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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Die ungarische Emigration in England.

Es ist jetzt ein Jahr, daß die traurige Wanderung der Heimath flüchtigen
Magyaren nach dem Süden und Westen Europa's, nach den gastfreundlichen
Häfen Amerika's begann. Mau braucht eben kein gottbegeisterter Seher zu sein,
um zu prophezeihen, daß diese Hegira des modernen ungarischen Mahommed
und seiner Gläubigen der Anfang einer bedeutungsvollen Epoche für Ungarn
begründet. Viele von denen, welche die Grenze glücklich überschritte", sind zuvor
Mouate laug im eigenen Laude verkleidet uiuhergeirrt, haben selbst später traurige
Kreuz- und Querzüge durch Deutschlands argwöhnisch bewachte Städte und Einzel-
staaten macheu müssen, bevor es ihnen gelang, eiuen sicheren Fleck in Frankreich,
Englaud, Amerika oder dem schweizerischen Gebiete und in der Türkei zu erreichen,
wo sie die Vermummung vou sich werfen und es wagen durften, unter ihrem
eigenen Namen offen aufzutreten. Die Geschichte dieser Wanderungen fällt den
Biographen und Nmnanschreibern der Zukunft anheim. Erst jetzt, nach eiueiu
völkerthränenreichen Jahre, kann man annehmen, daß sich die ungarische Emi¬
gration auf verschiedenen Punkten niedergelassen hat; erst jetzt ist die ungeregelte
Strömung vom Osten zu einem Stillstande gelaugt, und es läßt sich füglich die
ungarische Emigration als eine französische, türkische, amerikanische und englische
betrachten.

Es sei hier blos von letzterer die Rede, und wie sich vou selbst versteht, soll
uur der hervorragenderen Kapacitäten Erwähnung geschehen.

Als die Nachricht vou Go'rgey's Waffeustrecknug bei Vilagos die Welt durch¬
flog, waren von bedeutenden magyarischen Persönlichkeiten blos drei in London
anwesend: Franz Pnlszky, Pastor Wimmer und Joseph Orosz. Den Namen des
Letzteren kannte das ungarische Lesepublicum vou deu Zeiten Metternich's her, in
welchen er das Pesther Tageblatt "Hirnök" redigirte. Ueber seiue damalige Thä¬
tigkeit ist uicht viel zu sagen. Der Hiruök war ein vou der Censur gerupfter
Vogel, wie all' die übrigen östreichische" Journale jeuer Epoche. Mauche meinten,
Herr Orosz könnte ihm Flügel geben, wenn er dürfte, Andere behaupteten, er
dürfte, wenn er könnte. Jedenfalls schlug der Hiruök zuweilen einen freieren Ton
an als seine Leidensbrüder in den übrigen Kronländer; dergleichen Ungezogen¬
heiten gestattete der greise Staatskanzler seinen ungarischen Pflegesöhnen, während
er doch sonst im großen Hause ziemlich barsch die Ruhe zu erhalten wußte. Vom
"Hirnök" trat Orosz zum "Völkerbünde"; er hatte deu Meister gewechselt, er
und sein schüchtern halbliberales Blatt wurden nun von Kossuth und Batthyauyi


Die ungarische Emigration in England.

Es ist jetzt ein Jahr, daß die traurige Wanderung der Heimath flüchtigen
Magyaren nach dem Süden und Westen Europa's, nach den gastfreundlichen
Häfen Amerika's begann. Mau braucht eben kein gottbegeisterter Seher zu sein,
um zu prophezeihen, daß diese Hegira des modernen ungarischen Mahommed
und seiner Gläubigen der Anfang einer bedeutungsvollen Epoche für Ungarn
begründet. Viele von denen, welche die Grenze glücklich überschritte«, sind zuvor
Mouate laug im eigenen Laude verkleidet uiuhergeirrt, haben selbst später traurige
Kreuz- und Querzüge durch Deutschlands argwöhnisch bewachte Städte und Einzel-
staaten macheu müssen, bevor es ihnen gelang, eiuen sicheren Fleck in Frankreich,
Englaud, Amerika oder dem schweizerischen Gebiete und in der Türkei zu erreichen,
wo sie die Vermummung vou sich werfen und es wagen durften, unter ihrem
eigenen Namen offen aufzutreten. Die Geschichte dieser Wanderungen fällt den
Biographen und Nmnanschreibern der Zukunft anheim. Erst jetzt, nach eiueiu
völkerthränenreichen Jahre, kann man annehmen, daß sich die ungarische Emi¬
gration auf verschiedenen Punkten niedergelassen hat; erst jetzt ist die ungeregelte
Strömung vom Osten zu einem Stillstande gelaugt, und es läßt sich füglich die
ungarische Emigration als eine französische, türkische, amerikanische und englische
betrachten.

