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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Schauerlichkeitcn zu weiden, ist hoffentlich jetzt auf innrer vorbei, und am welligsten
sollte sich ein frisches, kerngesundes Talent, wie das Friedrich Gerstäcker's, dazu
hergeben, sich in Phantasiegebilden zu bewegen, die nur aus das Raffinement
französischer Lüsternheit berechnet sind.




- Bibliothek der deutsch""!" Aufklärer
des achtzehnten Jahrhunderts.^)

Mit der großen Bewegung des Jahres 1848 schien das theologische Interesse,
welches die vorhergehenden Jahre hindurch in den verschiedenartigsten Schichten
der Bildung vorherrschend gewesen war, wenn nicht beseitigt, doch wenigstens
sehr in den Hintergrund gedrängt zu sein. Die sogenannten Lichtfreunde ließen
ihre Conventikel im Stich, und verloren sich in den bunten Massen der Clubs;
die Philosophen, die mit dem Scheidewasser ihrer Abstractionen bisher fast aus¬
schließlich die Mysterien der überirdischen Welt zersetzt hatten, wandten dasselbe
gegen die Mysterien der wirklichen Welt, der Gesellschaft und des Staats, und
die auöerwähltew Rüstzeuge des Herrn, die aus einem Anathem in das andere
getrieben waren, weil die eine Ketzerei die andere drängte, sahen sich genöthigt,
ihre Aufmerksamkeit von den vereinzelten Erscheinungen des Antichrists auf seine
massenweise Erhebung in der Revolution zu richten.

Die Reaction hat lieben vielen andern vergessenen Dingen anch die abstracte
theologische Speculation wieder in'S Leben gerufen. Die Wiederhersteller der
alten Ordnung haben gesunden, oder glauben gefunden zu haben, daß dieselbe
auf eine gründliche, dauernde Weise nicht dnrch die Gewalt der Waffen, anch
nicht durch eine bessere Organisation zu befestigen sei, daß sie überhaupt ihr
Centrum und ihren Halt in sich selbst nicht finden könne, daß sie eine äußerliche
Stütze suchen müsse. Und diese Stütze soll die Kirche sein.

Die protestantische Rechtgläubigkeit ist darin mit der katholischen vollkommen
einig. Die franzostscheil Banquiers haben die Schulen ihres Landes wieder in
die Hände der Bischöfe und der Jesuiten gegeben, in Deutschland beginnt die
"innere Mission" ihr Werk, und die Staatskünstler von der äußersten Rechten
haben ausgerechnet, daß mau die Revolution lind den Geist der Neuerung nur



') Herausgegeben von Martin von Geismar. Leipzig, WereinS-Verlagsbuchhand-
lung, -- Enthält: eine einleitende Geschichte des Luthcrthumö im Ü6. und 17. Jahrhundert --
Dippcl, gegen Svmbolzwang und Orthodoxie, Edelmann, über Dippel-- v. Knob¬
lauch, gegen den Glauben an UcbernatiirlichcS -- Andreas Riem, über Ausklärung und
Gewissensfreiheit -- Lavater und S e inter als Poeten -- C. Fr. Bahrdt mit einleitender
Biographie -- I, A. Everhard'L Neue Apologie des Sokrates. -- I- U. Schulz
(der Zopfpredigcr) -- Vogler'ö, Superintendenten zu Baireuth, Evangelist Johannes vor
dem jüngsten Gericht. -- Bemerkungen des Herausgebers über Strauß und die auf ihn
folgende antithcologische Literatur.
39 *

Schauerlichkeitcn zu weiden, ist hoffentlich jetzt auf innrer vorbei, und am welligsten
sollte sich ein frisches, kerngesundes Talent, wie das Friedrich Gerstäcker's, dazu
hergeben, sich in Phantasiegebilden zu bewegen, die nur aus das Raffinement
französischer Lüsternheit berechnet sind.




- Bibliothek der deutsch«»!» Aufklärer
des achtzehnten Jahrhunderts.^)

Mit der großen Bewegung des Jahres 1848 schien das theologische Interesse,
welches die vorhergehenden Jahre hindurch in den verschiedenartigsten Schichten
der Bildung vorherrschend gewesen war, wenn nicht beseitigt, doch wenigstens
sehr in den Hintergrund gedrängt zu sein. Die sogenannten Lichtfreunde ließen
ihre Conventikel im Stich, und verloren sich in den bunten Massen der Clubs;
die Philosophen, die mit dem Scheidewasser ihrer Abstractionen bisher fast aus¬
schließlich die Mysterien der überirdischen Welt zersetzt hatten, wandten dasselbe
gegen die Mysterien der wirklichen Welt, der Gesellschaft und des Staats, und
die auöerwähltew Rüstzeuge des Herrn, die aus einem Anathem in das andere
getrieben waren, weil die eine Ketzerei die andere drängte, sahen sich genöthigt,
ihre Aufmerksamkeit von den vereinzelten Erscheinungen des Antichrists auf seine
massenweise Erhebung in der Revolution zu richten.

