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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Hessische Staatsmänner.
v. Bardeleben, spätere Kriegsminister.

Unter die vielen Zeichen und Wunder, womit uns das Jahr 1858 über¬
raschte, gehörte auch nach dem Rücktritt von Weiß die Ernennung des pensio-
nirten Generallieutenant von Bardeleben zum wirklichen Kriegsminister.
Zwar glaubten viele seiner Kameraden diese Erhebung Bardeleben'S zum Münster
schon 5--6 Jahre früher erwarten zu dürfen, als derselbe vou Rinteln, wohin er
seit Anfang der dreißiger Jahre wegen seiner notorisch liberalen Gesinnung als
Stadtcommaudaut versetzt war, unvermuthet uach Kassel beschieden wurde. Seine
Schwelle wurde damals fast nicht leer von antichambrircnden -- Freunden. Der
Alte empfing die Huldigungen mit diplomatischer Schweigsamkeit und schalkhaftem
Lächeln. Aber o schreckliche Enttäuschung! Bald offenbarte es sich, daß Barde¬
leben nicht als Minister, souderu als -- Arrestant in die Residenz berufen wor¬
den war; denn die geheime Polizei hatte pflichtschuldigst berichtet, daß der alte
Herr einen neuen Beweis seiner Unverbesserlichkeit abgelegt habe, indem er dem
hessischen Zopf- und Kamaschensystem zum Trotz täglich ohne Uniform ausgeht.
Zwar konnte der Maun ans Gesundheitsrücksichten die knappe Uniform nicht gut
tragen; auch war kein Soldat in der geschleiften Festung, welcher durch das üble
Beispiel des Commandanten hätte geärgert werdeu köunen. Aber die Gerechtig¬
keit forderte das Opfer. So mußte der beuarbte, mit vielen Orden geschmückte
Held, welcher seinem vertriebenen Fürsten Wilhelm I. nach Itzehoe gefolgt und
nur mit dessen ausdrücklicher Einwilligung erst in preußische, dann in westfä¬
lische Dienste getreten war, welcher alle Feldzüge des Jahrhunderts mitgemacht
und als Bataillouscommaudeur in Nußland beide Beine erfroren hatte, in Kassel
einige Tage Hausarrest aushalten. Die Besuche fanden sich vou uun an spärli¬
cher ein. Der gekränkte Greis, dessen Körperkraft durch die langjährige aufge-
zwungene Unthätigkeit ohnehin gebrochen war, wenn gleich sein Geist sich jung
und frisch erhalten, hatte bald darauf seinen Abschied genommen, war nach Kassel
gezogen, hatte es aber nicht über sich gewinnen können, dem obersten Militärchef
seine Aufwartung zu macheu, und lebte fortwährend in allerhöchster Ungnade.
Und jetzt wurde dieser alte Trotzkopf in's Ministerium berufen, durste seiue Be¬
dingungen stellen, erhielt die Erlaubniß, im schlichten Militär-Ueberrock in's Pa¬
lais zu kommen und Vortrag zu halten. Fürwahr eine glänzende Genugthuung!
Doch die Freude war nicht von langer Dauer. Wohl sorgte der patriotische
Minister dafür, daß die vom Reichsverweser angeordnete militärische Huldiguugs-
feier am 6. Aug. 1848 uuter persönlicher Betheiligung des Kurfürsten mit allem


Hessische Staatsmänner.
v. Bardeleben, spätere Kriegsminister.

