Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Festungsanlagen in Polen

Als Rußland sich am Schlosse der letzten großen Revolution Polens be¬
mächtigt hatte, schob es alle Gedanken hinter den zurück, die physische Kraft des
polnischen Volks zu fesseln. Zunächst stand dieser Absicht das Festungswesen, und
man zögerte nicht, die Idee, es zu einem der gewaltigsten in Europa zu machen,
in Augriff zu nehmen. Die Entwürfe waren riesenhaft, doch erlangte man im
Allgemeinen keine Kenntniß von denselben, nur wer das Glück hatte, mit dem
Genie des russischen Geniecorps, dem General von Dehn, welchem die Festnngs-
bane anvertraut worden waren, in nähere Berührung zu kommen, gewann bis¬
weilen Aufschluß über die russischen Entwürfe. Zu Dehn's Schwächen gehören
die Bestechlichkeit und die Offenherzigkeit in Folge verpuffter Champagner-
flaschen. Sonst ziemlich verschlossen, ist er, wenn der Wein nnter der Perrücke
zu dampfen begann, mehre Male so fteiherzig geworden, daß er der russischen
Regierung wegen der Großartigkeit ihrer Entwürfe in Betreff der Festungs¬
anlagen in Polen förmlich Triumphreden gewidmet hat. Der wackere Mann
besitzt in dieser Beziehung dieselbe Schwäche, welche sich an dem General Rüdiger,
der jüngst in Ungarn eine Rolle gespielt hat, schon zur Zeit der polnischen Jn-
surrection kund that. Der polnische Oberst K. erscheint bei ihm, um ans vier¬
undzwanzig Stunden einem Waffenstillstand abzuschließen. Man setzt sich zu
Tisch und ißt und trinkt. Herr Rüdiger wird von seinem Wein inflammirt und
sagt triumphirend: ,,"o Ihr Polen wäret Ihr doch Esel, daß Ihr nicht den drit¬
ten Stnrmtag von Warschau riskirt habt; denn Ihr müßt wissen, daß wir kaum
noch für 1 Stunde Munition hatten, nud daß Polen gerettet war, wenn War¬
schau nicht genommen wurde." " "Herr General," versetzte K., "dies hätten Sie
mir fünf Tage früher mittheilen sollen." " "Pah, so hätten Sie fünf Tage frü¬
her zu mir kommen sollen.""

Den russischen Beamten aller Grade ist in Bezug ans alle Polen betreffen¬
den Maßregeln die strengste Verschwiegenheit bei Cassation auferlegt worden.
Das kaiserliche Ministerium hat es sich zur Norm gemacht, alle ans Unterdrückung


Grenzboten. III. 18S0. 56
Die Festungsanlagen in Polen

Als Rußland sich am Schlosse der letzten großen Revolution Polens be¬
mächtigt hatte, schob es alle Gedanken hinter den zurück, die physische Kraft des
polnischen Volks zu fesseln. Zunächst stand dieser Absicht das Festungswesen, und
man zögerte nicht, die Idee, es zu einem der gewaltigsten in Europa zu machen,
in Augriff zu nehmen. Die Entwürfe waren riesenhaft, doch erlangte man im
Allgemeinen keine Kenntniß von denselben, nur wer das Glück hatte, mit dem
Genie des russischen Geniecorps, dem General von Dehn, welchem die Festnngs-
bane anvertraut worden waren, in nähere Berührung zu kommen, gewann bis¬
weilen Aufschluß über die russischen Entwürfe. Zu Dehn's Schwächen gehören
die Bestechlichkeit und die Offenherzigkeit in Folge verpuffter Champagner-
flaschen. Sonst ziemlich verschlossen, ist er, wenn der Wein nnter der Perrücke
zu dampfen begann, mehre Male so fteiherzig geworden, daß er der russischen
Regierung wegen der Großartigkeit ihrer Entwürfe in Betreff der Festungs¬
anlagen in Polen förmlich Triumphreden gewidmet hat. Der wackere Mann
besitzt in dieser Beziehung dieselbe Schwäche, welche sich an dem General Rüdiger,
der jüngst in Ungarn eine Rolle gespielt hat, schon zur Zeit der polnischen Jn-
surrection kund that. Der polnische Oberst K. erscheint bei ihm, um ans vier¬
undzwanzig Stunden einem Waffenstillstand abzuschließen. Man setzt sich zu
Tisch und ißt und trinkt. Herr Rüdiger wird von seinem Wein inflammirt und
sagt triumphirend: ,,„o Ihr Polen wäret Ihr doch Esel, daß Ihr nicht den drit¬
ten Stnrmtag von Warschau riskirt habt; denn Ihr müßt wissen, daß wir kaum
noch für 1 Stunde Munition hatten, nud daß Polen gerettet war, wenn War¬
schau nicht genommen wurde." " „Herr General," versetzte K., „dies hätten Sie
mir fünf Tage früher mittheilen sollen." „ „Pah, so hätten Sie fünf Tage frü¬
her zu mir kommen sollen.""

