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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Die Zukunft der Republik.

Nach Beendigung der Nevisionsdcbatte ist in dem parlamentarischen Leben
Frankreichs noch ein kleines Intermezzo gefolgt, welches zwar keine unmittelbaren
Folgen gehabt hat, aber doch zu einigen interessanten Beobachtungen Veranlassung
giebt. Die Majorität, welche in Beziehung auf die Revision der gegenwärtigen
Regierung ihre Unterstützung nicht versagen zu dürfen glaubte, zum Theil vielleicht
gerade deshalb, weil sie die Erfolglosigkeit dieser Unterstützung voraussah, hat
zum Schluß dem Ministerium noch eine Lection geben wollen. Sie hat den
zum Theil vom Ministerium angeregten Petitionssturm einer scharfen Kritik unter¬
worfen, und endlich dem Cabinet mit dürren Worten erklärt, daß es seine Pflicht
und seine Vollmacht überschritten habe. Sie will in ihrer Ansicht von der Noth¬
wendigkeit einer Verfassungsrevision nicht durch eine Massenbewegung gedrängt
und getrieben sein. Das Ministerium, wie es in solchen Fällen in einer parla¬
mentarischen Regierung üblich ist, hat seine Entlassung angeboten, es ist aber
alsbald davon zurückgekommen, als der Präsident ihm bemerkte, nicht seinen
Dienern, sondern ihm selbst gelte das Mißtrauensvotum der Nationalversammlung,
und da er nach dem Wortlaut der Constitution für seiue Handlungen verantwort¬
lich sei, so dürfe er sich durch dergleichen Abstimmungen nicht bestimmen lassen;
er werde thun, was ihm beliebe, fände man dann, daß er Unrecht gethan, so
möge man thu verklagen. -- Eine wunderliche Theorie für eine Republik, die
noch dadurch merkwürdiger wird, daß die nämliche Majorität, welche jenes Mi߬
trauensvotum abgegeben, sich wenigstens stillschweigend damit einverstanden erklärt
hat. Man sieht daraus, daß die Frage über das Verhältniß der executiveu und
legislativen Gewalt durch die Einführung der Republik noch nicht ohne Weiteres
erledigt wird.

Um noch einmal auf die Revision selbst zurückzukommen, so stellt in dem
voranstehenden Aufsatz der geehrte Pariser Botschafter die Ansicht aus, die Mon¬
archie habe allen Glauben verloren, darum müsse die Republik nothwendig den
Sieg davontragen. Diese Ansicht scheint mir einiger Beschränkungen zu bedürfen.
Was den realistischen Aberglauben betrifft, die Idee von dem sogenannten gött¬
lichen Recht der Könige, so ist das eine zu moderne Erfindung, als daß man
sagen könnte, die Legitimisten hätten mit dem Aufgeben dieser Phrase auch die
Basis ihrer Partei aufgegeben. In früher" Zeiten war die königliche Majestät
etwas sehr Handgreifliches und hatte durchaus keine mystische Färbung; sie beruhte
theils aus dein guten. Willen der Vasallen, theils auf deu raffinirten Folterwerk¬
zeugen, 'welche jede Majestätsbeleidigung erwarteten. Erst später, als die Na¬
tionen sich bildeten, hat das Königthum einen sittlich-gemüthlichen Inhalt erhalten.
Die Nationen sahen in ihm ihren Ausdruck, oder, wenn man will, ihr Symbol.


Die Zukunft der Republik.

Nach Beendigung der Nevisionsdcbatte ist in dem parlamentarischen Leben
Frankreichs noch ein kleines Intermezzo gefolgt, welches zwar keine unmittelbaren
Folgen gehabt hat, aber doch zu einigen interessanten Beobachtungen Veranlassung
giebt. Die Majorität, welche in Beziehung auf die Revision der gegenwärtigen
Regierung ihre Unterstützung nicht versagen zu dürfen glaubte, zum Theil vielleicht
gerade deshalb, weil sie die Erfolglosigkeit dieser Unterstützung voraussah, hat
zum Schluß dem Ministerium noch eine Lection geben wollen. Sie hat den
zum Theil vom Ministerium angeregten Petitionssturm einer scharfen Kritik unter¬
worfen, und endlich dem Cabinet mit dürren Worten erklärt, daß es seine Pflicht
und seine Vollmacht überschritten habe. Sie will in ihrer Ansicht von der Noth¬
wendigkeit einer Verfassungsrevision nicht durch eine Massenbewegung gedrängt
und getrieben sein. Das Ministerium, wie es in solchen Fällen in einer parla¬
mentarischen Regierung üblich ist, hat seine Entlassung angeboten, es ist aber
alsbald davon zurückgekommen, als der Präsident ihm bemerkte, nicht seinen
Dienern, sondern ihm selbst gelte das Mißtrauensvotum der Nationalversammlung,
und da er nach dem Wortlaut der Constitution für seiue Handlungen verantwort¬
lich sei, so dürfe er sich durch dergleichen Abstimmungen nicht bestimmen lassen;
er werde thun, was ihm beliebe, fände man dann, daß er Unrecht gethan, so
möge man thu verklagen. — Eine wunderliche Theorie für eine Republik, die
noch dadurch merkwürdiger wird, daß die nämliche Majorität, welche jenes Mi߬
trauensvotum abgegeben, sich wenigstens stillschweigend damit einverstanden erklärt
hat. Man sieht daraus, daß die Frage über das Verhältniß der executiveu und
legislativen Gewalt durch die Einführung der Republik noch nicht ohne Weiteres
erledigt wird.

