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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Politische Wochenschau.
Preußen und Oestreich.

Der Luftzug uuserer Julimorgen weht die Rosenblätter vor unsere Füße, im
Felde reifen die Nehren, riesige Heuwagen streuen ihre grünen Büschel in die
Furchen der Feldwege und der Schnitter hämmert und wetzt an seiner Sense.
Und in den Fabriken dampft der Schornstein heiß und eifrig, es schnurrt das
Rad, die Spindel dreht sich in hastigem Tanze. Ueberall in den kleinen Kreisen
unseres Lebens emsige Arbeit, Verdienst und Hoffnung. Der Arbeiter hat jetzt
keine Zeit und Lust, auf seine Demagogen zu hören, und die bange Furcht der
Besitzenden weicht dem Behagen an lohnender Thätigkeit. An unserem politischen
Himmel aber hängen die Wolken noch dick und schwer, und vergebens sucht das
Auge in den veränderlichen Luftgebilden feste Formen und einen reinigenden Luft¬
zug. Viele Neuigkeiten hat die letzte Woche gebracht, aber Wichtiges ist uns
noch nicht bekannt genug, um ein definitives Urtheil darüber auszusprechen.
Deßhalb sei es gestattet, mehrere solcher Einzelheiten zusammen zu fassen und einen
Prüfenden Blick über den Horizont zu werfen, welcher uns und unsere Schick¬
sale einschließt.

Amerikanische Kriegsschiffe vor Lissabon, von dein armseligen Staate Forde¬
rungen einznkasstren, englische zu gleichen! Zweck vor Neapel; Spanien in Hoff¬
nung auf einen Thronerben, und durch eine kräftige Regierung und verständige
Zollgesetzgebung in langsamer Genesung von seinen alten Fieberschauern; Italien
durch die Zwiste der päpstlichen Regierung mit Sardinien, das brutale Aufgeben
der constitutionellen Formen in Neapel, die sichern Fortschritte der Oestreicher und
eine höchst radikale Volkspartei in seinem Auflösungsprozeß immer weiter schreitend;
die Türkei trotz der triumphirenden Rundreise des Sultans durch russische Agenten
und rohe Unbändigkeit der einzelnen Provinzen in krampfhaften Zuckungen, das ist
der Eindruck, den die südlichen Halbinseln des europäischen Continents machen. Daß


Grenzvote". III. 1850. 11
Politische Wochenschau.
Preußen und Oestreich.

Der Luftzug uuserer Julimorgen weht die Rosenblätter vor unsere Füße, im
Felde reifen die Nehren, riesige Heuwagen streuen ihre grünen Büschel in die
Furchen der Feldwege und der Schnitter hämmert und wetzt an seiner Sense.
Und in den Fabriken dampft der Schornstein heiß und eifrig, es schnurrt das
Rad, die Spindel dreht sich in hastigem Tanze. Ueberall in den kleinen Kreisen
unseres Lebens emsige Arbeit, Verdienst und Hoffnung. Der Arbeiter hat jetzt
keine Zeit und Lust, auf seine Demagogen zu hören, und die bange Furcht der
Besitzenden weicht dem Behagen an lohnender Thätigkeit. An unserem politischen
Himmel aber hängen die Wolken noch dick und schwer, und vergebens sucht das
Auge in den veränderlichen Luftgebilden feste Formen und einen reinigenden Luft¬
zug. Viele Neuigkeiten hat die letzte Woche gebracht, aber Wichtiges ist uns
noch nicht bekannt genug, um ein definitives Urtheil darüber auszusprechen.
Deßhalb sei es gestattet, mehrere solcher Einzelheiten zusammen zu fassen und einen
Prüfenden Blick über den Horizont zu werfen, welcher uns und unsere Schick¬
sale einschließt.

Amerikanische Kriegsschiffe vor Lissabon, von dein armseligen Staate Forde¬
rungen einznkasstren, englische zu gleichen! Zweck vor Neapel; Spanien in Hoff¬
nung auf einen Thronerben, und durch eine kräftige Regierung und verständige
Zollgesetzgebung in langsamer Genesung von seinen alten Fieberschauern; Italien
durch die Zwiste der päpstlichen Regierung mit Sardinien, das brutale Aufgeben
der constitutionellen Formen in Neapel, die sichern Fortschritte der Oestreicher und
eine höchst radikale Volkspartei in seinem Auflösungsprozeß immer weiter schreitend;
die Türkei trotz der triumphirenden Rundreise des Sultans durch russische Agenten
und rohe Unbändigkeit der einzelnen Provinzen in krampfhaften Zuckungen, das ist
der Eindruck, den die südlichen Halbinseln des europäischen Continents machen. Daß


Grenzvote». III. 1850. 11
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[0089] Politische Wochenschau. Preußen und Oestreich. Der Luftzug uuserer Julimorgen weht die Rosenblätter vor unsere Füße, im Felde reifen die Nehren, riesige Heuwagen streuen ihre grünen Büschel in die Furchen der Feldwege und der Schnitter hämmert und wetzt an seiner Sense. Und in den Fabriken dampft der Schornstein heiß und eifrig, es schnurrt das Rad, die Spindel dreht sich in hastigem Tanze. Ueberall in den kleinen Kreisen unseres Lebens emsige Arbeit, Verdienst und Hoffnung. Der Arbeiter hat jetzt keine Zeit und Lust, auf seine Demagogen zu hören, und die bange Furcht der Besitzenden weicht dem Behagen an lohnender Thätigkeit. An unserem politischen Himmel aber hängen die Wolken noch dick und schwer, und vergebens sucht das Auge in den veränderlichen Luftgebilden feste Formen und einen reinigenden Luft¬ zug. Viele Neuigkeiten hat die letzte Woche gebracht, aber Wichtiges ist uns noch nicht bekannt genug, um ein definitives Urtheil darüber auszusprechen. Deßhalb sei es gestattet, mehrere solcher Einzelheiten zusammen zu fassen und einen Prüfenden Blick über den Horizont zu werfen, welcher uns und unsere Schick¬ sale einschließt. Amerikanische Kriegsschiffe vor Lissabon, von dein armseligen Staate Forde¬ rungen einznkasstren, englische zu gleichen! Zweck vor Neapel; Spanien in Hoff¬ nung auf einen Thronerben, und durch eine kräftige Regierung und verständige Zollgesetzgebung in langsamer Genesung von seinen alten Fieberschauern; Italien durch die Zwiste der päpstlichen Regierung mit Sardinien, das brutale Aufgeben der constitutionellen Formen in Neapel, die sichern Fortschritte der Oestreicher und eine höchst radikale Volkspartei in seinem Auflösungsprozeß immer weiter schreitend; die Türkei trotz der triumphirenden Rundreise des Sultans durch russische Agenten und rohe Unbändigkeit der einzelnen Provinzen in krampfhaften Zuckungen, das ist der Eindruck, den die südlichen Halbinseln des europäischen Continents machen. Daß Grenzvote». III. 1850. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/89>, abgerufen am 08.05.2024.