Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deren Überschriften ich mich aber nicht erinnere. -- Ueberhaupt sind in diesen
kleinen Novellen die Franzosen noch immer die Meister. Sie wissen rasch ein
sprechendes, abgerundetes Bild zu geben, das einen bestimmten Eindruck macht
und durch keine Reflexionen getrübt wird. Manche Novellisten, die in ihren größern
Romanen unerträglich schwülstig und sentimental werden, haben einzelne kleine
Novellen geschrieben, denen wir keine Deutschen oder Englischen zur Seite stellen
können, z. B. Souliv: l>o linn mnmirkax, Saintine: I^of in"llrmorpdoses Ä<Z
ki" tsmmo, aber gerade diese werden bei uns weniger beachtet, und wir wenden
uns mit viel größerer Vorliebe den weitansgesponnenen Mord- und Todtschlags-
gcschichten zu, den Mysterien von Paris, den Memoiren eines Arztes, eines
Kammerdieners u. s. w.

Ich muß noch bemerken, daß Bernard bei der Frechheit und dem Cynis¬
mus, den er in sittlichen Dingen zur Schau trägt, doch niemals in jene Lüstern¬
heit verfällt, die uus deu größern Theil der neuern Romantik unerträglich macht;
er geht niemals auf einen sinnlichen Kitzel ans. Er ist oft gemüthlos, aber
niemals schmuzig und noch weniger huldigt er jeuer krankhaften Wollust die für
,
I. S. unsre raffinirte Empfindsamkeit am Gefährlichsten ist.




Pariser Botschaften.

Die Dinge nehmen eben die Wendung, die sie nehmen mußten bei einer
Legislativen wie die unsrige, die wir oft genug zu charakterisiren Gelegenheit hatten.
Die.^egitimiften ärgerten sich hinterdrein, daß sie Berryer im Votum bei der Re-
vistvusdebatte gefolgt waren, wie die Schafe einem Leithammel. Sie ließen sich
, von Thiers den Muth hinaufschrauben, und gaben den Ministern ein Mißtrauens¬
votum. Diese stellen sich auf deu Rath Louis Bonaparte's taub, bleiben ruhig
auf ihren Bänken sitzen und spielen ganz unbefangen mit ihren gefährdeten Porte¬
feuilles. Die Legislative bereut ihren Muth gegen die Regierung, so wie sie
früher ihre Feigheit bereut hatte, und im Geheimen weiß sie es den Ministern
Dank, daß diese das Mißtrauensvotum dafür genommen, was es eigentlich ist,
un eapric," s^n" oollssquöiioc:. Und die Minister haben Recht gehabt, denn
heute siud die Legitimisten die eifrigsten Verbündeten des Elysve, und sie geben
ihm ihr Vertrauen durch die Wahl einer Ucberwachungscommission zu erkennen,
die zum größten Theile aus entschiedenen Bonapartisten besteht, während die an¬
dern Parteien durch die zahmsten Mitglieder vertreten sind. Ihre Nachgiebigkeit
für die Regierung geht so weit, daß der Hohepriester der Ordnung, der gefeierte,
vielgepriesene Degen der Reaction, das Orakel der angstdnrchbebten Rechten, der


deren Überschriften ich mich aber nicht erinnere. — Ueberhaupt sind in diesen
kleinen Novellen die Franzosen noch immer die Meister. Sie wissen rasch ein
sprechendes, abgerundetes Bild zu geben, das einen bestimmten Eindruck macht
und durch keine Reflexionen getrübt wird. Manche Novellisten, die in ihren größern
Romanen unerträglich schwülstig und sentimental werden, haben einzelne kleine
Novellen geschrieben, denen wir keine Deutschen oder Englischen zur Seite stellen
können, z. B. Souliv: l>o linn mnmirkax, Saintine: I^of in»llrmorpdoses Ä<Z
ki» tsmmo, aber gerade diese werden bei uns weniger beachtet, und wir wenden
uns mit viel größerer Vorliebe den weitansgesponnenen Mord- und Todtschlags-
gcschichten zu, den Mysterien von Paris, den Memoiren eines Arztes, eines
Kammerdieners u. s. w.

