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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Neue Dramatiker.



eine Tragödie von Otto Ludwig,
Der Erbförster,

Der Name des Dichters, dessen Heimath Eisfeld ist, war uns bis vor Kur"
zen fremd; er hat vor Jahren Beiträge zu belletristischen Blättern geliefert, wir
kennen sie nicht. Das Trauerspiel, mit welchem die Grenzboten ihre Leser bekannt
machen wollen, wird in Dresden einstudirt und seine Aufführung ist in diesen
Tagen zu erwarten. Das Interesse aber, welches das Stück für den Kritiker
har, liegt nicht gerade darin, daß es als Ganzes ein imponirendes Kunstwerk
ist, sondern in der Energie und Fülle des dramatischen Details, in der Genauig¬
keit und Lebhaftigkeit, mit welcher der Dichter die Charaktere in den Situationen
empfindet. Der Verfasser hat ein großes Dichtertalent, und die Pflicht der Kri¬
tik ist ihm gegenüber, zunächst zu beurtheilen, was er der Kunst mitbringt und
was ihm fehlt, zweitens aber, wo möglich den Weg zu finden, auf dem er das
Fehlende erwerbe" kann. -- Im Jägerhaus von Düsterwalde lebte ein alter Förster
mit seiner Familie, sein Weib war die Verwandte eines reichen Baners, sein äl¬
tester Sohn Forstgehilfe deö Vaters, seine Tochter Marie liebte den Robert, den
Sohn eines Fabrikanten im Dorfe. Der Fabrikant Stein aber war selbst ein
alter Freund des Försters, er besuchte ihn täglich, spielte mit ihm ein ehrbares
Kartenspiel, und zankte sich alle Tage mit ihm, um sich am nächsten Morgen wie¬
der zu versöhne". Denn der alte Stein war sehr heftig und brannte los wie
Schießpulver, und der Förster war ein eigensinniger Trotzkopf, rauh, rücksichtslos,
warmherzig und abergläubisch, ein gradliuiger Mann, dessen Geist ans Subtili-
täten nicht eingerichtet war. -- Der freundschaftliche Verkehr der beiden Familien
wird plötzlich ein anderer. Gestern hat Stein das Gut Düsterwalde gekauft, und
ist Brodherr des Försters geworden, und heut soll die Verlobung der Kinder ge¬
feiert werden. -- Aber vor der Verlobung gerathen die alten Herren wieder in
Streit um das Ausholzen des Forstes, und diesmal wird der Streit bösartig.
Denn jetzt zankt der Gutsherr mit seinem Förster, welcher ihm grob und rück¬
sichtslos widerspricht, der Gutsherr wird heftig und befiehlt, der Förster lacht ihn
aus, und die jähzornige Hitze führt den Gutsherrn so weit, daß er dem Förster
mit Absetzung droht, der Förster aber, dessen Vater und Großvater schon auf der¬
selben Stelle gesessen, haben, bestreitet ihm das Recht dazu, weil er nichts Un-
rechtes begangen hat, und in dem Streitpunkt, dem Ausholzen des Forstes, nur
den Vortheil des Gutes im Ange hat. Der Gutsherr entfernt sich im höchsten
Zorn, und läßt dem Förster die Alternative stellen, entweder zu gehorchen, oder seine
Stelle aufzugeben. Dienstwillige Feindseligkeit seines Buchhalters macht den Riß


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Neue Dramatiker.



