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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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beiden Erzählungen, welche den 20. und 21. Band der Niederländischen Bibliothek
bilden, enthalten ein Paar zart gedachte und hübsch ausgeführte Gcnrebildchcn. halb rührend
und halb humoristisch, die bei ihrer Anspruchslosigkeit wol befriedigen können. Nament¬
lich in dem ersten sind einige recht hübsche Scenen.


Neue Gedichte.
Gedichte von Hoppl.

Stuttgart, Hallberger. --- Es sind fast lauter schwer-
wüthige Gedichte. Der Dichter wird von aller Welt verkannt, und muß fortwährend
Thränen zerdrücke". Er entschuldigt sich deswegen bei lieblosen Tadlern: Laßt mir den
thränenvollen Frühling, laßt mir den kurzen Traum von Liebcsweh, bald ist's vorbei,
dann gilt mein Streben der Welt u. s. w. -- Aber warum denn diese gcgenstandlosen
Klagen, diese beständigen Reminiscenzen aus Hölty'sehen Grablicdcrn und Matthison'-
sehen Klostcrgcsängcn immer von Neuem veröffentlichen? Aus welche Weise heut zu Tage
die Dichter produciren, davon giebt uns das kleine Gedicht ein merkwürdiges Beispiel:

Dieses gedankenlose Gedudel, in dem auch nicht die Spur einer wahren Empfin¬
dung ist, ist nur dadurch merkwürdig, daß es sich aus lauter Reminiscenzen, nicht
blos an frühere Stoffe, sondern auch an früher gebrauchte Wendungen zusammensetzt.
Der Dichter möge es nicht übel nehmen, wenn wir uns stark ausdrücken; es gilt
nicht ihm persönlich, seine Gedichte sind nicht schlechter als hundert andere, die in dem
letzten Jahre erschienen sind , aber es ist nöthig, einmal el" ernstes Wort gegen diese
lyrische Epidemie zu sprechen, durch welche alle wahre Empfindung in leere conventionelle
Reimerei untergeht. Nicht einmal der Wohlklang der Sprache wird dadurch gefördert,
denn ein Dichter überbietet den andern in unnatürlichen Wendungen -- Herr Hoppl z. B.
läßt den Himmel hernieder blauen, -- und bei dem bequemen Rhythmus der Schwäbischen
Ballade wird auch aller Sinn für den Tonfall unterdrückt. Wie kann z. B. ein ge¬
bildetes Ohr folgenden Tonfall ertragen:


Lieder von Carl Angust Lehret

(Julius Alfred). Zweite Ausgabe. Stutt¬
gart, Hallberger. -- Auch dieser Dichter ist schmcrzcnreich. Er singt: Ach, wenn aus
Meinen Thränen, die ich geweint in Sehnen, aus jeder eine Blüthe im Frühlingsschein
"glühte, o welch ein Blnthenscgcn, o welch ein Paradies! Oder um es noch vollstän¬
diger zu haben:

Durch solche Vorstellungen suchen unsre Dichter ihrem Volke den Sinn für das
Schöne beizubringen. Goethe und Schiller haben die Aufgabe der Poesie anders ver¬
standen/ -- Es sind in dieser Sammlung eine Reihe von Balladen in der Uhland'-
scho Form, häufig ohne Pointe, und zuweilen mit einem vollständig unverständlichen
anhalte. -- Seitdem die Tyrtäen der Freihcitspoesie, die das Liebeslied unterdrücken


beiden Erzählungen, welche den 20. und 21. Band der Niederländischen Bibliothek
bilden, enthalten ein Paar zart gedachte und hübsch ausgeführte Gcnrebildchcn. halb rührend
und halb humoristisch, die bei ihrer Anspruchslosigkeit wol befriedigen können. Nament¬
lich in dem ersten sind einige recht hübsche Scenen.


Neue Gedichte.
Gedichte von Hoppl.

Stuttgart, Hallberger. —- Es sind fast lauter schwer-
wüthige Gedichte. Der Dichter wird von aller Welt verkannt, und muß fortwährend
Thränen zerdrücke». Er entschuldigt sich deswegen bei lieblosen Tadlern: Laßt mir den
thränenvollen Frühling, laßt mir den kurzen Traum von Liebcsweh, bald ist's vorbei,
dann gilt mein Streben der Welt u. s. w. — Aber warum denn diese gcgenstandlosen
Klagen, diese beständigen Reminiscenzen aus Hölty'sehen Grablicdcrn und Matthison'-
sehen Klostcrgcsängcn immer von Neuem veröffentlichen? Aus welche Weise heut zu Tage
die Dichter produciren, davon giebt uns das kleine Gedicht ein merkwürdiges Beispiel:

