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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Ein Leiden Thüringens.

Zwischen Harz und thüringer Wald, zwischen Werra und Saale wohnt ziem¬
lich in der Mitte Deutschlands daS alte Volk der Thüringer, Zwar ist eS sehr
"ersetzt mit sächsischem, hessischem, fränkischem und slavischem Blut, al'er viel
Originelles und Angestammtes hat sich in Sitte, Sprache und Charakter bis auf
"ufte Zeit erhalten. Selbst seine staatliche Organisation ist charakteristisch. Dort.
Made'im Herzen Deutschlands, zwischen Berg und tiefem Thal, ist eS den Deut¬
schen am wenigsten gelungen, sich zu einem Staatsbäu zu vereinigen. Die große
Straße, welche von Ost nach Westen zwischen dem Gebirge durchführt, öffnete
Land deu Slaven, vom Harz stiegen die Sachsen herab, die Franken spran¬
gen begehrlich über den Nennstieg; die geistlichen Herren zogen segnend und Güter
erwerbend von Süd und Norden in das Land, und die Herrengcschlcchter bauten
"Uf den Vorbergen ihre zahlreichen souverainen Burgen. und hielten die Land¬
schaft in Botmäßigkeit, so weit ihr Arm reichte. Die Landschaft selbst aber ist keine
^eile. ununterbrochene Ebene, sondern eine Reihe von langgestreckten Thälern,
^ durch niedrige Höhenzüge in der Richtung der Grenzgebirge von einander
^trennt werden. Kein großer Fluß concentrirt die menschliche Thätigkett an
s"Ne Ufer, und zerstreut erhoben sich die kleinen Residenzen, Städte und Märkte
dem Geflecht der Höhenzüge und kleinen Wasserbäche, welche das Land nach
verschiedenen Richtungen ans einander ziehen.

Es ist von allen Parteien so viel über die Kleinstaaterei geseufzt worden!
T>>e kleinen Staaten bestehen aber einmal, und bei der gegenwärtigen Lage ist
°s in vielen Beziehungen gar kein Unglück, daß sie sich erhalten haben. Zumal
bringen hat w den leisten fünfzig Jahren das große Glück gehabt, unter
seinen vielen Regenten einige ausgezeichnete und nicht wenig gute Menschen zu
^hier. Das Regiment hat dort bis auf die neueste Zeit viel Patriarchalisches
^'habt. die Fürsten sind brave Verwalter, gute Familienväter und ehrenwerthe
Charaktere, welche neben der Sorge für ihre Staaten noch Zeit finden, sich
Kunst und Wissenschaft zu kümmern. Es ist, als ob die mäßige Hohe


Grenzboten, IV. ^
Ein Leiden Thüringens.

Zwischen Harz und thüringer Wald, zwischen Werra und Saale wohnt ziem¬
lich in der Mitte Deutschlands daS alte Volk der Thüringer, Zwar ist eS sehr
»ersetzt mit sächsischem, hessischem, fränkischem und slavischem Blut, al'er viel
Originelles und Angestammtes hat sich in Sitte, Sprache und Charakter bis auf
"ufte Zeit erhalten. Selbst seine staatliche Organisation ist charakteristisch. Dort.
Made'im Herzen Deutschlands, zwischen Berg und tiefem Thal, ist eS den Deut¬
schen am wenigsten gelungen, sich zu einem Staatsbäu zu vereinigen. Die große
Straße, welche von Ost nach Westen zwischen dem Gebirge durchführt, öffnete
Land deu Slaven, vom Harz stiegen die Sachsen herab, die Franken spran¬
gen begehrlich über den Nennstieg; die geistlichen Herren zogen segnend und Güter
erwerbend von Süd und Norden in das Land, und die Herrengcschlcchter bauten
"Uf den Vorbergen ihre zahlreichen souverainen Burgen. und hielten die Land¬
schaft in Botmäßigkeit, so weit ihr Arm reichte. Die Landschaft selbst aber ist keine
^eile. ununterbrochene Ebene, sondern eine Reihe von langgestreckten Thälern,
^ durch niedrige Höhenzüge in der Richtung der Grenzgebirge von einander
^trennt werden. Kein großer Fluß concentrirt die menschliche Thätigkett an
s"Ne Ufer, und zerstreut erhoben sich die kleinen Residenzen, Städte und Märkte
dem Geflecht der Höhenzüge und kleinen Wasserbäche, welche das Land nach
verschiedenen Richtungen ans einander ziehen.

