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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Schriften über Ungarn.



Federzeichnungen. Eine Reihe von Skizzen, den socialen und politischen
Zuständen in Ungarn vor nud während der Revolutionszeit entnommen
von Joh. Janotyckl) von Adlerstein. 2 Bde. Wien. 1850.

Der bereits gekennzeichnete Federbett bringt hiermit wieder 450 Seiten in
die Schlacht, welche er gegen die todte Revolution kämpft. Es ist dies eine Er¬
gänzung seiner Geschichte der letzten zwei Jahre, die deshalb eine wirkliche Er¬
gänzung ist, weil der Autor über sich selbst der neugierigen Welt einige Auskunft
gibt. Auf 132 Seiten erzählt Herr v. Adlerstein, was er in seiner Jugend ge¬
trieben, wie er "ach Ungarn kam und womit er sich dort sein Brot erwarb. Es
ist erbaulich. Er selbst erzählt, daß er gemeiner Soldat in der östreichischen
Armee war, nach seiner Uutauglichkeitserklärung zu Feldkriegsdienstleistungen strich
er herrenlos in der Welt herum, und wurde endlich auf der Straße (wörtlich
wahr!) von einem Wirthschaftsverwalter nach Ungarn engagirt. Dort kam er von
einer Bedientenstube in die andere, verließ endlich diese Carriere und gab Musik¬
unterricht auf dem Lande und endlich in Ofen. Da auch dies nicht genügende
Nahrung abwarf, wurde der Hr. v. Adlerstein, ans besondere Protection, als Diur-
nist in einer Militärkanzlei angestellt, und in diesem Amte überraschte ihn die Re¬
volution, deren Geschichtschreiber er wird. Eine Ergänzung dieser Autobiographie
wollen wir am Schluß dieser Besprechung geben; die kleine Skizze genügt, um
das Subject kennen zu lernen, das mit solcher Anmaßung das Wort führt. Wir
würden Schrift und Verfasser einfach sür unwürdig erklären einer kritischen Be-
leuchtung und ihnen eine Krippe im literarischen Augiasstall anweisen, wenn nicht
die Militärherrschaft Schuld wäre an der Cloake, die solches Ungeziefer groß nährt,
und es sonach nicht "Gutgesinnte" gäbe, die im Kaufen und Anpreisen solcher
Bücher ihre Loyalität bewähren wollen. Dem Heere wird die Anschaffung dieser
Lectüre nicht blos gestattet, sondern empfohlen, und der Verfasser benutzt diese
Begünstigung, um das Product in allen Kasernen zu colportiren. Deshalb finden
wir eine Besprechung nothwendig.

Seite 72 heißt es: Gänzlicher Mangel an Religion, Unglaube an (!) ein
künftiges Leben, bilden das Miasma der Demoralisation in Ungarn.

89. Den magyarischen Bauer charakterisirt vor Allem eine unbegrenzbare (!) faul-,
thierähnliche Trägheit. -- Verwahrlosung seines Körpers, Schmutz in der Klei¬
dung, Unrath in seiner Wohnung, welche hie und da mehr einem Viehställe als
einer menschlichen Behausung gleicht, sind die Folgen dieser Trägheit, die auch bei
der höhern Klasse hervortritt.


Schriften über Ungarn.



Federzeichnungen. Eine Reihe von Skizzen, den socialen und politischen
Zuständen in Ungarn vor nud während der Revolutionszeit entnommen
von Joh. Janotyckl) von Adlerstein. 2 Bde. Wien. 1850.

Der bereits gekennzeichnete Federbett bringt hiermit wieder 450 Seiten in
die Schlacht, welche er gegen die todte Revolution kämpft. Es ist dies eine Er¬
gänzung seiner Geschichte der letzten zwei Jahre, die deshalb eine wirkliche Er¬
gänzung ist, weil der Autor über sich selbst der neugierigen Welt einige Auskunft
gibt. Auf 132 Seiten erzählt Herr v. Adlerstein, was er in seiner Jugend ge¬
trieben, wie er »ach Ungarn kam und womit er sich dort sein Brot erwarb. Es
ist erbaulich. Er selbst erzählt, daß er gemeiner Soldat in der östreichischen
Armee war, nach seiner Uutauglichkeitserklärung zu Feldkriegsdienstleistungen strich
er herrenlos in der Welt herum, und wurde endlich auf der Straße (wörtlich
wahr!) von einem Wirthschaftsverwalter nach Ungarn engagirt. Dort kam er von
einer Bedientenstube in die andere, verließ endlich diese Carriere und gab Musik¬
unterricht auf dem Lande und endlich in Ofen. Da auch dies nicht genügende
Nahrung abwarf, wurde der Hr. v. Adlerstein, ans besondere Protection, als Diur-
nist in einer Militärkanzlei angestellt, und in diesem Amte überraschte ihn die Re¬
volution, deren Geschichtschreiber er wird. Eine Ergänzung dieser Autobiographie
wollen wir am Schluß dieser Besprechung geben; die kleine Skizze genügt, um
das Subject kennen zu lernen, das mit solcher Anmaßung das Wort führt. Wir
würden Schrift und Verfasser einfach sür unwürdig erklären einer kritischen Be-
leuchtung und ihnen eine Krippe im literarischen Augiasstall anweisen, wenn nicht
die Militärherrschaft Schuld wäre an der Cloake, die solches Ungeziefer groß nährt,
und es sonach nicht „Gutgesinnte" gäbe, die im Kaufen und Anpreisen solcher
Bücher ihre Loyalität bewähren wollen. Dem Heere wird die Anschaffung dieser
Lectüre nicht blos gestattet, sondern empfohlen, und der Verfasser benutzt diese
Begünstigung, um das Product in allen Kasernen zu colportiren. Deshalb finden
wir eine Besprechung nothwendig.