Es sei hier blos von letzterer die Rede, und wie sich vou selbst versteht, soll
uur der hervorragenderen Kapacitäten Erwähnung geschehen.

Als die Nachricht vou Go'rgey's Waffeustrecknug bei Vilagos die Welt durch¬
flog, waren von bedeutenden magyarischen Persönlichkeiten blos drei in London
anwesend: Franz Pnlszky, Pastor Wimmer und Joseph Orosz. Den Namen des
Letzteren kannte das ungarische Lesepublicum vou deu Zeiten Metternich's her, in
welchen er das Pesther Tageblatt „Hirnök" redigirte. Ueber seiue damalige Thä¬
tigkeit ist uicht viel zu sagen. Der Hiruök war ein vou der Censur gerupfter
Vogel, wie all' die übrigen östreichische» Journale jeuer Epoche. Mauche meinten,
Herr Orosz könnte ihm Flügel geben, wenn er dürfte, Andere behaupteten, er
dürfte, wenn er könnte. Jedenfalls schlug der Hiruök zuweilen einen freieren Ton
an als seine Leidensbrüder in den übrigen Kronländer; dergleichen Ungezogen¬
heiten gestattete der greise Staatskanzler seinen ungarischen Pflegesöhnen, während
er doch sonst im großen Hause ziemlich barsch die Ruhe zu erhalten wußte. Vom
„Hirnök" trat Orosz zum „Völkerbünde"; er hatte deu Meister gewechselt, er
und sein schüchtern halbliberales Blatt wurden nun von Kossuth und Batthyauyi


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[0392] Die ungarische Emigration in England. Es ist jetzt ein Jahr, daß die traurige Wanderung der Heimath flüchtigen Magyaren nach dem Süden und Westen Europa's, nach den gastfreundlichen Häfen Amerika's begann. Mau braucht eben kein gottbegeisterter Seher zu sein, um zu prophezeihen, daß diese Hegira des modernen ungarischen Mahommed und seiner Gläubigen der Anfang einer bedeutungsvollen Epoche für Ungarn begründet. Viele von denen, welche die Grenze glücklich überschritte«, sind zuvor Mouate laug im eigenen Laude verkleidet uiuhergeirrt, haben selbst später traurige Kreuz- und Querzüge durch Deutschlands argwöhnisch bewachte Städte und Einzel- staaten macheu müssen, bevor es ihnen gelang, eiuen sicheren Fleck in Frankreich, Englaud, Amerika oder dem schweizerischen Gebiete und in der Türkei zu erreichen, wo sie die Vermummung vou sich werfen und es wagen durften, unter ihrem eigenen Namen offen aufzutreten. Die Geschichte dieser Wanderungen fällt den Biographen und Nmnanschreibern der Zukunft anheim. Erst jetzt, nach eiueiu völkerthränenreichen Jahre, kann man annehmen, daß sich die ungarische Emi¬ gration auf verschiedenen Punkten niedergelassen hat; erst jetzt ist die ungeregelte Strömung vom Osten zu einem Stillstande gelaugt, und es läßt sich füglich die ungarische Emigration als eine französische, türkische, amerikanische und englische betrachten. Es sei hier blos von letzterer die Rede, und wie sich vou selbst versteht, soll uur der hervorragenderen Kapacitäten Erwähnung geschehen. Als die Nachricht vou Go'rgey's Waffeustrecknug bei Vilagos die Welt durch¬ flog, waren von bedeutenden magyarischen Persönlichkeiten blos drei in London anwesend: Franz Pnlszky, Pastor Wimmer und Joseph Orosz. Den Namen des Letzteren kannte das ungarische Lesepublicum vou deu Zeiten Metternich's her, in welchen er das Pesther Tageblatt „Hirnök" redigirte. Ueber seiue damalige Thä¬ tigkeit ist uicht viel zu sagen. Der Hiruök war ein vou der Censur gerupfter Vogel, wie all' die übrigen östreichische» Journale jeuer Epoche. Mauche meinten, Herr Orosz könnte ihm Flügel geben, wenn er dürfte, Andere behaupteten, er dürfte, wenn er könnte. Jedenfalls schlug der Hiruök zuweilen einen freieren Ton an als seine Leidensbrüder in den übrigen Kronländer; dergleichen Ungezogen¬ heiten gestattete der greise Staatskanzler seinen ungarischen Pflegesöhnen, während er doch sonst im großen Hause ziemlich barsch die Ruhe zu erhalten wußte. Vom „Hirnök" trat Orosz zum „Völkerbünde"; er hatte deu Meister gewechselt, er und sein schüchtern halbliberales Blatt wurden nun von Kossuth und Batthyauyi

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/392>, abgerufen am 04.05.2024.