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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Christliche Reminiscenzen in der modernen Kunst.



Neben den Landschaften, Blumen- und Fruchtstücken, Porträts, Genrebildern
und historischen Anläufen finden wir von Zeit zu Zeit in unsern Kunstausstellungen
auch noch ein zierliches Kirchenbild mit den Gesichtern des Raphael'schen Typus,
aber nach der Convenienz unserer Modckupfer zugeschnitten. Es ist nicht mehr,
wie im 16. und 17. Jahrhundert, das unmittelbare Bedürfniß, dem sie ihr Dasein
verdanken, sondern theils eine gewisse künstlerische Usance, die sich noch immer
nickt von der Vorstellung trennen kaun, als sei die Bibel die allein legitime O-nelle
aller Poesie, vornämlich für die Maler, theils die Trägheit unserer deutschen
Maler, welche, sich uicht die Mühe geben, Menschen in der Bewegung zu studiren,
und sich, wenn sie nicht ihrer lieben abstracten Symbolik fröhnen dürfen, wenig¬
stens eines halbsymbolifchen Stoffes bemächtigen, in welchem der Contrast, ohne
den ein historisches Gemälde nicht denkbar, nicht in der Seele Wurzel geschlagen
hat, sondern äußerlich, zuständlich, im Costüm und in der landschaftlichen Gruppe
vermittelt wird, wie Jeremias mit den verhungernden Israeliten in der Wüste,
die trauernden Juden an den Wassern von Babel n. s. w. Künstler von einer
dramatischen Anlage, denen in dem eignen Charakter wie in der sie umgebenden
Welt die Kraft gegeben war, den Geist in der Bewegung zu empfinden und wie¬
derzugeben, wie Rubens, der Shakespeare unter deu Malern, verstanden auch
dem Christenthum seine heroische Seite abzugewinnen, nud der Sohn Gottes im
jüngsten Gericht würde sich eben so ungeschlacht auf eiuer christlich - germanischen
Schnupftabaksdose im Nocvcogeschmack ausuehmeu, als der Neptun im Huus-oA"
oder eiuer von den Herkulischeu Bärenjägern in den Thierstücken. Unser neumodi¬
sches Christenthum dagegen ist weich, milde, human, träge und blasirt wie die
Zeit selber, es geht über das himmelblaue Genre nicht hinaus und würzt den
englischen, himmelwärts strebenden Theaterblick höchstens durch einige sanfte
Thränen.

Vornehmlich sind es einzelne christliche Charaktermasken, lauf welche die an
concreten Idealen noch immer sehr arme Kunst mit besonderer Vorliebe zurück¬
kommt. Ich habe in den Schöpfungen des letzten Semesters, so weit sie nach


Grenzbote u. l. i8W. 21
Christliche Reminiscenzen in der modernen Kunst.



Neben den Landschaften, Blumen- und Fruchtstücken, Porträts, Genrebildern
und historischen Anläufen finden wir von Zeit zu Zeit in unsern Kunstausstellungen
auch noch ein zierliches Kirchenbild mit den Gesichtern des Raphael'schen Typus,
aber nach der Convenienz unserer Modckupfer zugeschnitten. Es ist nicht mehr,
wie im 16. und 17. Jahrhundert, das unmittelbare Bedürfniß, dem sie ihr Dasein
verdanken, sondern theils eine gewisse künstlerische Usance, die sich noch immer
nickt von der Vorstellung trennen kaun, als sei die Bibel die allein legitime O-nelle
aller Poesie, vornämlich für die Maler, theils die Trägheit unserer deutschen
Maler, welche, sich uicht die Mühe geben, Menschen in der Bewegung zu studiren,
und sich, wenn sie nicht ihrer lieben abstracten Symbolik fröhnen dürfen, wenig¬
stens eines halbsymbolifchen Stoffes bemächtigen, in welchem der Contrast, ohne
den ein historisches Gemälde nicht denkbar, nicht in der Seele Wurzel geschlagen
hat, sondern äußerlich, zuständlich, im Costüm und in der landschaftlichen Gruppe
vermittelt wird, wie Jeremias mit den verhungernden Israeliten in der Wüste,
die trauernden Juden an den Wassern von Babel n. s. w. Künstler von einer
dramatischen Anlage, denen in dem eignen Charakter wie in der sie umgebenden
Welt die Kraft gegeben war, den Geist in der Bewegung zu empfinden und wie¬
derzugeben, wie Rubens, der Shakespeare unter deu Malern, verstanden auch
dem Christenthum seine heroische Seite abzugewinnen, nud der Sohn Gottes im
jüngsten Gericht würde sich eben so ungeschlacht auf eiuer christlich - germanischen
Schnupftabaksdose im Nocvcogeschmack ausuehmeu, als der Neptun im Huus-oA»
oder eiuer von den Herkulischeu Bärenjägern in den Thierstücken. Unser neumodi¬
sches Christenthum dagegen ist weich, milde, human, träge und blasirt wie die
Zeit selber, es geht über das himmelblaue Genre nicht hinaus und würzt den
englischen, himmelwärts strebenden Theaterblick höchstens durch einige sanfte
Thränen.

