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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Frau von S t a ö l.

Die strebsamen Geister, von welchen die Wiedergeburt der französischen Lite¬
ratur im Anfang dieses Jahrhunderts ausging, standen fast ohne Ausnahme
in mittelbarem oder unmittelbarem Gegensatz zu Napoleon. Chateaubriand,
Victor Hugo. Lamartine u. s. w. haben in ihren politischen Ueberzeugungen
Mannichfache Metamorphosen durchgemacht; allein die Abneigung gegen das Regi¬
ment des Kaisers ist ungeschwächt geblieben. Für die spätere Generation hat die
Verbannung zu Se. Helena dem Bild des grandiosen Despoten ein ganz anderes
Ansehen gegeben. Gefärbt 'durch die Stimmung des Mitgefühls für eine gefal¬
lene Größe, hat die Geschichte dieses außerordentlichen Mannes eine Beleuchtung
^Wonnen, die sie für die Zeitgenossen nicht haben konnte. Man hat die aben¬
teuerlichen Züge durch die gestimmte Welt, von den Pyramiden bis zu den Schnee-
feldern Moskau'S, in ein Gemälde vereinigt, und aus dem Helden dieser Aben¬
teuer ist eine mythische Person geworden, die einen imponirenden Eindruck macht,
weil man den unmittelbaren Einwirkungen derselben und daher den Gefühlen
Hasses und der Furcht entzogen ist. Zudem man das Gesammtbild seines
Gebens zusammendrängt, verliert sich die Mesgninerie seiner Details, und man
gewöhnt sich an eine Perspective, von der mau sich nnr mit einiger Anstrengung
""Machen kann.

Das Reich Napoleons war der Abschluß jener herrschenden Richtung, die
Trankreich seit Jahrhunderten in der Politik und in der Literatur verfolgt hatte;
^r reinste Ausdruck jenes gleichmachenden Despotismus, nach dem das sranzö-
M)e Volk eben so gestrebt hatte, wie seine Könige, und jenes souverainen Nüjz-
l'chkeitssystems, das alle tieferen Ideen des Rechts, des Glaubens, der Schönheit
^ ein geistloses Netz praktischer Beziehungen verstrickte. Die Mathematik war die
wesentliche Grundlage der Philosophie des 1". Jahrhunderts gewesen, Napoleon
beiden die Richtung ans den praktischen Zweck, und beugte eben so die Kunst
""ter das eiserne Joch eines einseitigen Gedankens. Seine Staatsverwaltung
^rd uus durch die neueren Historiker als das Muster eines verständigen Mecha¬
nismus dargestellt. Sie war aber anch nichts als dieses, und wenn er durch
>"ne Verbindung mit der Kirche, durch seine Wiederherstellung des Adels den
^en historischen Mächten Zugeständnisse zu machen schien, so war das eigentlich
'">r eine weitere Entheiligung derselben, denn sie wurden unter die unbedingte
^chtschast eines ihnen fremden Systems niedergedrückt.

Jedes Gemüth daher, in welchem der Funke der Freiheit loderte,
'"Me sich a,egen diese Herrschaft empören, und eS ist leicht erklärlich, daß


Grenzboten, IV. ->W->.
Frau von S t a ö l.

Die strebsamen Geister, von welchen die Wiedergeburt der französischen Lite¬
ratur im Anfang dieses Jahrhunderts ausging, standen fast ohne Ausnahme
in mittelbarem oder unmittelbarem Gegensatz zu Napoleon. Chateaubriand,
Victor Hugo. Lamartine u. s. w. haben in ihren politischen Ueberzeugungen
Mannichfache Metamorphosen durchgemacht; allein die Abneigung gegen das Regi¬
ment des Kaisers ist ungeschwächt geblieben. Für die spätere Generation hat die
Verbannung zu Se. Helena dem Bild des grandiosen Despoten ein ganz anderes
Ansehen gegeben. Gefärbt 'durch die Stimmung des Mitgefühls für eine gefal¬
lene Größe, hat die Geschichte dieses außerordentlichen Mannes eine Beleuchtung
^Wonnen, die sie für die Zeitgenossen nicht haben konnte. Man hat die aben¬
teuerlichen Züge durch die gestimmte Welt, von den Pyramiden bis zu den Schnee-
feldern Moskau'S, in ein Gemälde vereinigt, und aus dem Helden dieser Aben¬
teuer ist eine mythische Person geworden, die einen imponirenden Eindruck macht,
weil man den unmittelbaren Einwirkungen derselben und daher den Gefühlen
Hasses und der Furcht entzogen ist. Zudem man das Gesammtbild seines
Gebens zusammendrängt, verliert sich die Mesgninerie seiner Details, und man
gewöhnt sich an eine Perspective, von der mau sich nnr mit einiger Anstrengung
"«Machen kann.

