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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Noch eine Bemerkung zum Schluß. Unsere Zeit ist in die Phrasen, die all¬
gemeinen, unbestimmten Stichwörter verliebt; sie scheut das Concrete. So ist
es mit dem Abschen vor dem Wort der Revolution. Guizot hatte es vor 1848
ausgesprochen, was eine Revolution erringt, sei nie mit Ehren gewonnen, und wie
gewonnen, so zerronnen. Den gewissenhaften Mann hat es beunruhigt, woher
es kommt, daß die englische Revolution seiner Doctrin widerspricht. Umsonst
hat er sich abgemüht, die Ursache zu finden. Ein Schüler snppeditirt ihm die
englische Gottesfurcht im Gegensatz zum französischen Atheismus. Nehmen wir
die Geschichte zur Hand, so werden wir sehr viele Zeitpunkte finden, in denen
mich jene Revolution dennoch scheitern konnte; wir werden uus hüte", mit einer
allgemeinen Formel die Sache erschöpfen zu wollen. -- Der Geist der Revo¬
lution -- der auf die irdische" Verhältnisse angewandte Idealismus, ist der Geist
der neuen Zeit überhaupt; man wird ihn nicht los, man mag ihn lieben oder
hassen. Die Erscheinung der Revolution ist ein Naturproceß, der, wie jedes
Verhalten in die Mächte der Natur, dein freien Geist unheimlich sein muß. Aber
uicht der Zauberstab der "Autorität," nicht die Berufung auf das Recht von
Gottes Gnaden kann ihn beschwören; sie hat keine Gewalt über die Elemente.
Nur der Geist, aus dem er entsprungen, kann über ihn Herr werden.


I. S.


Der Geist in der Statur.

Als die neuere Naturwissenschaft gegen Ausgang deö Mittelalters mit den
ersten selbstständigen Entdeckungen hervortrat, brachte sie damit einen Zwiespalt
in die Welt, der noch hente nicht ausgeglichen ist. Man bemerkte schon damals
sofort, daß die Konsequenzen dieser Entdeckungen die ganze bisherige Gcmüths-
uud Geisterwelt ans dem bisherigen Gleise bringen und endlich das spiritualisti-
sche System des Mittelalters vom Throne stürzen würden. Galilei ward zum
Widerruf gezwungen, Kopernikus noch nach seinem Tode geächtet.

Seit jener Zeit nud bis hente hat sich der Widerstreit der alten (scholasti¬
schen) und der neuen (naturwissenschaftlichen) Weltanschauung uoch keineswegs
geschlichtet. Sie kämpfen noch hier und da, unter den Bannern des Spiritua¬
lismus und Materialismus, gegen einander. Oder sie bestehen, in der Literatur
wie in einzelnen Köpfen, beide unversöhnt und unausgeglichen neben einander
fort. Noch heute ruht das innerste Denken und Hoffen unzähliger Menschen
auf Voraussetzungen, denen die neuere Naturwissenschaft entschieden widerspricht:
dieselbe Wissenschaft, deren materielle Errungenschaften (als Dampfmaschinen,
Eisenbahnen u. s. w.) schon den ganzen civilisirten Erdball beherrschen und von


Noch eine Bemerkung zum Schluß. Unsere Zeit ist in die Phrasen, die all¬
gemeinen, unbestimmten Stichwörter verliebt; sie scheut das Concrete. So ist
es mit dem Abschen vor dem Wort der Revolution. Guizot hatte es vor 1848
ausgesprochen, was eine Revolution erringt, sei nie mit Ehren gewonnen, und wie
gewonnen, so zerronnen. Den gewissenhaften Mann hat es beunruhigt, woher
es kommt, daß die englische Revolution seiner Doctrin widerspricht. Umsonst
hat er sich abgemüht, die Ursache zu finden. Ein Schüler snppeditirt ihm die
englische Gottesfurcht im Gegensatz zum französischen Atheismus. Nehmen wir
die Geschichte zur Hand, so werden wir sehr viele Zeitpunkte finden, in denen
mich jene Revolution dennoch scheitern konnte; wir werden uus hüte», mit einer
allgemeinen Formel die Sache erschöpfen zu wollen. — Der Geist der Revo¬
lution — der auf die irdische» Verhältnisse angewandte Idealismus, ist der Geist
der neuen Zeit überhaupt; man wird ihn nicht los, man mag ihn lieben oder
hassen. Die Erscheinung der Revolution ist ein Naturproceß, der, wie jedes
Verhalten in die Mächte der Natur, dein freien Geist unheimlich sein muß. Aber
uicht der Zauberstab der „Autorität," nicht die Berufung auf das Recht von
Gottes Gnaden kann ihn beschwören; sie hat keine Gewalt über die Elemente.
Nur der Geist, aus dem er entsprungen, kann über ihn Herr werden.