Es ist von allen Parteien so viel über die Kleinstaaterei geseufzt worden!
T>>e kleinen Staaten bestehen aber einmal, und bei der gegenwärtigen Lage ist
°s in vielen Beziehungen gar kein Unglück, daß sie sich erhalten haben. Zumal
bringen hat w den leisten fünfzig Jahren das große Glück gehabt, unter
seinen vielen Regenten einige ausgezeichnete und nicht wenig gute Menschen zu
^hier. Das Regiment hat dort bis auf die neueste Zeit viel Patriarchalisches
^'habt. die Fürsten sind brave Verwalter, gute Familienväter und ehrenwerthe
Charaktere, welche neben der Sorge für ihre Staaten noch Zeit finden, sich
Kunst und Wissenschaft zu kümmern. Es ist, als ob die mäßige Hohe


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[0285] Ein Leiden Thüringens. Zwischen Harz und thüringer Wald, zwischen Werra und Saale wohnt ziem¬ lich in der Mitte Deutschlands daS alte Volk der Thüringer, Zwar ist eS sehr »ersetzt mit sächsischem, hessischem, fränkischem und slavischem Blut, al'er viel Originelles und Angestammtes hat sich in Sitte, Sprache und Charakter bis auf "ufte Zeit erhalten. Selbst seine staatliche Organisation ist charakteristisch. Dort. Made'im Herzen Deutschlands, zwischen Berg und tiefem Thal, ist eS den Deut¬ schen am wenigsten gelungen, sich zu einem Staatsbäu zu vereinigen. Die große Straße, welche von Ost nach Westen zwischen dem Gebirge durchführt, öffnete Land deu Slaven, vom Harz stiegen die Sachsen herab, die Franken spran¬ gen begehrlich über den Nennstieg; die geistlichen Herren zogen segnend und Güter erwerbend von Süd und Norden in das Land, und die Herrengcschlcchter bauten "Uf den Vorbergen ihre zahlreichen souverainen Burgen. und hielten die Land¬ schaft in Botmäßigkeit, so weit ihr Arm reichte. Die Landschaft selbst aber ist keine ^eile. ununterbrochene Ebene, sondern eine Reihe von langgestreckten Thälern, ^ durch niedrige Höhenzüge in der Richtung der Grenzgebirge von einander ^trennt werden. Kein großer Fluß concentrirt die menschliche Thätigkett an s"Ne Ufer, und zerstreut erhoben sich die kleinen Residenzen, Städte und Märkte dem Geflecht der Höhenzüge und kleinen Wasserbäche, welche das Land nach verschiedenen Richtungen ans einander ziehen. Es ist von allen Parteien so viel über die Kleinstaaterei geseufzt worden! T>>e kleinen Staaten bestehen aber einmal, und bei der gegenwärtigen Lage ist °s in vielen Beziehungen gar kein Unglück, daß sie sich erhalten haben. Zumal bringen hat w den leisten fünfzig Jahren das große Glück gehabt, unter seinen vielen Regenten einige ausgezeichnete und nicht wenig gute Menschen zu ^hier. Das Regiment hat dort bis auf die neueste Zeit viel Patriarchalisches ^'habt. die Fürsten sind brave Verwalter, gute Familienväter und ehrenwerthe Charaktere, welche neben der Sorge für ihre Staaten noch Zeit finden, sich Kunst und Wissenschaft zu kümmern. Es ist, als ob die mäßige Hohe Grenzboten, IV. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/285>, abgerufen am 25.04.2024.