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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Aus dem Münchener Ständehaus.
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Der Ministerpräsident.

Eine düstere Stimmung lag über Bayern. Die Glühhitze der politischen Leiden¬
schaften machte sich auf der Straße, in Gesellschaften, in Versammlungen rück¬
sichtslos geltend; Unversöhnbarkeit herrschte, wohin das Auge blickte; ein tiefer
Riß ging dnrch das ganze Staatsleben. Um die Proclamationen des Ministeri¬
ums gegen die Reichsverfassung schaarte sich die eine Menge, und die hieß
die getreue, conservative; ihre Adressen wurden in den officiellen Blättern gezählt.
Um die Deutsche Einheit schaarte sich die andere, größere Menge; es gab fast
keine einzige bedeutendere Stadt, deren Municipalität nicht Adressen für Annahme
der Reichsverfassung eingesendet, deren Bürgerwchr dieselbe nicht beschworen hatte.
Man ließ es geschehen, ohne eine Antwort; man ließ es geschehen,, wie die
Gut- und Blut^Opfer-Beschlüsse der thörichten Volksversammlungen -- ganz mit
derselben Geringschätzung. Jubelnd hatte die vfstcivse Münchener Zeitung ver¬
kündet: der König von Preußen habe "die Krawallkrvnc" abgelehnt, und seitdem
glaubte man sich jeder bisherigen Rücksichtnahme ledig; das Nationalparlarnent
und die Reichsverfassung wurden vollständig als Verkörperung der demokratischen
Revolution behandelt; wer dazu hielt, war Rebell. "Mau habe nicht genngswn
kartätscht", konnte man von den Obervfficieren hören, wenn Jemand an die Ge-
fahren mahnte, welche aus einem so vollkommenen Desavouireu des seit -1848 zum
Ausdruck gelangten nationalen Gedankens hervorgehen müßten. Bayern, Preußen
und Oestreich, Oestreich, Preußen und Bayern, das sei die Deutsche Dreinacht
zur Niederschmettcruug der Rebellion, klang's ans den Bureaus und Kaserne".
München ward mit einer Garnison von 10,000 Mann bewaffnet, an 1000 be¬
zogen die Wachen und Wachbcrcitschasten, viermal täglich rasselten Geschütze de¬
monstrativ dnrch die Hauptstraßen der Stadt, 40 scharfe Patronen erhielt jeder
Soldat der Wachmannschaften, Fuß- und Nciterpatrouillen durchzogen Nachts die
vollkommen öden Gassen; zwischen der Hauptstadt und der nahen Sommerresidenz
Nymphenburg ward ein Lager aufgerichtet -- gegen selbstgeschaffene Gespenster-
Ein anderes noch größeres zog mau bei Donauwörth zusammen; in Unruhe.g
lugten Geschützmündnngen aus den Thorthürmen hervor. Tägliche königliche
Besuche der einen oder andern Caserne fanden in München statt; soldatischer
Uebermuth, allerwärts hervortretend, ward nicht geahndet; soldatischer Vandalis-
mus, in Augsburg mehrere Tage nach einander gegen das Grundeigenthum eines
freilich liberalen Deputirten wüthend, ward von der N. Münchener Zeitung
(14. Mai) wie ein rühmliches Beispiel der Loyalität "braver Krieger" mit dem


Aus dem Münchener Ständehaus.
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Der Ministerpräsident.

Eine düstere Stimmung lag über Bayern. Die Glühhitze der politischen Leiden¬
schaften machte sich auf der Straße, in Gesellschaften, in Versammlungen rück¬
sichtslos geltend; Unversöhnbarkeit herrschte, wohin das Auge blickte; ein tiefer
Riß ging dnrch das ganze Staatsleben. Um die Proclamationen des Ministeri¬
ums gegen die Reichsverfassung schaarte sich die eine Menge, und die hieß
die getreue, conservative; ihre Adressen wurden in den officiellen Blättern gezählt.
Um die Deutsche Einheit schaarte sich die andere, größere Menge; es gab fast
keine einzige bedeutendere Stadt, deren Municipalität nicht Adressen für Annahme
der Reichsverfassung eingesendet, deren Bürgerwchr dieselbe nicht beschworen hatte.
Man ließ es geschehen, ohne eine Antwort; man ließ es geschehen,, wie die
Gut- und Blut^Opfer-Beschlüsse der thörichten Volksversammlungen — ganz mit
derselben Geringschätzung. Jubelnd hatte die vfstcivse Münchener Zeitung ver¬
kündet: der König von Preußen habe „die Krawallkrvnc" abgelehnt, und seitdem
glaubte man sich jeder bisherigen Rücksichtnahme ledig; das Nationalparlarnent
und die Reichsverfassung wurden vollständig als Verkörperung der demokratischen
Revolution behandelt; wer dazu hielt, war Rebell. „Mau habe nicht genngswn
kartätscht", konnte man von den Obervfficieren hören, wenn Jemand an die Ge-
fahren mahnte, welche aus einem so vollkommenen Desavouireu des seit -1848 zum
Ausdruck gelangten nationalen Gedankens hervorgehen müßten. Bayern, Preußen
und Oestreich, Oestreich, Preußen und Bayern, das sei die Deutsche Dreinacht
zur Niederschmettcruug der Rebellion, klang's ans den Bureaus und Kaserne».
München ward mit einer Garnison von 10,000 Mann bewaffnet, an 1000 be¬
zogen die Wachen und Wachbcrcitschasten, viermal täglich rasselten Geschütze de¬
monstrativ dnrch die Hauptstraßen der Stadt, 40 scharfe Patronen erhielt jeder
Soldat der Wachmannschaften, Fuß- und Nciterpatrouillen durchzogen Nachts die
vollkommen öden Gassen; zwischen der Hauptstadt und der nahen Sommerresidenz
Nymphenburg ward ein Lager aufgerichtet — gegen selbstgeschaffene Gespenster-
Ein anderes noch größeres zog mau bei Donauwörth zusammen; in Unruhe.g
lugten Geschützmündnngen aus den Thorthürmen hervor. Tägliche königliche
Besuche der einen oder andern Caserne fanden in München statt; soldatischer
Uebermuth, allerwärts hervortretend, ward nicht geahndet; soldatischer Vandalis-
mus, in Augsburg mehrere Tage nach einander gegen das Grundeigenthum eines
freilich liberalen Deputirten wüthend, ward von der N. Münchener Zeitung
(14. Mai) wie ein rühmliches Beispiel der Loyalität „braver Krieger" mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/100>, abgerufen am 28.03.2024.