Die Reaction hat lieben vielen andern vergessenen Dingen anch die abstracte
theologische Speculation wieder in'S Leben gerufen. Die Wiederhersteller der
alten Ordnung haben gesunden, oder glauben gefunden zu haben, daß dieselbe
auf eine gründliche, dauernde Weise nicht dnrch die Gewalt der Waffen, anch
nicht durch eine bessere Organisation zu befestigen sei, daß sie überhaupt ihr
Centrum und ihren Halt in sich selbst nicht finden könne, daß sie eine äußerliche
Stütze suchen müsse. Und diese Stütze soll die Kirche sein.

Die protestantische Rechtgläubigkeit ist darin mit der katholischen vollkommen
einig. Die franzostscheil Banquiers haben die Schulen ihres Landes wieder in
die Hände der Bischöfe und der Jesuiten gegeben, in Deutschland beginnt die
„innere Mission" ihr Werk, und die Staatskünstler von der äußersten Rechten
haben ausgerechnet, daß mau die Revolution lind den Geist der Neuerung nur



') Herausgegeben von Martin von Geismar. Leipzig, WereinS-Verlagsbuchhand-
lung, — Enthält: eine einleitende Geschichte des Luthcrthumö im Ü6. und 17. Jahrhundert —
Dippcl, gegen Svmbolzwang und Orthodoxie, Edelmann, über Dippel— v. Knob¬
lauch, gegen den Glauben an UcbernatiirlichcS — Andreas Riem, über Ausklärung und
Gewissensfreiheit — Lavater und S e inter als Poeten — C. Fr. Bahrdt mit einleitender
Biographie — I, A. Everhard'L Neue Apologie des Sokrates. — I- U. Schulz
(der Zopfpredigcr) — Vogler'ö, Superintendenten zu Baireuth, Evangelist Johannes vor
dem jüngsten Gericht. — Bemerkungen des Herausgebers über Strauß und die auf ihn
folgende antithcologische Literatur.
39 *
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[0315] Schauerlichkeitcn zu weiden, ist hoffentlich jetzt auf innrer vorbei, und am welligsten sollte sich ein frisches, kerngesundes Talent, wie das Friedrich Gerstäcker's, dazu hergeben, sich in Phantasiegebilden zu bewegen, die nur aus das Raffinement französischer Lüsternheit berechnet sind. - Bibliothek der deutsch«»!» Aufklärer des achtzehnten Jahrhunderts.^) Mit der großen Bewegung des Jahres 1848 schien das theologische Interesse, welches die vorhergehenden Jahre hindurch in den verschiedenartigsten Schichten der Bildung vorherrschend gewesen war, wenn nicht beseitigt, doch wenigstens sehr in den Hintergrund gedrängt zu sein. Die sogenannten Lichtfreunde ließen ihre Conventikel im Stich, und verloren sich in den bunten Massen der Clubs; die Philosophen, die mit dem Scheidewasser ihrer Abstractionen bisher fast aus¬ schließlich die Mysterien der überirdischen Welt zersetzt hatten, wandten dasselbe gegen die Mysterien der wirklichen Welt, der Gesellschaft und des Staats, und die auöerwähltew Rüstzeuge des Herrn, die aus einem Anathem in das andere getrieben waren, weil die eine Ketzerei die andere drängte, sahen sich genöthigt, ihre Aufmerksamkeit von den vereinzelten Erscheinungen des Antichrists auf seine massenweise Erhebung in der Revolution zu richten. Die Reaction hat lieben vielen andern vergessenen Dingen anch die abstracte theologische Speculation wieder in'S Leben gerufen. Die Wiederhersteller der alten Ordnung haben gesunden, oder glauben gefunden zu haben, daß dieselbe auf eine gründliche, dauernde Weise nicht dnrch die Gewalt der Waffen, anch nicht durch eine bessere Organisation zu befestigen sei, daß sie überhaupt ihr Centrum und ihren Halt in sich selbst nicht finden könne, daß sie eine äußerliche Stütze suchen müsse. Und diese Stütze soll die Kirche sein. Die protestantische Rechtgläubigkeit ist darin mit der katholischen vollkommen einig. Die franzostscheil Banquiers haben die Schulen ihres Landes wieder in die Hände der Bischöfe und der Jesuiten gegeben, in Deutschland beginnt die „innere Mission" ihr Werk, und die Staatskünstler von der äußersten Rechten haben ausgerechnet, daß mau die Revolution lind den Geist der Neuerung nur ') Herausgegeben von Martin von Geismar. Leipzig, WereinS-Verlagsbuchhand- lung, — Enthält: eine einleitende Geschichte des Luthcrthumö im Ü6. und 17. Jahrhundert — Dippcl, gegen Svmbolzwang und Orthodoxie, Edelmann, über Dippel— v. Knob¬ lauch, gegen den Glauben an UcbernatiirlichcS — Andreas Riem, über Ausklärung und Gewissensfreiheit — Lavater und S e inter als Poeten — C. Fr. Bahrdt mit einleitender Biographie — I, A. Everhard'L Neue Apologie des Sokrates. — I- U. Schulz (der Zopfpredigcr) — Vogler'ö, Superintendenten zu Baireuth, Evangelist Johannes vor dem jüngsten Gericht. — Bemerkungen des Herausgebers über Strauß und die auf ihn folgende antithcologische Literatur. 39 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/315>, abgerufen am 07.05.2024.