit verschmolzen.
Eine große Zukunft der Musik kann nur da erstehen, wo die bis jetzt gegebenen
musikalischen und geistigen Elemente in reicher Fülle zusammenwirken. Dies ist
nirgends mehr der Fall, als in Berlin. An Lehrmeistern der Kunst besitzt es die
besten, die die Gegenwart aufzuweisen haben möchte: Marx, den Vertreter des
modernen Princips der Wahrheit, Dehn, den strengen Grammatiker, den gelehrten
Kenner der alt-italienischen Schule, Grell und Nuugeuhagen, die Schüler der
Fasch'schen Richtung. Das wichtigste Element aber sür die Musik der Zukunft ist
die geistige Bildung des Musikers. Ohne in dem Fluß der modernen Ideen zu
leben, ohne zur geistigen Freiheit und Lebendigkeit erstarkt zu sei», wird kein
Componist dem Ideal, das die gebildete Welt von musikalischen Werken ersten
Ranges sich gebildet hat, zu entsprechen im Stande sein. Daß dem Musiker
nirgends eine reichere Gelegenheit geboten wird, die Fülle der modernen Bildung
in sich aufzunehmen, daß er hier, wenn er die innere Begabung dazu mitbringt,
unwillkürlich von der Strömung getragen wird, während er in jedem andern
Ort Gefahr lauft, zu frühzeitig in eine beschränkte Subjectivität zu verfallen, zu
frühzeitig mit sich abzuschließen, das liegt in dem Zusammenströmen der bedeutendsten
Talente ans allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft hierher, in dem steten
Wechsel,- dem stets regen Leben Berlins mit Nothwendigkeit begründet. Eins
fehlt, um Berlin zu der vollendetsten Kunstschule zu machen: ein nach allen Seiten
der musikalischen Technik sich erstreckendes Konservatorium, das einen äußern
Mittelpunkt für die vielen hier vorhandenen Kräfte abgäbe und der Zerfahrenheit
unserer musikalischen Zustände, die namentlich für den jungen Musiker verderblich
ist, entgegenarbeitete. Hoffentlich wird der Staat bald dazu schreiten, diesen lang
gepflegten Gedanken zu verwirklichen; denn das von Stern und Kullak ange-
kündigte Conservatorinm trägt nicht Namen an der Spitze, die für dies Ziel
sonderliche Hoffnungen erwecken könnten.




Friedrich Gerstäcker.*)

Seit Cooper sind Geschichten von den nordamerikanischen Hinterwäldlern für
unser Publicum Bedürfnis; geworden. Mehr noch in Deutschland als in England
selbst, ja mehr noch vielleicht als in jenen Gegenden, mit deren Zuständen sie sich



*) Die Regulatoren in Arkansas; aus dem Waldlel'-n Amerika'S. — Di- Qu-ikcrstadt
und ihre Geheimnisse. — Die Flusipiraten des Mississippi. — Leipzig, Vereins-Verlags-
buchhandlung. (O. Wigand.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/312>, abgerufen am 07.05.2024.