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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ganz angenehme Unterhaltung, ist aber, mnMisch betrachtet, Nichts weiter
als eine Art Quodlibet. Im Ganzen hätte mau zu Ehren des Mannes, der
das Friedrichs-Denkmal gesetzt hat, eine bessere musikalische Feier wünschen mögen.




2.
Ein anderes Urtheil über Roger.

Eine kleine, aber kräftige und wohlgebaute Gestalt, angenehme, für jeden
Ausdruck leicht empfängliche Züge des Antlitzes, ein nicht sehr voller, nicht sehr
metallreicher, aber markiger Ton, der bei Anwendung physischer Kraft eine sel¬
tene Energie gewinnt, übrigens die erste Frische bereits verlor, machen das Be-
sttzthnm ans, mit welchem die Natur ihn ausgestattet. Die obere Hälfte der
Stimme ist gepreßt und bedarf einiger Gewalt, um anzuklingen. Bei heftigem
Einsatz erreicht sie eine überraschende Ausdehnung, da dem Sänger mehrmals
das hohe mit voller Brust -- freilich nicht musikalisch schon -- gelang. Wenn
dieser Umfang des BrustvrgauS, der auch nach der Tiefe zu nicht minder bedeu¬
tend ist, jede Steigerung heroischer Leidenschaft gestattet, so zwingt dagegen jener
gepreßte Charakter der obern Stimmlage, hauptsächlich im Mrw und im lex-Uo,
zu häufigem Gebrauche des Falsetts. Die Verbindung beider, dem Klänge nach
sehr verschiedeuer Stimmgebiete bildet ein zarter, im Ausdrucke des Gefühls un-
gemein lieblicher Kehlton, der, sobald er woxxa-poco genommen wird, einen
sanft verschmelzenden Uebergang vermittelt. Bei Forte-Einsalzen dringt sich der
qualitative Contrast der Bruststiiume und des Falsetts dem Ohre in einer nicht
angenehmen Weise ans.

Ungemeine Sicherheit und Gewandtheit, chevalereöke Eleganz der Haltung,
ein sein bewegtes Spiel fesselten sogleich bei des Künstlers erstem Erscheinen als
Raoul. Sein Vortrag der Romanze im ersten Act ist als ein ultra,
gepriesen worden, man nannte ihn schon am zweiten Tage mit kritischem Behagen
den Sänger der Romanze Mr "ixeMonoe. Nach der weißen Dame hätte mau
ihn vielleicht mit größerem Recht als den Sänger des Chanson bezeichnen kön¬
nen, aber er ist mehr, als beide Titel besagen, und nur eine schnell fertige Kritik
kann sich mit solchen Schlagmörtcrn befriedigen. Ich weiß nicht, ob er jene Ro¬
manze etwa höchst charakteristisch gesungen, schön jedoch fand ich den Vortrag
nicht. Die Empfindung war erkünstelt und darum übertrieben. Die Zeit der
Troubadours und der Tronvmes war im sechzehnten Jahrhundert längst vorüber,
und wenn der Liebeshos der Königin Margarethe einen ähnlichen Cultus der
Minne in affectirter Romantik zurückzuführen suchte, so mögen wir dieser Affec-
tation an dem Hugenotten Raoul doch wol nur ungern begegnen. Roger dehnte
die sentimentalen Stellen noch mehr als Meyerbeer, der darin auch schon des
Guten etwas zu viel gethan, und der stete Wechsel von Bruststimme und Falsett


ganz angenehme Unterhaltung, ist aber, mnMisch betrachtet, Nichts weiter
als eine Art Quodlibet. Im Ganzen hätte mau zu Ehren des Mannes, der
das Friedrichs-Denkmal gesetzt hat, eine bessere musikalische Feier wünschen mögen.




2.
Ein anderes Urtheil über Roger.

Eine kleine, aber kräftige und wohlgebaute Gestalt, angenehme, für jeden
Ausdruck leicht empfängliche Züge des Antlitzes, ein nicht sehr voller, nicht sehr
metallreicher, aber markiger Ton, der bei Anwendung physischer Kraft eine sel¬
tene Energie gewinnt, übrigens die erste Frische bereits verlor, machen das Be-
sttzthnm ans, mit welchem die Natur ihn ausgestattet. Die obere Hälfte der
Stimme ist gepreßt und bedarf einiger Gewalt, um anzuklingen. Bei heftigem
Einsatz erreicht sie eine überraschende Ausdehnung, da dem Sänger mehrmals
das hohe mit voller Brust — freilich nicht musikalisch schon — gelang. Wenn
dieser Umfang des BrustvrgauS, der auch nach der Tiefe zu nicht minder bedeu¬
tend ist, jede Steigerung heroischer Leidenschaft gestattet, so zwingt dagegen jener
gepreßte Charakter der obern Stimmlage, hauptsächlich im Mrw und im lex-Uo,
zu häufigem Gebrauche des Falsetts. Die Verbindung beider, dem Klänge nach
sehr verschiedeuer Stimmgebiete bildet ein zarter, im Ausdrucke des Gefühls un-
gemein lieblicher Kehlton, der, sobald er woxxa-poco genommen wird, einen
sanft verschmelzenden Uebergang vermittelt. Bei Forte-Einsalzen dringt sich der
qualitative Contrast der Bruststiiume und des Falsetts dem Ohre in einer nicht
angenehmen Weise ans.

