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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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rüstig fort, eine Compagnie löste die andere ab, und selbst lange nachdem Radetzky
die deutschen Grenzpfähle an den Marken feste, die er vertheidigt, hatten die
lustigen Burschen uoch ihre Freude daran, die Pässe Tyrols zu hüten. Da die
Wälschen immer zu hoch schössen, und den zwei einzigen diesseits Gefallenen jen¬
seits vollzählige Hekatomben geopfert wurden, war viele Ehre ohne große Gefahr
zu ernten; Mancher vom Lande mochte sich auch daheim kaum so viel erwerben,
als die Löhnung für den muntern Wachtdienst abwarf. So kam es, daß bis zum
16. August uicht weniger als 16,633 Tyroler mit dein Stutzen ihre Heimath ver¬
ließen, und mit Zuzcihluug der noch später Ausgerückten bei 17,000 mit der
eigens dazu geprägten Schützenmedaille belohnt wurden. Einige davon begna¬
digte man auch mit einer goldenen oder mit einen: Orden, was hie und da zu
einer scharfen Analyse ihrer Verdienste führte. Wer könnte auch mit der Gold¬
waage den Werth eiues Diamanten bestimmen?

Jenen aber, welche die Zügel der Herrschaft lenken, mögen diese Thatsachen
erzählen, wieweit sie künftig in Tyrol auf clericale Hilfe rechnen dürfen. Die
freie Hilfe des Volkes zu fordern, werden sie vorläufig nicht geneigt sein.




Preußischer Brief.

Mein letzter Brief schien durch die gleich darauf eintretenden Ereignisse ein
Dementi zu erhalten; fassen Sie die heutige Sachlage in's Auge, und Sie werden
ihn wieder vollkommen darauf anwendbar finden. Man kann bei unserm Mini¬
sterium darauf gefaßt sein, daß jeder morgende Tag den heutigen Lügen strafen
wird.

In dem fürchterlichen Kriegslärm, der gleich nach Nadowitz' Entfernung
überall in Preußen geschlagen wurde, machte sich am lautesten die Stimme der
Kreuzzeitung vernehmlich. Sie tobte sich in eine so merkwürdige Begeisterung
hinein, daß sie zuletzt darüber vollständig den Verstand verlor. Als ein Artikel
in der Kölnischen Zeitung (aller Wahrscheinlichkeit nach vou Camphausen) sich
dnrch die plötzlich auflodernde Gluth der reactionären Partei nicht abhalten ließ,
die Politik des Ministeriums, welches sich jetzt auf einmal so kriegerisch gebärdete,
ziemlich scharf zu kritistren, aber doch nicht schärfer, als es die Kreuzzeitung einige
Tage früher noch selber gechan, so brüllte diese: "Da seht ihr den Patriotismus
der Rheinländer! sie denken ans Abfall! auf Abfall an Frankreich! nun wartet!
wenn wir siegen, werden wir euch wieder erobern, und euch, die ihr Heloten¬
gesinnung habt, wie Heloten behandeln!" Nun mag es zwar für die Herren
v. Gerlach, Ohm, v. Bismark-Schönhausen, Wagner, Stahl und Gödsche und
das übrige Nedactions-Personal der Neuen Preußischen eine ganz verlockende


rüstig fort, eine Compagnie löste die andere ab, und selbst lange nachdem Radetzky
die deutschen Grenzpfähle an den Marken feste, die er vertheidigt, hatten die
lustigen Burschen uoch ihre Freude daran, die Pässe Tyrols zu hüten. Da die
Wälschen immer zu hoch schössen, und den zwei einzigen diesseits Gefallenen jen¬
seits vollzählige Hekatomben geopfert wurden, war viele Ehre ohne große Gefahr
zu ernten; Mancher vom Lande mochte sich auch daheim kaum so viel erwerben,
als die Löhnung für den muntern Wachtdienst abwarf. So kam es, daß bis zum
16. August uicht weniger als 16,633 Tyroler mit dein Stutzen ihre Heimath ver¬
ließen, und mit Zuzcihluug der noch später Ausgerückten bei 17,000 mit der
eigens dazu geprägten Schützenmedaille belohnt wurden. Einige davon begna¬
digte man auch mit einer goldenen oder mit einen: Orden, was hie und da zu
einer scharfen Analyse ihrer Verdienste führte. Wer könnte auch mit der Gold¬
waage den Werth eiues Diamanten bestimmen?

Jenen aber, welche die Zügel der Herrschaft lenken, mögen diese Thatsachen
erzählen, wieweit sie künftig in Tyrol auf clericale Hilfe rechnen dürfen. Die
freie Hilfe des Volkes zu fordern, werden sie vorläufig nicht geneigt sein.




Preußischer Brief.

Mein letzter Brief schien durch die gleich darauf eintretenden Ereignisse ein
Dementi zu erhalten; fassen Sie die heutige Sachlage in's Auge, und Sie werden
ihn wieder vollkommen darauf anwendbar finden. Man kann bei unserm Mini¬
sterium darauf gefaßt sein, daß jeder morgende Tag den heutigen Lügen strafen
wird.

In dem fürchterlichen Kriegslärm, der gleich nach Nadowitz' Entfernung
überall in Preußen geschlagen wurde, machte sich am lautesten die Stimme der
Kreuzzeitung vernehmlich. Sie tobte sich in eine so merkwürdige Begeisterung
hinein, daß sie zuletzt darüber vollständig den Verstand verlor. Als ein Artikel
in der Kölnischen Zeitung (aller Wahrscheinlichkeit nach vou Camphausen) sich
dnrch die plötzlich auflodernde Gluth der reactionären Partei nicht abhalten ließ,
die Politik des Ministeriums, welches sich jetzt auf einmal so kriegerisch gebärdete,
ziemlich scharf zu kritistren, aber doch nicht schärfer, als es die Kreuzzeitung einige
Tage früher noch selber gechan, so brüllte diese: „Da seht ihr den Patriotismus
der Rheinländer! sie denken ans Abfall! auf Abfall an Frankreich! nun wartet!
wenn wir siegen, werden wir euch wieder erobern, und euch, die ihr Heloten¬
gesinnung habt, wie Heloten behandeln!" Nun mag es zwar für die Herren
v. Gerlach, Ohm, v. Bismark-Schönhausen, Wagner, Stahl und Gödsche und
das übrige Nedactions-Personal der Neuen Preußischen eine ganz verlockende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/315>, abgerufen am 04.05.2024.