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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Prinzip der parlamentarischen Regierung, dieser Lebsnsbedingung jedes wahren
Constitutionalismus. Es setzt lieber die Zukunft der Dynastie auf's Spiel und
gibt den ohnehin täglich im Volke weiter um sich greifenden Mediatistrungsgedan-
ken immer frische Nahrung, als daß es von seiner eigenen Existenz auch nur einen
Tag opferte. Es macht alle Anstalt, die einst so nachhaltige Popularität des
königlichen Namens allmälig bis aus den letzten Kern aufzuzehren, ohne doch da¬
mit der gallopirenden Schwindsucht seiner eigenen UnPopularität aufhelfen zu kön¬
nen. Es gleicht einem schlechten Banqueroutteur, der noch in dem Momente, wo er
sich schon insolvent weiß, seine besten Freunde mit in sein Verderben hineinreißt.

Das ist das Ministerium, aus dessen Händen Sachsen die Lösung seiner
größten Lebensfrage, der deutschen, die Begründung seiner künftigen Stellung im
deutschen Staatensysteme zu erwarten hat. Trotz alles Zauderns und Hinhaltens
der Regierung, steht doch der Tag nahe bevor, wo über diese Frage der parla¬
mentarische Kampf zwischen ihr und den Kammern beginnen wird. Die Stellung
der Feldlager in diesem Kampfe zu bezeichnen und Sieg oder Niederlage vvraus-
zudeuteu, bleibe einer besondern Betrachtung vorbehalten.




Beiträge zur Geschichte der ungarischen Revolution



7.

Meine Herren Redakteure! Unter dem vielen Ungewöhnlichen, welches die
Entwickelung und der tragische Ausgang der ungarischen Revolution zu Tage ge¬
bracht hat, ist das Verhältniß Görgey's zur Kossuth'schen Regierung einerseits,
so wie das zwischen Görgey und den feindlichen Heeren andererseits die wichtigste



Anm. des Einsenders.
*) Der Verfasser, ein Ungar, der sich seit drei Jahren ununterbrochen in Pesth aufhielt,
theilt vollkommen die in diesen Blättern bereits ausgesprochene Ansicht, baß nur wenige Män¬
ner leben, die eine Geschichte der ungarischen Revolution schreiben können, und setzt
noch hinzu, daß selbst diese Wenigen noch nicht jetzt, sondern erst nach Jahren im Stande
sein werden, sich selbst ein klares Bild dieses großen Dramas zu entwerfen; denn auch Kossuth,
von dem wir vor Allen ein gutes Werk hoffen dürfen, wird noch jetzt über viele Handlungen
seiner Gefährten, besonders Görgey's, nicht im Klaren sein. -- Alle, die wir in dieser großen
Zeit in Ungarn lebten, sollen unsere Ersahrunge" und Erlebnisse nicht vorenthalten. Dies find
wir unserem Glück, das uns dem Henkerbeil entzogen, der Geschichte und unserem unglücklichen
Vaterlande schuldig... Wir können einzelne Steine zu dem großen Bau einer Geschichte dieser
Zeit zusammentragen, aber zum Baumeister sollen wir uns nicht aufwerfen, am wenigsten
aber jene, die unser Vaterland nie gesehen haben.

Prinzip der parlamentarischen Regierung, dieser Lebsnsbedingung jedes wahren
Constitutionalismus. Es setzt lieber die Zukunft der Dynastie auf's Spiel und
gibt den ohnehin täglich im Volke weiter um sich greifenden Mediatistrungsgedan-
ken immer frische Nahrung, als daß es von seiner eigenen Existenz auch nur einen
Tag opferte. Es macht alle Anstalt, die einst so nachhaltige Popularität des
königlichen Namens allmälig bis aus den letzten Kern aufzuzehren, ohne doch da¬
mit der gallopirenden Schwindsucht seiner eigenen UnPopularität aufhelfen zu kön¬
nen. Es gleicht einem schlechten Banqueroutteur, der noch in dem Momente, wo er
sich schon insolvent weiß, seine besten Freunde mit in sein Verderben hineinreißt.

Das ist das Ministerium, aus dessen Händen Sachsen die Lösung seiner
größten Lebensfrage, der deutschen, die Begründung seiner künftigen Stellung im
deutschen Staatensysteme zu erwarten hat. Trotz alles Zauderns und Hinhaltens
der Regierung, steht doch der Tag nahe bevor, wo über diese Frage der parla¬
mentarische Kampf zwischen ihr und den Kammern beginnen wird. Die Stellung
der Feldlager in diesem Kampfe zu bezeichnen und Sieg oder Niederlage vvraus-
zudeuteu, bleibe einer besondern Betrachtung vorbehalten.




Beiträge zur Geschichte der ungarischen Revolution



7.