Den russischen Beamten aller Grade ist in Bezug ans alle Polen betreffen¬
den Maßregeln die strengste Verschwiegenheit bei Cassation auferlegt worden.
Das kaiserliche Ministerium hat es sich zur Norm gemacht, alle ans Unterdrückung


Grenzboten. III. 18S0. 56
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0449" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86032"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Festungsanlagen in Polen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1537"> Als Rußland sich am Schlosse der letzten großen Revolution Polens be¬<lb/>
mächtigt hatte, schob es alle Gedanken hinter den zurück, die physische Kraft des<lb/>
polnischen Volks zu fesseln. Zunächst stand dieser Absicht das Festungswesen, und<lb/>
man zögerte nicht, die Idee, es zu einem der gewaltigsten in Europa zu machen,<lb/>
in Augriff zu nehmen. Die Entwürfe waren riesenhaft, doch erlangte man im<lb/>
Allgemeinen keine Kenntniß von denselben, nur wer das Glück hatte, mit dem<lb/>
Genie des russischen Geniecorps, dem General von Dehn, welchem die Festnngs-<lb/>
bane anvertraut worden waren, in nähere Berührung zu kommen, gewann bis¬<lb/>
weilen Aufschluß über die russischen Entwürfe. Zu Dehn's Schwächen gehören<lb/>
die Bestechlichkeit und die Offenherzigkeit in Folge verpuffter Champagner-<lb/>
flaschen. Sonst ziemlich verschlossen, ist er, wenn der Wein nnter der Perrücke<lb/>
zu dampfen begann, mehre Male so fteiherzig geworden, daß er der russischen<lb/>
Regierung wegen der Großartigkeit ihrer Entwürfe in Betreff der Festungs¬<lb/>
anlagen in Polen förmlich Triumphreden gewidmet hat. Der wackere Mann<lb/>
besitzt in dieser Beziehung dieselbe Schwäche, welche sich an dem General Rüdiger,<lb/>
der jüngst in Ungarn eine Rolle gespielt hat, schon zur Zeit der polnischen Jn-<lb/>
surrection kund that. Der polnische Oberst K. erscheint bei ihm, um ans vier¬<lb/>
undzwanzig Stunden einem Waffenstillstand abzuschließen. Man setzt sich zu<lb/>
Tisch und ißt und trinkt. Herr Rüdiger wird von seinem Wein inflammirt und<lb/>
sagt triumphirend: ,,&#x201E;o Ihr Polen wäret Ihr doch Esel, daß Ihr nicht den drit¬<lb/>
ten Stnrmtag von Warschau riskirt habt; denn Ihr müßt wissen, daß wir kaum<lb/>
noch für 1 Stunde Munition hatten, nud daß Polen gerettet war, wenn War¬<lb/>
schau nicht genommen wurde." " &#x201E;Herr General," versetzte K., &#x201E;dies hätten Sie<lb/>
mir fünf Tage früher mittheilen sollen." &#x201E; &#x201E;Pah, so hätten Sie fünf Tage frü¬<lb/>
her zu mir kommen sollen.""</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1538" next="#ID_1539"> Den russischen Beamten aller Grade ist in Bezug ans alle Polen betreffen¬<lb/>
den Maßregeln die strengste Verschwiegenheit bei Cassation auferlegt worden.<lb/>
Das kaiserliche Ministerium hat es sich zur Norm gemacht, alle ans Unterdrückung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18S0. 56</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0449] Die Festungsanlagen in Polen Als Rußland sich am Schlosse der letzten großen Revolution Polens be¬ mächtigt hatte, schob es alle Gedanken hinter den zurück, die physische Kraft des polnischen Volks zu fesseln. Zunächst stand dieser Absicht das Festungswesen, und man zögerte nicht, die Idee, es zu einem der gewaltigsten in Europa zu machen, in Augriff zu nehmen. Die Entwürfe waren riesenhaft, doch erlangte man im Allgemeinen keine Kenntniß von denselben, nur wer das Glück hatte, mit dem Genie des russischen Geniecorps, dem General von Dehn, welchem die Festnngs- bane anvertraut worden waren, in nähere Berührung zu kommen, gewann bis¬ weilen Aufschluß über die russischen Entwürfe. Zu Dehn's Schwächen gehören die Bestechlichkeit und die Offenherzigkeit in Folge verpuffter Champagner- flaschen. Sonst ziemlich verschlossen, ist er, wenn der Wein nnter der Perrücke zu dampfen begann, mehre Male so fteiherzig geworden, daß er der russischen Regierung wegen der Großartigkeit ihrer Entwürfe in Betreff der Festungs¬ anlagen in Polen förmlich Triumphreden gewidmet hat. Der wackere Mann besitzt in dieser Beziehung dieselbe Schwäche, welche sich an dem General Rüdiger, der jüngst in Ungarn eine Rolle gespielt hat, schon zur Zeit der polnischen Jn- surrection kund that. Der polnische Oberst K. erscheint bei ihm, um ans vier¬ undzwanzig Stunden einem Waffenstillstand abzuschließen. Man setzt sich zu Tisch und ißt und trinkt. Herr Rüdiger wird von seinem Wein inflammirt und sagt triumphirend: ,,„o Ihr Polen wäret Ihr doch Esel, daß Ihr nicht den drit¬ ten Stnrmtag von Warschau riskirt habt; denn Ihr müßt wissen, daß wir kaum noch für 1 Stunde Munition hatten, nud daß Polen gerettet war, wenn War¬ schau nicht genommen wurde." " „Herr General," versetzte K., „dies hätten Sie mir fünf Tage früher mittheilen sollen." „ „Pah, so hätten Sie fünf Tage frü¬ her zu mir kommen sollen."" Den russischen Beamten aller Grade ist in Bezug ans alle Polen betreffen¬ den Maßregeln die strengste Verschwiegenheit bei Cassation auferlegt worden. Das kaiserliche Ministerium hat es sich zur Norm gemacht, alle ans Unterdrückung Grenzboten. III. 18S0. 56

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/449
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/449>, abgerufen am 08.05.2024.