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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Patriotismus und Soldatenwillkür.
Eine Episode ans dem ungarischen Kriege.

Wer am -4. April 1849 in Pesch durch die Straßen ging, konnte bei jeder
Ecke nur schwer durch die Menschenmassen dringen, die mit gespanntester Aufmerk¬
samkeit einen langen Maueranschlag lasen und sich lächelnd und einander zuwinkend
entfernten, während sich ans dem Hintergründe andere an die von ihnen ver¬
lassenen Plätze drängten, um mit derselben Hast und Gespanntheit zu lesen, sich
mit demselben Belagerungszustandeslächeln zu entfernen und wieder andern Platz
zu machen.

Der Maneranschlag war ein Kriegsbnlletin von dem "Grasen Ladislaus
Wrbna", Feldmarschalllieutenant und Commandant des 2. Armeecorps unterschrie¬
ben, der während der Abwesenheit des "Obercommandanten Feldmarschall Alfred
Fürst zu Windischgriitz," der damals die Schlacht bei Kapolna geliefert hatte und
nun auf dem Wege war, das ersehnte Debrezin westlich von Pesch zu suchen,
Commandant und Civilgouverneur des eroberten Theiles von Ungarn war; und
verkündete den Einwohnern der Hauptstadt einen großen Sieg, welchen der Ban
an diesem Tage erkämpft habe.

Se. Excel!, der Ban, heißt es in dem Bulletin, sei hente Morgen bei Täpia-
Bicske auf eine Abtheilung des Nebellenheercs gestoßen, die er, obwohl sie seinen
Truppen an Zahl überlegen war, sogleich angriff, und uach einem kurzen Gefecht
auseinander jagte; mehrere hundert Gefangene und 14 Kanonen wurden er¬
beutet u. s. w. Der Bericht endigt mit jener berühmt gewordenen Phrase:
"Das ist der Anfang jener Operationen, welche mit der gänzlichen
Vernichtung der Rebellion enden werden."

Mit diesem Bulletin ging es dem Ban,, wie Melas bei Marengo, denn wirklich
gelang es ihm anfangs, Klapka's Armeecorps zurückzudrängen, allein dieser, bei
N.-K-'ttaa von Damjanich aufgenommen, ergriff sogleich die Offensive und brachte
dem Baums noch an demselben Tage eine vollständige Niederlage bei, die ihn
den Rückzug nach der Hauptstadt antreten ließ.

Allein diese Enttäuschung der arvalischen Waffenbrüder mußten die Dörfer,
durch welche sie zogen, theuer entgelten. .

Man hat im Auslande viel von der Raub- und Plünderungslust der Croaten
gesprochen, und da diese östreichischen Helden besonders dem deutschen Publicum
aus den Zeiten des dreißig- und siebenjährigen Krieges rühmlich bekannt sind,
so wurden auch ihre neuesten Waffenthaten in Wien, Italien und Ungarn
nach diesem Maßstabe gewürdigt und allgemein angenommen, daß diese cultnr-
armen Söhne des Südens eine natürliche Abneigung gegen das siebente Gebot


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Patriotismus und Soldatenwillkür.
Eine Episode ans dem ungarischen Kriege.

Wer am -4. April 1849 in Pesch durch die Straßen ging, konnte bei jeder
Ecke nur schwer durch die Menschenmassen dringen, die mit gespanntester Aufmerk¬
samkeit einen langen Maueranschlag lasen und sich lächelnd und einander zuwinkend
entfernten, während sich ans dem Hintergründe andere an die von ihnen ver¬
lassenen Plätze drängten, um mit derselben Hast und Gespanntheit zu lesen, sich
mit demselben Belagerungszustandeslächeln zu entfernen und wieder andern Platz
zu machen.

Der Maneranschlag war ein Kriegsbnlletin von dem „Grasen Ladislaus
Wrbna", Feldmarschalllieutenant und Commandant des 2. Armeecorps unterschrie¬
ben, der während der Abwesenheit des „Obercommandanten Feldmarschall Alfred
Fürst zu Windischgriitz," der damals die Schlacht bei Kapolna geliefert hatte und
nun auf dem Wege war, das ersehnte Debrezin westlich von Pesch zu suchen,
Commandant und Civilgouverneur des eroberten Theiles von Ungarn war; und
verkündete den Einwohnern der Hauptstadt einen großen Sieg, welchen der Ban
an diesem Tage erkämpft habe.