Meine Herren Redakteure! Unter dem vielen Ungewöhnlichen, welches die
Entwickelung und der tragische Ausgang der ungarischen Revolution zu Tage ge¬
bracht hat, ist das Verhältniß Görgey's zur Kossuth'schen Regierung einerseits,
so wie das zwischen Görgey und den feindlichen Heeren andererseits die wichtigste



Anm. des Einsenders.
*) Der Verfasser, ein Ungar, der sich seit drei Jahren ununterbrochen in Pesth aufhielt,
theilt vollkommen die in diesen Blättern bereits ausgesprochene Ansicht, baß nur wenige Män¬
ner leben, die eine Geschichte der ungarischen Revolution schreiben können, und setzt
noch hinzu, daß selbst diese Wenigen noch nicht jetzt, sondern erst nach Jahren im Stande
sein werden, sich selbst ein klares Bild dieses großen Dramas zu entwerfen; denn auch Kossuth,
von dem wir vor Allen ein gutes Werk hoffen dürfen, wird noch jetzt über viele Handlungen
seiner Gefährten, besonders Görgey's, nicht im Klaren sein. — Alle, die wir in dieser großen
Zeit in Ungarn lebten, sollen unsere Ersahrunge» und Erlebnisse nicht vorenthalten. Dies find
wir unserem Glück, das uns dem Henkerbeil entzogen, der Geschichte und unserem unglücklichen
Vaterlande schuldig... Wir können einzelne Steine zu dem großen Bau einer Geschichte dieser
Zeit zusammentragen, aber zum Baumeister sollen wir uns nicht aufwerfen, am wenigsten
aber jene, die unser Vaterland nie gesehen haben.
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[0103] Prinzip der parlamentarischen Regierung, dieser Lebsnsbedingung jedes wahren Constitutionalismus. Es setzt lieber die Zukunft der Dynastie auf's Spiel und gibt den ohnehin täglich im Volke weiter um sich greifenden Mediatistrungsgedan- ken immer frische Nahrung, als daß es von seiner eigenen Existenz auch nur einen Tag opferte. Es macht alle Anstalt, die einst so nachhaltige Popularität des königlichen Namens allmälig bis aus den letzten Kern aufzuzehren, ohne doch da¬ mit der gallopirenden Schwindsucht seiner eigenen UnPopularität aufhelfen zu kön¬ nen. Es gleicht einem schlechten Banqueroutteur, der noch in dem Momente, wo er sich schon insolvent weiß, seine besten Freunde mit in sein Verderben hineinreißt. Das ist das Ministerium, aus dessen Händen Sachsen die Lösung seiner größten Lebensfrage, der deutschen, die Begründung seiner künftigen Stellung im deutschen Staatensysteme zu erwarten hat. Trotz alles Zauderns und Hinhaltens der Regierung, steht doch der Tag nahe bevor, wo über diese Frage der parla¬ mentarische Kampf zwischen ihr und den Kammern beginnen wird. Die Stellung der Feldlager in diesem Kampfe zu bezeichnen und Sieg oder Niederlage vvraus- zudeuteu, bleibe einer besondern Betrachtung vorbehalten. Beiträge zur Geschichte der ungarischen Revolution 7. Meine Herren Redakteure! Unter dem vielen Ungewöhnlichen, welches die Entwickelung und der tragische Ausgang der ungarischen Revolution zu Tage ge¬ bracht hat, ist das Verhältniß Görgey's zur Kossuth'schen Regierung einerseits, so wie das zwischen Görgey und den feindlichen Heeren andererseits die wichtigste Anm. des Einsenders. *) Der Verfasser, ein Ungar, der sich seit drei Jahren ununterbrochen in Pesth aufhielt, theilt vollkommen die in diesen Blättern bereits ausgesprochene Ansicht, baß nur wenige Män¬ ner leben, die eine Geschichte der ungarischen Revolution schreiben können, und setzt noch hinzu, daß selbst diese Wenigen noch nicht jetzt, sondern erst nach Jahren im Stande sein werden, sich selbst ein klares Bild dieses großen Dramas zu entwerfen; denn auch Kossuth, von dem wir vor Allen ein gutes Werk hoffen dürfen, wird noch jetzt über viele Handlungen seiner Gefährten, besonders Görgey's, nicht im Klaren sein. — Alle, die wir in dieser großen Zeit in Ungarn lebten, sollen unsere Ersahrunge» und Erlebnisse nicht vorenthalten. Dies find wir unserem Glück, das uns dem Henkerbeil entzogen, der Geschichte und unserem unglücklichen Vaterlande schuldig... Wir können einzelne Steine zu dem großen Bau einer Geschichte dieser Zeit zusammentragen, aber zum Baumeister sollen wir uns nicht aufwerfen, am wenigsten aber jene, die unser Vaterland nie gesehen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/103>, abgerufen am 04.05.2024.