Ich muß noch bemerken, daß Bernard bei der Frechheit und dem Cynis¬
mus, den er in sittlichen Dingen zur Schau trägt, doch niemals in jene Lüstern¬
heit verfällt, die uus deu größern Theil der neuern Romantik unerträglich macht;
er geht niemals auf einen sinnlichen Kitzel ans. Er ist oft gemüthlos, aber
niemals schmuzig und noch weniger huldigt er jeuer krankhaften Wollust die für
,
I. S. unsre raffinirte Empfindsamkeit am Gefährlichsten ist.




Pariser Botschaften.

Die Dinge nehmen eben die Wendung, die sie nehmen mußten bei einer
Legislativen wie die unsrige, die wir oft genug zu charakterisiren Gelegenheit hatten.
Die.^egitimiften ärgerten sich hinterdrein, daß sie Berryer im Votum bei der Re-
vistvusdebatte gefolgt waren, wie die Schafe einem Leithammel. Sie ließen sich
, von Thiers den Muth hinaufschrauben, und gaben den Ministern ein Mißtrauens¬
votum. Diese stellen sich auf deu Rath Louis Bonaparte's taub, bleiben ruhig
auf ihren Bänken sitzen und spielen ganz unbefangen mit ihren gefährdeten Porte¬
feuilles. Die Legislative bereut ihren Muth gegen die Regierung, so wie sie
früher ihre Feigheit bereut hatte, und im Geheimen weiß sie es den Ministern
Dank, daß diese das Mißtrauensvotum dafür genommen, was es eigentlich ist,
un eapric,» s^n» oollssquöiioc:. Und die Minister haben Recht gehabt, denn
heute siud die Legitimisten die eifrigsten Verbündeten des Elysve, und sie geben
ihm ihr Vertrauen durch die Wahl einer Ucberwachungscommission zu erkennen,
die zum größten Theile aus entschiedenen Bonapartisten besteht, während die an¬
dern Parteien durch die zahmsten Mitglieder vertreten sind. Ihre Nachgiebigkeit
für die Regierung geht so weit, daß der Hohepriester der Ordnung, der gefeierte,
vielgepriesene Degen der Reaction, das Orakel der angstdnrchbebten Rechten, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280315"/>
          <p xml:id="ID_607" prev="#ID_606"> deren Überschriften ich mich aber nicht erinnere. &#x2014; Ueberhaupt sind in diesen<lb/>
kleinen Novellen die Franzosen noch immer die Meister. Sie wissen rasch ein<lb/>
sprechendes, abgerundetes Bild zu geben, das einen bestimmten Eindruck macht<lb/>
und durch keine Reflexionen getrübt wird. Manche Novellisten, die in ihren größern<lb/>
Romanen unerträglich schwülstig und sentimental werden, haben einzelne kleine<lb/>
Novellen geschrieben, denen wir keine Deutschen oder Englischen zur Seite stellen<lb/>
können, z. B. Souliv: l&gt;o linn mnmirkax, Saintine: I^of in»llrmorpdoses Ä&lt;Z<lb/>
ki» tsmmo, aber gerade diese werden bei uns weniger beachtet, und wir wenden<lb/>
uns mit viel größerer Vorliebe den weitansgesponnenen Mord- und Todtschlags-<lb/>
gcschichten zu, den Mysterien von Paris, den Memoiren eines Arztes, eines<lb/>
Kammerdieners u. s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_608"> Ich muß noch bemerken, daß Bernard bei der Frechheit und dem Cynis¬<lb/>
mus, den er in sittlichen Dingen zur Schau trägt, doch niemals in jene Lüstern¬<lb/>
heit verfällt, die uus deu größern Theil der neuern Romantik unerträglich macht;<lb/>
er geht niemals auf einen sinnlichen Kitzel ans. Er ist oft gemüthlos, aber<lb/>
niemals schmuzig und noch weniger huldigt er jeuer krankhaften Wollust die für<lb/><note type="byline"> ,<lb/>
I. S.</note> unsre raffinirte Empfindsamkeit am Gefährlichsten ist. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Pariser Botschaften.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_609" next="#ID_610"> Die Dinge nehmen eben die Wendung, die sie nehmen mußten bei einer<lb/>
Legislativen wie die unsrige, die wir oft genug zu charakterisiren Gelegenheit hatten.<lb/>
Die.^egitimiften ärgerten sich hinterdrein, daß sie Berryer im Votum bei der Re-<lb/>
vistvusdebatte gefolgt waren, wie die Schafe einem Leithammel. Sie ließen sich<lb/>