eine Tragödie von Otto Ludwig,
Der Erbförster,

Der Name des Dichters, dessen Heimath Eisfeld ist, war uns bis vor Kur»
zen fremd; er hat vor Jahren Beiträge zu belletristischen Blättern geliefert, wir
kennen sie nicht. Das Trauerspiel, mit welchem die Grenzboten ihre Leser bekannt
machen wollen, wird in Dresden einstudirt und seine Aufführung ist in diesen
Tagen zu erwarten. Das Interesse aber, welches das Stück für den Kritiker
har, liegt nicht gerade darin, daß es als Ganzes ein imponirendes Kunstwerk
ist, sondern in der Energie und Fülle des dramatischen Details, in der Genauig¬
keit und Lebhaftigkeit, mit welcher der Dichter die Charaktere in den Situationen
empfindet. Der Verfasser hat ein großes Dichtertalent, und die Pflicht der Kri¬
tik ist ihm gegenüber, zunächst zu beurtheilen, was er der Kunst mitbringt und
was ihm fehlt, zweitens aber, wo möglich den Weg zu finden, auf dem er das
Fehlende erwerbe» kann. — Im Jägerhaus von Düsterwalde lebte ein alter Förster
mit seiner Familie, sein Weib war die Verwandte eines reichen Baners, sein äl¬
tester Sohn Forstgehilfe deö Vaters, seine Tochter Marie liebte den Robert, den
Sohn eines Fabrikanten im Dorfe. Der Fabrikant Stein aber war selbst ein
alter Freund des Försters, er besuchte ihn täglich, spielte mit ihm ein ehrbares
Kartenspiel, und zankte sich alle Tage mit ihm, um sich am nächsten Morgen wie¬
der zu versöhne». Denn der alte Stein war sehr heftig und brannte los wie
Schießpulver, und der Förster war ein eigensinniger Trotzkopf, rauh, rücksichtslos,
warmherzig und abergläubisch, ein gradliuiger Mann, dessen Geist ans Subtili-
täten nicht eingerichtet war. — Der freundschaftliche Verkehr der beiden Familien
wird plötzlich ein anderer. Gestern hat Stein das Gut Düsterwalde gekauft, und
ist Brodherr des Försters geworden, und heut soll die Verlobung der Kinder ge¬
feiert werden. — Aber vor der Verlobung gerathen die alten Herren wieder in
Streit um das Ausholzen des Forstes, und diesmal wird der Streit bösartig.
Denn jetzt zankt der Gutsherr mit seinem Förster, welcher ihm grob und rück¬
sichtslos widerspricht, der Gutsherr wird heftig und befiehlt, der Förster lacht ihn
aus, und die jähzornige Hitze führt den Gutsherrn so weit, daß er dem Förster
mit Absetzung droht, der Förster aber, dessen Vater und Großvater schon auf der¬
selben Stelle gesessen, haben, bestreitet ihm das Recht dazu, weil er nichts Un-
rechtes begangen hat, und in dem Streitpunkt, dem Ausholzen des Forstes, nur
den Vortheil des Gutes im Ange hat. Der Gutsherr entfernt sich im höchsten
Zorn, und läßt dem Förster die Alternative stellen, entweder zu gehorchen, oder seine
Stelle aufzugeben. Dienstwillige Feindseligkeit seines Buchhalters macht den Riß


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[0203] Neue Dramatiker. eine Tragödie von Otto Ludwig, Der Erbförster, Der Name des Dichters, dessen Heimath Eisfeld ist, war uns bis vor Kur» zen fremd; er hat vor Jahren Beiträge zu belletristischen Blättern geliefert, wir kennen sie nicht. Das Trauerspiel, mit welchem die Grenzboten ihre Leser bekannt machen wollen, wird in Dresden einstudirt und seine Aufführung ist in diesen Tagen zu erwarten. Das Interesse aber, welches das Stück für den Kritiker har, liegt nicht gerade darin, daß es als Ganzes ein imponirendes Kunstwerk ist, sondern in der Energie und Fülle des dramatischen Details, in der Genauig¬ keit und Lebhaftigkeit, mit welcher der Dichter die Charaktere in den Situationen empfindet. Der Verfasser hat ein großes Dichtertalent, und die Pflicht der Kri¬ tik ist ihm gegenüber, zunächst zu beurtheilen, was er der Kunst mitbringt und was ihm fehlt, zweitens aber, wo möglich den Weg zu finden, auf dem er das Fehlende erwerbe» kann. — Im Jägerhaus von Düsterwalde lebte ein alter Förster mit seiner Familie, sein Weib war die Verwandte eines reichen Baners, sein äl¬ tester Sohn Forstgehilfe deö Vaters, seine Tochter Marie liebte den Robert, den Sohn eines Fabrikanten im Dorfe. Der Fabrikant Stein aber war selbst ein alter Freund des Försters, er besuchte ihn täglich, spielte mit ihm ein ehrbares Kartenspiel, und zankte sich alle Tage mit ihm, um sich am nächsten Morgen wie¬ der zu versöhne». Denn der alte Stein war sehr heftig und brannte los wie Schießpulver, und der Förster war ein eigensinniger Trotzkopf, rauh, rücksichtslos, warmherzig und abergläubisch, ein gradliuiger Mann, dessen Geist ans Subtili- täten nicht eingerichtet war. — Der freundschaftliche Verkehr der beiden Familien wird plötzlich ein anderer. Gestern hat Stein das Gut Düsterwalde gekauft, und ist Brodherr des Försters geworden, und heut soll die Verlobung der Kinder ge¬ feiert werden. — Aber vor der Verlobung gerathen die alten Herren wieder in Streit um das Ausholzen des Forstes, und diesmal wird der Streit bösartig. Denn jetzt zankt der Gutsherr mit seinem Förster, welcher ihm grob und rück¬ sichtslos widerspricht, der Gutsherr wird heftig und befiehlt, der Förster lacht ihn aus, und die jähzornige Hitze führt den Gutsherrn so weit, daß er dem Förster mit Absetzung droht, der Förster aber, dessen Vater und Großvater schon auf der¬ selben Stelle gesessen, haben, bestreitet ihm das Recht dazu, weil er nichts Un- rechtes begangen hat, und in dem Streitpunkt, dem Ausholzen des Forstes, nur den Vortheil des Gutes im Ange hat. Der Gutsherr entfernt sich im höchsten Zorn, und läßt dem Förster die Alternative stellen, entweder zu gehorchen, oder seine Stelle aufzugeben. Dienstwillige Feindseligkeit seines Buchhalters macht den Riß 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/203>, abgerufen am 04.05.2024.