Vornehmlich sind es einzelne christliche Charaktermasken, lauf welche die an
concreten Idealen noch immer sehr arme Kunst mit besonderer Vorliebe zurück¬
kommt. Ich habe in den Schöpfungen des letzten Semesters, so weit sie nach


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[0169] Christliche Reminiscenzen in der modernen Kunst. Neben den Landschaften, Blumen- und Fruchtstücken, Porträts, Genrebildern und historischen Anläufen finden wir von Zeit zu Zeit in unsern Kunstausstellungen auch noch ein zierliches Kirchenbild mit den Gesichtern des Raphael'schen Typus, aber nach der Convenienz unserer Modckupfer zugeschnitten. Es ist nicht mehr, wie im 16. und 17. Jahrhundert, das unmittelbare Bedürfniß, dem sie ihr Dasein verdanken, sondern theils eine gewisse künstlerische Usance, die sich noch immer nickt von der Vorstellung trennen kaun, als sei die Bibel die allein legitime O-nelle aller Poesie, vornämlich für die Maler, theils die Trägheit unserer deutschen Maler, welche, sich uicht die Mühe geben, Menschen in der Bewegung zu studiren, und sich, wenn sie nicht ihrer lieben abstracten Symbolik fröhnen dürfen, wenig¬ stens eines halbsymbolifchen Stoffes bemächtigen, in welchem der Contrast, ohne den ein historisches Gemälde nicht denkbar, nicht in der Seele Wurzel geschlagen hat, sondern äußerlich, zuständlich, im Costüm und in der landschaftlichen Gruppe vermittelt wird, wie Jeremias mit den verhungernden Israeliten in der Wüste, die trauernden Juden an den Wassern von Babel n. s. w. Künstler von einer dramatischen Anlage, denen in dem eignen Charakter wie in der sie umgebenden Welt die Kraft gegeben war, den Geist in der Bewegung zu empfinden und wie¬ derzugeben, wie Rubens, der Shakespeare unter deu Malern, verstanden auch dem Christenthum seine heroische Seite abzugewinnen, nud der Sohn Gottes im jüngsten Gericht würde sich eben so ungeschlacht auf eiuer christlich - germanischen Schnupftabaksdose im Nocvcogeschmack ausuehmeu, als der Neptun im Huus-oA» oder eiuer von den Herkulischeu Bärenjägern in den Thierstücken. Unser neumodi¬ sches Christenthum dagegen ist weich, milde, human, träge und blasirt wie die Zeit selber, es geht über das himmelblaue Genre nicht hinaus und würzt den englischen, himmelwärts strebenden Theaterblick höchstens durch einige sanfte Thränen. Vornehmlich sind es einzelne christliche Charaktermasken, lauf welche die an concreten Idealen noch immer sehr arme Kunst mit besonderer Vorliebe zurück¬ kommt. Ich habe in den Schöpfungen des letzten Semesters, so weit sie nach Grenzbote u. l. i8W. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/169>, abgerufen am 04.05.2024.