Dieses gedankenlose Gedudel, in dem auch nicht die Spur einer wahren Empfin¬
dung ist, ist nur dadurch merkwürdig, daß es sich aus lauter Reminiscenzen, nicht
blos an frühere Stoffe, sondern auch an früher gebrauchte Wendungen zusammensetzt.
Der Dichter möge es nicht übel nehmen, wenn wir uns stark ausdrücken; es gilt
nicht ihm persönlich, seine Gedichte sind nicht schlechter als hundert andere, die in dem
letzten Jahre erschienen sind , aber es ist nöthig, einmal el» ernstes Wort gegen diese
lyrische Epidemie zu sprechen, durch welche alle wahre Empfindung in leere conventionelle
Reimerei untergeht. Nicht einmal der Wohlklang der Sprache wird dadurch gefördert,
denn ein Dichter überbietet den andern in unnatürlichen Wendungen — Herr Hoppl z. B.
läßt den Himmel hernieder blauen, — und bei dem bequemen Rhythmus der Schwäbischen
Ballade wird auch aller Sinn für den Tonfall unterdrückt. Wie kann z. B. ein ge¬
bildetes Ohr folgenden Tonfall ertragen:


Lieder von Carl Angust Lehret

(Julius Alfred). Zweite Ausgabe. Stutt¬
gart, Hallberger. — Auch dieser Dichter ist schmcrzcnreich. Er singt: Ach, wenn aus
Meinen Thränen, die ich geweint in Sehnen, aus jeder eine Blüthe im Frühlingsschein
«glühte, o welch ein Blnthenscgcn, o welch ein Paradies! Oder um es noch vollstän¬
diger zu haben:

Durch solche Vorstellungen suchen unsre Dichter ihrem Volke den Sinn für das
Schöne beizubringen. Goethe und Schiller haben die Aufgabe der Poesie anders ver¬
standen/ — Es sind in dieser Sammlung eine Reihe von Balladen in der Uhland'-
scho Form, häufig ohne Pointe, und zuweilen mit einem vollständig unverständlichen
anhalte. — Seitdem die Tyrtäen der Freihcitspoesie, die das Liebeslied unterdrücken


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[0247] beiden Erzählungen, welche den 20. und 21. Band der Niederländischen Bibliothek bilden, enthalten ein Paar zart gedachte und hübsch ausgeführte Gcnrebildchcn. halb rührend und halb humoristisch, die bei ihrer Anspruchslosigkeit wol befriedigen können. Nament¬ lich in dem ersten sind einige recht hübsche Scenen. Neue Gedichte. Gedichte von Hoppl. Stuttgart, Hallberger. —- Es sind fast lauter schwer- wüthige Gedichte. Der Dichter wird von aller Welt verkannt, und muß fortwährend Thränen zerdrücke». Er entschuldigt sich deswegen bei lieblosen Tadlern: Laßt mir den thränenvollen Frühling, laßt mir den kurzen Traum von Liebcsweh, bald ist's vorbei, dann gilt mein Streben der Welt u. s. w. — Aber warum denn diese gcgenstandlosen Klagen, diese beständigen Reminiscenzen aus Hölty'sehen Grablicdcrn und Matthison'- sehen Klostcrgcsängcn immer von Neuem veröffentlichen? Aus welche Weise heut zu Tage die Dichter produciren, davon giebt uns das kleine Gedicht ein merkwürdiges Beispiel: Dieses gedankenlose Gedudel, in dem auch nicht die Spur einer wahren Empfin¬ dung ist, ist nur dadurch merkwürdig, daß es sich aus lauter Reminiscenzen, nicht blos an frühere Stoffe, sondern auch an früher gebrauchte Wendungen zusammensetzt. Der Dichter möge es nicht übel nehmen, wenn wir uns stark ausdrücken; es gilt nicht ihm persönlich, seine Gedichte sind nicht schlechter als hundert andere, die in dem letzten Jahre erschienen sind , aber es ist nöthig, einmal el» ernstes Wort gegen diese lyrische Epidemie zu sprechen, durch welche alle wahre Empfindung in leere conventionelle Reimerei untergeht. Nicht einmal der Wohlklang der Sprache wird dadurch gefördert, denn ein Dichter überbietet den andern in unnatürlichen Wendungen — Herr Hoppl z. B. läßt den Himmel hernieder blauen, — und bei dem bequemen Rhythmus der Schwäbischen Ballade wird auch aller Sinn für den Tonfall unterdrückt. Wie kann z. B. ein ge¬ bildetes Ohr folgenden Tonfall ertragen: Lieder von Carl Angust Lehret (Julius Alfred). Zweite Ausgabe. Stutt¬ gart, Hallberger. — Auch dieser Dichter ist schmcrzcnreich. Er singt: Ach, wenn aus Meinen Thränen, die ich geweint in Sehnen, aus jeder eine Blüthe im Frühlingsschein «glühte, o welch ein Blnthenscgcn, o welch ein Paradies! Oder um es noch vollstän¬ diger zu haben: Durch solche Vorstellungen suchen unsre Dichter ihrem Volke den Sinn für das Schöne beizubringen. Goethe und Schiller haben die Aufgabe der Poesie anders ver¬ standen/ — Es sind in dieser Sammlung eine Reihe von Balladen in der Uhland'- scho Form, häufig ohne Pointe, und zuweilen mit einem vollständig unverständlichen anhalte. — Seitdem die Tyrtäen der Freihcitspoesie, die das Liebeslied unterdrücken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/247>, abgerufen am 03.05.2024.