Ungemeine Sicherheit und Gewandtheit, chevalereöke Eleganz der Haltung,
ein sein bewegtes Spiel fesselten sogleich bei des Künstlers erstem Erscheinen als
Raoul. Sein Vortrag der Romanze im ersten Act ist als ein ultra,
gepriesen worden, man nannte ihn schon am zweiten Tage mit kritischem Behagen
den Sänger der Romanze Mr «ixeMonoe. Nach der weißen Dame hätte mau
ihn vielleicht mit größerem Recht als den Sänger des Chanson bezeichnen kön¬
nen, aber er ist mehr, als beide Titel besagen, und nur eine schnell fertige Kritik
kann sich mit solchen Schlagmörtcrn befriedigen. Ich weiß nicht, ob er jene Ro¬
manze etwa höchst charakteristisch gesungen, schön jedoch fand ich den Vortrag
nicht. Die Empfindung war erkünstelt und darum übertrieben. Die Zeit der
Troubadours und der Tronvmes war im sechzehnten Jahrhundert längst vorüber,
und wenn der Liebeshos der Königin Margarethe einen ähnlichen Cultus der
Minne in affectirter Romantik zurückzuführen suchte, so mögen wir dieser Affec-
tation an dem Hugenotten Raoul doch wol nur ungern begegnen. Roger dehnte
die sentimentalen Stellen noch mehr als Meyerbeer, der darin auch schon des
Guten etwas zu viel gethan, und der stete Wechsel von Bruststimme und Falsett


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[0111] ganz angenehme Unterhaltung, ist aber, mnMisch betrachtet, Nichts weiter als eine Art Quodlibet. Im Ganzen hätte mau zu Ehren des Mannes, der das Friedrichs-Denkmal gesetzt hat, eine bessere musikalische Feier wünschen mögen. 2. Ein anderes Urtheil über Roger. Eine kleine, aber kräftige und wohlgebaute Gestalt, angenehme, für jeden Ausdruck leicht empfängliche Züge des Antlitzes, ein nicht sehr voller, nicht sehr metallreicher, aber markiger Ton, der bei Anwendung physischer Kraft eine sel¬ tene Energie gewinnt, übrigens die erste Frische bereits verlor, machen das Be- sttzthnm ans, mit welchem die Natur ihn ausgestattet. Die obere Hälfte der Stimme ist gepreßt und bedarf einiger Gewalt, um anzuklingen. Bei heftigem Einsatz erreicht sie eine überraschende Ausdehnung, da dem Sänger mehrmals das hohe mit voller Brust — freilich nicht musikalisch schon — gelang. Wenn dieser Umfang des BrustvrgauS, der auch nach der Tiefe zu nicht minder bedeu¬ tend ist, jede Steigerung heroischer Leidenschaft gestattet, so zwingt dagegen jener gepreßte Charakter der obern Stimmlage, hauptsächlich im Mrw und im lex-Uo, zu häufigem Gebrauche des Falsetts. Die Verbindung beider, dem Klänge nach sehr verschiedeuer Stimmgebiete bildet ein zarter, im Ausdrucke des Gefühls un- gemein lieblicher Kehlton, der, sobald er woxxa-poco genommen wird, einen sanft verschmelzenden Uebergang vermittelt. Bei Forte-Einsalzen dringt sich der qualitative Contrast der Bruststiiume und des Falsetts dem Ohre in einer nicht angenehmen Weise ans. Ungemeine Sicherheit und Gewandtheit, chevalereöke Eleganz der Haltung, ein sein bewegtes Spiel fesselten sogleich bei des Künstlers erstem Erscheinen als Raoul. Sein Vortrag der Romanze im ersten Act ist als ein ultra, gepriesen worden, man nannte ihn schon am zweiten Tage mit kritischem Behagen den Sänger der Romanze Mr «ixeMonoe. Nach der weißen Dame hätte mau ihn vielleicht mit größerem Recht als den Sänger des Chanson bezeichnen kön¬ nen, aber er ist mehr, als beide Titel besagen, und nur eine schnell fertige Kritik kann sich mit solchen Schlagmörtcrn befriedigen. Ich weiß nicht, ob er jene Ro¬ manze etwa höchst charakteristisch gesungen, schön jedoch fand ich den Vortrag nicht. Die Empfindung war erkünstelt und darum übertrieben. Die Zeit der Troubadours und der Tronvmes war im sechzehnten Jahrhundert längst vorüber, und wenn der Liebeshos der Königin Margarethe einen ähnlichen Cultus der Minne in affectirter Romantik zurückzuführen suchte, so mögen wir dieser Affec- tation an dem Hugenotten Raoul doch wol nur ungern begegnen. Roger dehnte die sentimentalen Stellen noch mehr als Meyerbeer, der darin auch schon des Guten etwas zu viel gethan, und der stete Wechsel von Bruststimme und Falsett

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/111>, abgerufen am 03.05.2024.