Se. Excel!, der Ban, heißt es in dem Bulletin, sei hente Morgen bei Täpia-
Bicske auf eine Abtheilung des Nebellenheercs gestoßen, die er, obwohl sie seinen
Truppen an Zahl überlegen war, sogleich angriff, und uach einem kurzen Gefecht
auseinander jagte; mehrere hundert Gefangene und 14 Kanonen wurden er¬
beutet u. s. w. Der Bericht endigt mit jener berühmt gewordenen Phrase:
„Das ist der Anfang jener Operationen, welche mit der gänzlichen
Vernichtung der Rebellion enden werden."

Mit diesem Bulletin ging es dem Ban,, wie Melas bei Marengo, denn wirklich
gelang es ihm anfangs, Klapka's Armeecorps zurückzudrängen, allein dieser, bei
N.-K-'ttaa von Damjanich aufgenommen, ergriff sogleich die Offensive und brachte
dem Baums noch an demselben Tage eine vollständige Niederlage bei, die ihn
den Rückzug nach der Hauptstadt antreten ließ.

Allein diese Enttäuschung der arvalischen Waffenbrüder mußten die Dörfer,
durch welche sie zogen, theuer entgelten. .

Man hat im Auslande viel von der Raub- und Plünderungslust der Croaten
gesprochen, und da diese östreichischen Helden besonders dem deutschen Publicum
aus den Zeiten des dreißig- und siebenjährigen Krieges rühmlich bekannt sind,
so wurden auch ihre neuesten Waffenthaten in Wien, Italien und Ungarn
nach diesem Maßstabe gewürdigt und allgemein angenommen, daß diese cultnr-
armen Söhne des Südens eine natürliche Abneigung gegen das siebente Gebot


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[0459] Patriotismus und Soldatenwillkür. Eine Episode ans dem ungarischen Kriege. Wer am -4. April 1849 in Pesch durch die Straßen ging, konnte bei jeder Ecke nur schwer durch die Menschenmassen dringen, die mit gespanntester Aufmerk¬ samkeit einen langen Maueranschlag lasen und sich lächelnd und einander zuwinkend entfernten, während sich ans dem Hintergründe andere an die von ihnen ver¬ lassenen Plätze drängten, um mit derselben Hast und Gespanntheit zu lesen, sich mit demselben Belagerungszustandeslächeln zu entfernen und wieder andern Platz zu machen. Der Maneranschlag war ein Kriegsbnlletin von dem „Grasen Ladislaus Wrbna", Feldmarschalllieutenant und Commandant des 2. Armeecorps unterschrie¬ ben, der während der Abwesenheit des „Obercommandanten Feldmarschall Alfred Fürst zu Windischgriitz," der damals die Schlacht bei Kapolna geliefert hatte und nun auf dem Wege war, das ersehnte Debrezin westlich von Pesch zu suchen, Commandant und Civilgouverneur des eroberten Theiles von Ungarn war; und verkündete den Einwohnern der Hauptstadt einen großen Sieg, welchen der Ban an diesem Tage erkämpft habe. Se. Excel!, der Ban, heißt es in dem Bulletin, sei hente Morgen bei Täpia- Bicske auf eine Abtheilung des Nebellenheercs gestoßen, die er, obwohl sie seinen Truppen an Zahl überlegen war, sogleich angriff, und uach einem kurzen Gefecht auseinander jagte; mehrere hundert Gefangene und 14 Kanonen wurden er¬ beutet u. s. w. Der Bericht endigt mit jener berühmt gewordenen Phrase: „Das ist der Anfang jener Operationen, welche mit der gänzlichen Vernichtung der Rebellion enden werden." Mit diesem Bulletin ging es dem Ban,, wie Melas bei Marengo, denn wirklich gelang es ihm anfangs, Klapka's Armeecorps zurückzudrängen, allein dieser, bei N.-K-'ttaa von Damjanich aufgenommen, ergriff sogleich die Offensive und brachte dem Baums noch an demselben Tage eine vollständige Niederlage bei, die ihn den Rückzug nach der Hauptstadt antreten ließ. Allein diese Enttäuschung der arvalischen Waffenbrüder mußten die Dörfer, durch welche sie zogen, theuer entgelten. . Man hat im Auslande viel von der Raub- und Plünderungslust der Croaten gesprochen, und da diese östreichischen Helden besonders dem deutschen Publicum aus den Zeiten des dreißig- und siebenjährigen Krieges rühmlich bekannt sind, so wurden auch ihre neuesten Waffenthaten in Wien, Italien und Ungarn nach diesem Maßstabe gewürdigt und allgemein angenommen, daß diese cultnr- armen Söhne des Südens eine natürliche Abneigung gegen das siebente Gebot 58*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/459>, abgerufen am 07.05.2024.