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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Zum Glück ist der General Okunicff, welchem seit einem Jahrzehend das
Procuratorinm anvertraut ist, ein Mann, der sich durch Kenntnisse und Humanität
vor seinen militairischen College" und seinen Vorgängern im Schulamte sehr
rühmlich auszeichnet. Mindestens dürfen die Professoren nicht mehr über eine
unwürdige Behandlung seufzen. Alle Personen seiner Kanzlei sind Militairs.

Ueberhnnpt sieht die Anstalt einer Soldatcnschnle viel ähnlicher, als einem
Gymnasium. So erblickt man die Schüler in Uniformen, grünen Rocken mit
rothen Kragen, eben solchen Aufschlägen und gelben blanken Knöpfen, blauen ge¬
streiften Mützen:c. Sie sind dadurch zu Dienern des Kaisers gestempelt. Ihr
Aeußeres ist oft von sehr komischer Wirkung, besonders bei den Gymnasien in
den Gouvernementsstädten, wo nicht selten die Dürftigkeit den Farbenreichthum
der Uniform durch schlimme Flecken vergrößert.

Die Schüler sind zu Honneurs vor jedem Stabsofficier gezwungen, und
diese sind ganz militairisch. Da ein General an der Spitze steht, so herrscht
in den Gymnasien natürlich die militairische Sitte. So sieht man die Schüler
stets zwei Mann hoch in gcordeneten Kolonnen ihre Säle verlassen. Die Lehrer
sind zu militairischer Tracht nicht gezwungen, und diese Inconsequenz verdient be¬
wundert zu werden.

Leider ist mit der militairischen Disciplin die Soldatenfreiheit in die Schu¬
len gerathen. Täglich frcqucutiren die Gymnasiasten die verrufensten Häuser,
ohne sich einer Gefahr auszusetzen, zeigen sich ungenirt ans offener Straße in ver¬
dächtigem Verhältniß zu zweideutigen Personen des andern Geschlechts, und feiern
die freien Nachte der Gälatagc trotz den rohen Soldaten in den Häusern des
Bachus. Das Schulgesetz scheint daher gegen die Entnervung des jungen Ge¬
schlechts nicht gerichtet zu sein, und zu beklagen ist, daß die Lebensregel der
Familien, die häusliche Erziehungsweise, dem Mangel desselben nicht mit einem
Ersatz begegnet.




Kunstbericht aus Berlin.

Ich glaubte die musikalische Saison für Berlin schon beendet, als sich in
den letzten Monaten noch eine Ausbeute zeigte, die fast reicher ausfiel, als Alles,
was der verflossene Winter uns darbot. Zunächst ward unser Opernpersonal um
eine bedeutende Künstlerin bereichert, Johanna Wagner. Seit dem 1. Mai
ist sie die unsrige und hat als Romeo, Klytämnestra, Valentine, Fides und Donna
Anna uns Gelegenheit geboten, ihren künstlerischen Werth genau kennen zu lernen.
Wir legen an ihre Leistungen einen hohe" Maßstab; wir sind daher nicht im
Stande sie zu vergöttern, wie es die Berliner Kritik thut, die auf dem besten


Grenzboten, 1U. 18ö-I. -13

Zum Glück ist der General Okunicff, welchem seit einem Jahrzehend das
Procuratorinm anvertraut ist, ein Mann, der sich durch Kenntnisse und Humanität
vor seinen militairischen College» und seinen Vorgängern im Schulamte sehr
rühmlich auszeichnet. Mindestens dürfen die Professoren nicht mehr über eine
unwürdige Behandlung seufzen. Alle Personen seiner Kanzlei sind Militairs.

Ueberhnnpt sieht die Anstalt einer Soldatcnschnle viel ähnlicher, als einem
Gymnasium. So erblickt man die Schüler in Uniformen, grünen Rocken mit
rothen Kragen, eben solchen Aufschlägen und gelben blanken Knöpfen, blauen ge¬
streiften Mützen:c. Sie sind dadurch zu Dienern des Kaisers gestempelt. Ihr
Aeußeres ist oft von sehr komischer Wirkung, besonders bei den Gymnasien in
den Gouvernementsstädten, wo nicht selten die Dürftigkeit den Farbenreichthum
der Uniform durch schlimme Flecken vergrößert.

Die Schüler sind zu Honneurs vor jedem Stabsofficier gezwungen, und
diese sind ganz militairisch. Da ein General an der Spitze steht, so herrscht
in den Gymnasien natürlich die militairische Sitte. So sieht man die Schüler
stets zwei Mann hoch in gcordeneten Kolonnen ihre Säle verlassen. Die Lehrer
sind zu militairischer Tracht nicht gezwungen, und diese Inconsequenz verdient be¬
wundert zu werden.

Leider ist mit der militairischen Disciplin die Soldatenfreiheit in die Schu¬
len gerathen. Täglich frcqucutiren die Gymnasiasten die verrufensten Häuser,
ohne sich einer Gefahr auszusetzen, zeigen sich ungenirt ans offener Straße in ver¬
dächtigem Verhältniß zu zweideutigen Personen des andern Geschlechts, und feiern
die freien Nachte der Gälatagc trotz den rohen Soldaten in den Häusern des
Bachus. Das Schulgesetz scheint daher gegen die Entnervung des jungen Ge¬
schlechts nicht gerichtet zu sein, und zu beklagen ist, daß die Lebensregel der
Familien, die häusliche Erziehungsweise, dem Mangel desselben nicht mit einem
Ersatz begegnet.




Kunstbericht aus Berlin.

Ich glaubte die musikalische Saison für Berlin schon beendet, als sich in
den letzten Monaten noch eine Ausbeute zeigte, die fast reicher ausfiel, als Alles,
was der verflossene Winter uns darbot. Zunächst ward unser Opernpersonal um
eine bedeutende Künstlerin bereichert, Johanna Wagner. Seit dem 1. Mai
ist sie die unsrige und hat als Romeo, Klytämnestra, Valentine, Fides und Donna
Anna uns Gelegenheit geboten, ihren künstlerischen Werth genau kennen zu lernen.
Wir legen an ihre Leistungen einen hohe» Maßstab; wir sind daher nicht im
Stande sie zu vergöttern, wie es die Berliner Kritik thut, die auf dem besten


Grenzboten, 1U. 18ö-I. -13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/105>, abgerufen am 03.05.2024.