Um noch einmal auf die Revision selbst zurückzukommen, so stellt in dem
voranstehenden Aufsatz der geehrte Pariser Botschafter die Ansicht aus, die Mon¬
archie habe allen Glauben verloren, darum müsse die Republik nothwendig den
Sieg davontragen. Diese Ansicht scheint mir einiger Beschränkungen zu bedürfen.
Was den realistischen Aberglauben betrifft, die Idee von dem sogenannten gött¬
lichen Recht der Könige, so ist das eine zu moderne Erfindung, als daß man
sagen könnte, die Legitimisten hätten mit dem Aufgeben dieser Phrase auch die
Basis ihrer Partei aufgegeben. In früher» Zeiten war die königliche Majestät
etwas sehr Handgreifliches und hatte durchaus keine mystische Färbung; sie beruhte
theils aus dein guten. Willen der Vasallen, theils auf deu raffinirten Folterwerk¬
zeugen, 'welche jede Majestätsbeleidigung erwarteten. Erst später, als die Na¬
tionen sich bildeten, hat das Königthum einen sittlich-gemüthlichen Inhalt erhalten.
Die Nationen sahen in ihm ihren Ausdruck, oder, wenn man will, ihr Symbol.


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[0192] Die Zukunft der Republik. Nach Beendigung der Nevisionsdcbatte ist in dem parlamentarischen Leben Frankreichs noch ein kleines Intermezzo gefolgt, welches zwar keine unmittelbaren Folgen gehabt hat, aber doch zu einigen interessanten Beobachtungen Veranlassung giebt. Die Majorität, welche in Beziehung auf die Revision der gegenwärtigen Regierung ihre Unterstützung nicht versagen zu dürfen glaubte, zum Theil vielleicht gerade deshalb, weil sie die Erfolglosigkeit dieser Unterstützung voraussah, hat zum Schluß dem Ministerium noch eine Lection geben wollen. Sie hat den zum Theil vom Ministerium angeregten Petitionssturm einer scharfen Kritik unter¬ worfen, und endlich dem Cabinet mit dürren Worten erklärt, daß es seine Pflicht und seine Vollmacht überschritten habe. Sie will in ihrer Ansicht von der Noth¬ wendigkeit einer Verfassungsrevision nicht durch eine Massenbewegung gedrängt und getrieben sein. Das Ministerium, wie es in solchen Fällen in einer parla¬ mentarischen Regierung üblich ist, hat seine Entlassung angeboten, es ist aber alsbald davon zurückgekommen, als der Präsident ihm bemerkte, nicht seinen Dienern, sondern ihm selbst gelte das Mißtrauensvotum der Nationalversammlung, und da er nach dem Wortlaut der Constitution für seiue Handlungen verantwort¬ lich sei, so dürfe er sich durch dergleichen Abstimmungen nicht bestimmen lassen; er werde thun, was ihm beliebe, fände man dann, daß er Unrecht gethan, so möge man thu verklagen. — Eine wunderliche Theorie für eine Republik, die noch dadurch merkwürdiger wird, daß die nämliche Majorität, welche jenes Mi߬ trauensvotum abgegeben, sich wenigstens stillschweigend damit einverstanden erklärt hat. Man sieht daraus, daß die Frage über das Verhältniß der executiveu und legislativen Gewalt durch die Einführung der Republik noch nicht ohne Weiteres erledigt wird. Um noch einmal auf die Revision selbst zurückzukommen, so stellt in dem voranstehenden Aufsatz der geehrte Pariser Botschafter die Ansicht aus, die Mon¬ archie habe allen Glauben verloren, darum müsse die Republik nothwendig den Sieg davontragen. Diese Ansicht scheint mir einiger Beschränkungen zu bedürfen. Was den realistischen Aberglauben betrifft, die Idee von dem sogenannten gött¬ lichen Recht der Könige, so ist das eine zu moderne Erfindung, als daß man sagen könnte, die Legitimisten hätten mit dem Aufgeben dieser Phrase auch die Basis ihrer Partei aufgegeben. In früher» Zeiten war die königliche Majestät etwas sehr Handgreifliches und hatte durchaus keine mystische Färbung; sie beruhte theils aus dein guten. Willen der Vasallen, theils auf deu raffinirten Folterwerk¬ zeugen, 'welche jede Majestätsbeleidigung erwarteten. Erst später, als die Na¬ tionen sich bildeten, hat das Königthum einen sittlich-gemüthlichen Inhalt erhalten. Die Nationen sahen in ihm ihren Ausdruck, oder, wenn man will, ihr Symbol.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/192>, abgerufen am 03.05.2024.