Unter die vielen Zeichen und Wunder, womit uns das Jahr 1858 über¬
raschte, gehörte auch nach dem Rücktritt von Weiß die Ernennung des pensio-
nirten Generallieutenant von Bardeleben zum wirklichen Kriegsminister.
Zwar glaubten viele seiner Kameraden diese Erhebung Bardeleben'S zum Münster
schon 5—6 Jahre früher erwarten zu dürfen, als derselbe vou Rinteln, wohin er
seit Anfang der dreißiger Jahre wegen seiner notorisch liberalen Gesinnung als
Stadtcommaudaut versetzt war, unvermuthet uach Kassel beschieden wurde. Seine
Schwelle wurde damals fast nicht leer von antichambrircnden — Freunden. Der
Alte empfing die Huldigungen mit diplomatischer Schweigsamkeit und schalkhaftem
Lächeln. Aber o schreckliche Enttäuschung! Bald offenbarte es sich, daß Barde¬
leben nicht als Minister, souderu als — Arrestant in die Residenz berufen wor¬
den war; denn die geheime Polizei hatte pflichtschuldigst berichtet, daß der alte
Herr einen neuen Beweis seiner Unverbesserlichkeit abgelegt habe, indem er dem
hessischen Zopf- und Kamaschensystem zum Trotz täglich ohne Uniform ausgeht.
Zwar konnte der Maun ans Gesundheitsrücksichten die knappe Uniform nicht gut
tragen; auch war kein Soldat in der geschleiften Festung, welcher durch das üble
Beispiel des Commandanten hätte geärgert werdeu köunen. Aber die Gerechtig¬
keit forderte das Opfer. So mußte der beuarbte, mit vielen Orden geschmückte
Held, welcher seinem vertriebenen Fürsten Wilhelm I. nach Itzehoe gefolgt und
nur mit dessen ausdrücklicher Einwilligung erst in preußische, dann in westfä¬
lische Dienste getreten war, welcher alle Feldzüge des Jahrhunderts mitgemacht
und als Bataillouscommaudeur in Nußland beide Beine erfroren hatte, in Kassel
einige Tage Hausarrest aushalten. Die Besuche fanden sich vou uun an spärli¬
cher ein. Der gekränkte Greis, dessen Körperkraft durch die langjährige aufge-
zwungene Unthätigkeit ohnehin gebrochen war, wenn gleich sein Geist sich jung
und frisch erhalten, hatte bald darauf seinen Abschied genommen, war nach Kassel
gezogen, hatte es aber nicht über sich gewinnen können, dem obersten Militärchef
seine Aufwartung zu macheu, und lebte fortwährend in allerhöchster Ungnade.
Und jetzt wurde dieser alte Trotzkopf in's Ministerium berufen, durste seiue Be¬
dingungen stellen, erhielt die Erlaubniß, im schlichten Militär-Ueberrock in's Pa¬
lais zu kommen und Vortrag zu halten. Fürwahr eine glänzende Genugthuung!
Doch die Freude war nicht von langer Dauer. Wohl sorgte der patriotische
Minister dafür, daß die vom Reichsverweser angeordnete militärische Huldiguugs-
feier am 6. Aug. 1848 uuter persönlicher Betheiligung des Kurfürsten mit allem


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[0429] Hessische Staatsmänner. v. Bardeleben, spätere Kriegsminister. Unter die vielen Zeichen und Wunder, womit uns das Jahr 1858 über¬ raschte, gehörte auch nach dem Rücktritt von Weiß die Ernennung des pensio- nirten Generallieutenant von Bardeleben zum wirklichen Kriegsminister. Zwar glaubten viele seiner Kameraden diese Erhebung Bardeleben'S zum Münster schon 5—6 Jahre früher erwarten zu dürfen, als derselbe vou Rinteln, wohin er seit Anfang der dreißiger Jahre wegen seiner notorisch liberalen Gesinnung als Stadtcommaudaut versetzt war, unvermuthet uach Kassel beschieden wurde. Seine Schwelle wurde damals fast nicht leer von antichambrircnden — Freunden. Der Alte empfing die Huldigungen mit diplomatischer Schweigsamkeit und schalkhaftem Lächeln. Aber o schreckliche Enttäuschung! Bald offenbarte es sich, daß Barde¬ leben nicht als Minister, souderu als — Arrestant in die Residenz berufen wor¬ den war; denn die geheime Polizei hatte pflichtschuldigst berichtet, daß der alte Herr einen neuen Beweis seiner Unverbesserlichkeit abgelegt habe, indem er dem hessischen Zopf- und Kamaschensystem zum Trotz täglich ohne Uniform ausgeht. Zwar konnte der Maun ans Gesundheitsrücksichten die knappe Uniform nicht gut tragen; auch war kein Soldat in der geschleiften Festung, welcher durch das üble Beispiel des Commandanten hätte geärgert werdeu köunen. Aber die Gerechtig¬ keit forderte das Opfer. So mußte der beuarbte, mit vielen Orden geschmückte Held, welcher seinem vertriebenen Fürsten Wilhelm I. nach Itzehoe gefolgt und nur mit dessen ausdrücklicher Einwilligung erst in preußische, dann in westfä¬ lische Dienste getreten war, welcher alle Feldzüge des Jahrhunderts mitgemacht und als Bataillouscommaudeur in Nußland beide Beine erfroren hatte, in Kassel einige Tage Hausarrest aushalten. Die Besuche fanden sich vou uun an spärli¬ cher ein. Der gekränkte Greis, dessen Körperkraft durch die langjährige aufge- zwungene Unthätigkeit ohnehin gebrochen war, wenn gleich sein Geist sich jung und frisch erhalten, hatte bald darauf seinen Abschied genommen, war nach Kassel gezogen, hatte es aber nicht über sich gewinnen können, dem obersten Militärchef seine Aufwartung zu macheu, und lebte fortwährend in allerhöchster Ungnade. Und jetzt wurde dieser alte Trotzkopf in's Ministerium berufen, durste seiue Be¬ dingungen stellen, erhielt die Erlaubniß, im schlichten Militär-Ueberrock in's Pa¬ lais zu kommen und Vortrag zu halten. Fürwahr eine glänzende Genugthuung! Doch die Freude war nicht von langer Dauer. Wohl sorgte der patriotische Minister dafür, daß die vom Reichsverweser angeordnete militärische Huldiguugs- feier am 6. Aug. 1848 uuter persönlicher Betheiligung des Kurfürsten mit allem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/429>, abgerufen am 04.05.2024.