I. S.


Der Geist in der Statur.

Als die neuere Naturwissenschaft gegen Ausgang deö Mittelalters mit den
ersten selbstständigen Entdeckungen hervortrat, brachte sie damit einen Zwiespalt
in die Welt, der noch hente nicht ausgeglichen ist. Man bemerkte schon damals
sofort, daß die Konsequenzen dieser Entdeckungen die ganze bisherige Gcmüths-
uud Geisterwelt ans dem bisherigen Gleise bringen und endlich das spiritualisti-
sche System des Mittelalters vom Throne stürzen würden. Galilei ward zum
Widerruf gezwungen, Kopernikus noch nach seinem Tode geächtet.

Seit jener Zeit nud bis hente hat sich der Widerstreit der alten (scholasti¬
schen) und der neuen (naturwissenschaftlichen) Weltanschauung uoch keineswegs
geschlichtet. Sie kämpfen noch hier und da, unter den Bannern des Spiritua¬
lismus und Materialismus, gegen einander. Oder sie bestehen, in der Literatur
wie in einzelnen Köpfen, beide unversöhnt und unausgeglichen neben einander
fort. Noch heute ruht das innerste Denken und Hoffen unzähliger Menschen
auf Voraussetzungen, denen die neuere Naturwissenschaft entschieden widerspricht:
dieselbe Wissenschaft, deren materielle Errungenschaften (als Dampfmaschinen,
Eisenbahnen u. s. w.) schon den ganzen civilisirten Erdball beherrschen und von


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[0344] Noch eine Bemerkung zum Schluß. Unsere Zeit ist in die Phrasen, die all¬ gemeinen, unbestimmten Stichwörter verliebt; sie scheut das Concrete. So ist es mit dem Abschen vor dem Wort der Revolution. Guizot hatte es vor 1848 ausgesprochen, was eine Revolution erringt, sei nie mit Ehren gewonnen, und wie gewonnen, so zerronnen. Den gewissenhaften Mann hat es beunruhigt, woher es kommt, daß die englische Revolution seiner Doctrin widerspricht. Umsonst hat er sich abgemüht, die Ursache zu finden. Ein Schüler snppeditirt ihm die englische Gottesfurcht im Gegensatz zum französischen Atheismus. Nehmen wir die Geschichte zur Hand, so werden wir sehr viele Zeitpunkte finden, in denen mich jene Revolution dennoch scheitern konnte; wir werden uus hüte», mit einer allgemeinen Formel die Sache erschöpfen zu wollen. — Der Geist der Revo¬ lution — der auf die irdische» Verhältnisse angewandte Idealismus, ist der Geist der neuen Zeit überhaupt; man wird ihn nicht los, man mag ihn lieben oder hassen. Die Erscheinung der Revolution ist ein Naturproceß, der, wie jedes Verhalten in die Mächte der Natur, dein freien Geist unheimlich sein muß. Aber uicht der Zauberstab der „Autorität," nicht die Berufung auf das Recht von Gottes Gnaden kann ihn beschwören; sie hat keine Gewalt über die Elemente. Nur der Geist, aus dem er entsprungen, kann über ihn Herr werden. I. S. Der Geist in der Statur. Als die neuere Naturwissenschaft gegen Ausgang deö Mittelalters mit den ersten selbstständigen Entdeckungen hervortrat, brachte sie damit einen Zwiespalt in die Welt, der noch hente nicht ausgeglichen ist. Man bemerkte schon damals sofort, daß die Konsequenzen dieser Entdeckungen die ganze bisherige Gcmüths- uud Geisterwelt ans dem bisherigen Gleise bringen und endlich das spiritualisti- sche System des Mittelalters vom Throne stürzen würden. Galilei ward zum Widerruf gezwungen, Kopernikus noch nach seinem Tode geächtet. Seit jener Zeit nud bis hente hat sich der Widerstreit der alten (scholasti¬ schen) und der neuen (naturwissenschaftlichen) Weltanschauung uoch keineswegs geschlichtet. Sie kämpfen noch hier und da, unter den Bannern des Spiritua¬ lismus und Materialismus, gegen einander. Oder sie bestehen, in der Literatur wie in einzelnen Köpfen, beide unversöhnt und unausgeglichen neben einander fort. Noch heute ruht das innerste Denken und Hoffen unzähliger Menschen auf Voraussetzungen, denen die neuere Naturwissenschaft entschieden widerspricht: dieselbe Wissenschaft, deren materielle Errungenschaften (als Dampfmaschinen, Eisenbahnen u. s. w.) schon den ganzen civilisirten Erdball beherrschen und von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/344>, abgerufen am 07.05.2024.