Seite 72 heißt es: Gänzlicher Mangel an Religion, Unglaube an (!) ein
künftiges Leben, bilden das Miasma der Demoralisation in Ungarn.

89. Den magyarischen Bauer charakterisirt vor Allem eine unbegrenzbare (!) faul-,
thierähnliche Trägheit. — Verwahrlosung seines Körpers, Schmutz in der Klei¬
dung, Unrath in seiner Wohnung, welche hie und da mehr einem Viehställe als
einer menschlichen Behausung gleicht, sind die Folgen dieser Trägheit, die auch bei
der höhern Klasse hervortritt.


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[0352] Schriften über Ungarn. Federzeichnungen. Eine Reihe von Skizzen, den socialen und politischen Zuständen in Ungarn vor nud während der Revolutionszeit entnommen von Joh. Janotyckl) von Adlerstein. 2 Bde. Wien. 1850. Der bereits gekennzeichnete Federbett bringt hiermit wieder 450 Seiten in die Schlacht, welche er gegen die todte Revolution kämpft. Es ist dies eine Er¬ gänzung seiner Geschichte der letzten zwei Jahre, die deshalb eine wirkliche Er¬ gänzung ist, weil der Autor über sich selbst der neugierigen Welt einige Auskunft gibt. Auf 132 Seiten erzählt Herr v. Adlerstein, was er in seiner Jugend ge¬ trieben, wie er »ach Ungarn kam und womit er sich dort sein Brot erwarb. Es ist erbaulich. Er selbst erzählt, daß er gemeiner Soldat in der östreichischen Armee war, nach seiner Uutauglichkeitserklärung zu Feldkriegsdienstleistungen strich er herrenlos in der Welt herum, und wurde endlich auf der Straße (wörtlich wahr!) von einem Wirthschaftsverwalter nach Ungarn engagirt. Dort kam er von einer Bedientenstube in die andere, verließ endlich diese Carriere und gab Musik¬ unterricht auf dem Lande und endlich in Ofen. Da auch dies nicht genügende Nahrung abwarf, wurde der Hr. v. Adlerstein, ans besondere Protection, als Diur- nist in einer Militärkanzlei angestellt, und in diesem Amte überraschte ihn die Re¬ volution, deren Geschichtschreiber er wird. Eine Ergänzung dieser Autobiographie wollen wir am Schluß dieser Besprechung geben; die kleine Skizze genügt, um das Subject kennen zu lernen, das mit solcher Anmaßung das Wort führt. Wir würden Schrift und Verfasser einfach sür unwürdig erklären einer kritischen Be- leuchtung und ihnen eine Krippe im literarischen Augiasstall anweisen, wenn nicht die Militärherrschaft Schuld wäre an der Cloake, die solches Ungeziefer groß nährt, und es sonach nicht „Gutgesinnte" gäbe, die im Kaufen und Anpreisen solcher Bücher ihre Loyalität bewähren wollen. Dem Heere wird die Anschaffung dieser Lectüre nicht blos gestattet, sondern empfohlen, und der Verfasser benutzt diese Begünstigung, um das Product in allen Kasernen zu colportiren. Deshalb finden wir eine Besprechung nothwendig. Seite 72 heißt es: Gänzlicher Mangel an Religion, Unglaube an (!) ein künftiges Leben, bilden das Miasma der Demoralisation in Ungarn. 89. Den magyarischen Bauer charakterisirt vor Allem eine unbegrenzbare (!) faul-, thierähnliche Trägheit. — Verwahrlosung seines Körpers, Schmutz in der Klei¬ dung, Unrath in seiner Wohnung, welche hie und da mehr einem Viehställe als einer menschlichen Behausung gleicht, sind die Folgen dieser Trägheit, die auch bei der höhern Klasse hervortritt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/352>, abgerufen am 04.05.2024.