, von Thiers den Muth hinaufschrauben, und gaben den Ministern ein Mißtrauens¬<lb/>
votum. Diese stellen sich auf deu Rath Louis Bonaparte's taub, bleiben ruhig<lb/>
auf ihren Bänken sitzen und spielen ganz unbefangen mit ihren gefährdeten Porte¬<lb/>
feuilles. Die Legislative bereut ihren Muth gegen die Regierung, so wie sie<lb/>
früher ihre Feigheit bereut hatte, und im Geheimen weiß sie es den Ministern<lb/>
Dank, daß diese das Mißtrauensvotum dafür genommen, was es eigentlich ist,<lb/>
un eapric,» s^n» oollssquöiioc:. Und die Minister haben Recht gehabt, denn<lb/>
heute siud die Legitimisten die eifrigsten Verbündeten des Elysve, und sie geben<lb/>
ihm ihr Vertrauen durch die Wahl einer Ucberwachungscommission zu erkennen,<lb/>
die zum größten Theile aus entschiedenen Bonapartisten besteht, während die an¬<lb/>
dern Parteien durch die zahmsten Mitglieder vertreten sind. Ihre Nachgiebigkeit<lb/>
für die Regierung geht so weit, daß der Hohepriester der Ordnung, der gefeierte,<lb/>
vielgepriesene Degen der Reaction, das Orakel der angstdnrchbebten Rechten, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] deren Überschriften ich mich aber nicht erinnere. — Ueberhaupt sind in diesen kleinen Novellen die Franzosen noch immer die Meister. Sie wissen rasch ein sprechendes, abgerundetes Bild zu geben, das einen bestimmten Eindruck macht und durch keine Reflexionen getrübt wird. Manche Novellisten, die in ihren größern Romanen unerträglich schwülstig und sentimental werden, haben einzelne kleine Novellen geschrieben, denen wir keine Deutschen oder Englischen zur Seite stellen können, z. B. Souliv: l>o linn mnmirkax, Saintine: I^of in»llrmorpdoses Ä<Z ki» tsmmo, aber gerade diese werden bei uns weniger beachtet, und wir wenden uns mit viel größerer Vorliebe den weitansgesponnenen Mord- und Todtschlags- gcschichten zu, den Mysterien von Paris, den Memoiren eines Arztes, eines Kammerdieners u. s. w. Ich muß noch bemerken, daß Bernard bei der Frechheit und dem Cynis¬ mus, den er in sittlichen Dingen zur Schau trägt, doch niemals in jene Lüstern¬ heit verfällt, die uus deu größern Theil der neuern Romantik unerträglich macht; er geht niemals auf einen sinnlichen Kitzel ans. Er ist oft gemüthlos, aber niemals schmuzig und noch weniger huldigt er jeuer krankhaften Wollust die für , I. S. unsre raffinirte Empfindsamkeit am Gefährlichsten ist. Pariser Botschaften. Die Dinge nehmen eben die Wendung, die sie nehmen mußten bei einer Legislativen wie die unsrige, die wir oft genug zu charakterisiren Gelegenheit hatten. Die.^egitimiften ärgerten sich hinterdrein, daß sie Berryer im Votum bei der Re- vistvusdebatte gefolgt waren, wie die Schafe einem Leithammel. Sie ließen sich , von Thiers den Muth hinaufschrauben, und gaben den Ministern ein Mißtrauens¬ votum. Diese stellen sich auf deu Rath Louis Bonaparte's taub, bleiben ruhig auf ihren Bänken sitzen und spielen ganz unbefangen mit ihren gefährdeten Porte¬ feuilles. Die Legislative bereut ihren Muth gegen die Regierung, so wie sie früher ihre Feigheit bereut hatte, und im Geheimen weiß sie es den Ministern Dank, daß diese das Mißtrauensvotum dafür genommen, was es eigentlich ist, un eapric,» s^n» oollssquöiioc:. Und die Minister haben Recht gehabt, denn heute siud die Legitimisten die eifrigsten Verbündeten des Elysve, und sie geben ihm ihr Vertrauen durch die Wahl einer Ucberwachungscommission zu erkennen, die zum größten Theile aus entschiedenen Bonapartisten besteht, während die an¬ dern Parteien durch die zahmsten Mitglieder vertreten sind. Ihre Nachgiebigkeit für die Regierung geht so weit, daß der Hohepriester der Ordnung, der gefeierte, vielgepriesene Degen der Reaction, das Orakel der angstdnrchbebten Rechten, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/228>, abgerufen am 04.05.2024.