Das Reich Napoleons war der Abschluß jener herrschenden Richtung, die
Trankreich seit Jahrhunderten in der Politik und in der Literatur verfolgt hatte;
^r reinste Ausdruck jenes gleichmachenden Despotismus, nach dem das sranzö-
M)e Volk eben so gestrebt hatte, wie seine Könige, und jenes souverainen Nüjz-
l'chkeitssystems, das alle tieferen Ideen des Rechts, des Glaubens, der Schönheit
^ ein geistloses Netz praktischer Beziehungen verstrickte. Die Mathematik war die
wesentliche Grundlage der Philosophie des 1«. Jahrhunderts gewesen, Napoleon
beiden die Richtung ans den praktischen Zweck, und beugte eben so die Kunst
""ter das eiserne Joch eines einseitigen Gedankens. Seine Staatsverwaltung
^rd uus durch die neueren Historiker als das Muster eines verständigen Mecha¬
nismus dargestellt. Sie war aber anch nichts als dieses, und wenn er durch
>"ne Verbindung mit der Kirche, durch seine Wiederherstellung des Adels den
^en historischen Mächten Zugeständnisse zu machen schien, so war das eigentlich
'">r eine weitere Entheiligung derselben, denn sie wurden unter die unbedingte
^chtschast eines ihnen fremden Systems niedergedrückt.

Jedes Gemüth daher, in welchem der Funke der Freiheit loderte,
'"Me sich a,egen diese Herrschaft empören, und eS ist leicht erklärlich, daß


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[0293] Frau von S t a ö l. Die strebsamen Geister, von welchen die Wiedergeburt der französischen Lite¬ ratur im Anfang dieses Jahrhunderts ausging, standen fast ohne Ausnahme in mittelbarem oder unmittelbarem Gegensatz zu Napoleon. Chateaubriand, Victor Hugo. Lamartine u. s. w. haben in ihren politischen Ueberzeugungen Mannichfache Metamorphosen durchgemacht; allein die Abneigung gegen das Regi¬ ment des Kaisers ist ungeschwächt geblieben. Für die spätere Generation hat die Verbannung zu Se. Helena dem Bild des grandiosen Despoten ein ganz anderes Ansehen gegeben. Gefärbt 'durch die Stimmung des Mitgefühls für eine gefal¬ lene Größe, hat die Geschichte dieses außerordentlichen Mannes eine Beleuchtung ^Wonnen, die sie für die Zeitgenossen nicht haben konnte. Man hat die aben¬ teuerlichen Züge durch die gestimmte Welt, von den Pyramiden bis zu den Schnee- feldern Moskau'S, in ein Gemälde vereinigt, und aus dem Helden dieser Aben¬ teuer ist eine mythische Person geworden, die einen imponirenden Eindruck macht, weil man den unmittelbaren Einwirkungen derselben und daher den Gefühlen Hasses und der Furcht entzogen ist. Zudem man das Gesammtbild seines Gebens zusammendrängt, verliert sich die Mesgninerie seiner Details, und man gewöhnt sich an eine Perspective, von der mau sich nnr mit einiger Anstrengung "«Machen kann. Das Reich Napoleons war der Abschluß jener herrschenden Richtung, die Trankreich seit Jahrhunderten in der Politik und in der Literatur verfolgt hatte; ^r reinste Ausdruck jenes gleichmachenden Despotismus, nach dem das sranzö- M)e Volk eben so gestrebt hatte, wie seine Könige, und jenes souverainen Nüjz- l'chkeitssystems, das alle tieferen Ideen des Rechts, des Glaubens, der Schönheit ^ ein geistloses Netz praktischer Beziehungen verstrickte. Die Mathematik war die wesentliche Grundlage der Philosophie des 1«. Jahrhunderts gewesen, Napoleon beiden die Richtung ans den praktischen Zweck, und beugte eben so die Kunst ""ter das eiserne Joch eines einseitigen Gedankens. Seine Staatsverwaltung ^rd uus durch die neueren Historiker als das Muster eines verständigen Mecha¬ nismus dargestellt. Sie war aber anch nichts als dieses, und wenn er durch >"ne Verbindung mit der Kirche, durch seine Wiederherstellung des Adels den ^en historischen Mächten Zugeständnisse zu machen schien, so war das eigentlich '">r eine weitere Entheiligung derselben, denn sie wurden unter die unbedingte ^chtschast eines ihnen fremden Systems niedergedrückt. Jedes Gemüth daher, in welchem der Funke der Freiheit loderte, '"Me sich a,egen diese Herrschaft empören, und eS ist leicht erklärlich, daß Grenzboten, IV. ->W->.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/293>, abgerufen am 28.03.2024.