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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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vorhanden, und so wäre es bei der großen Sterilität unsrer Theaterdichter wol zu
wünschen, wenn sie sich Mühe gäben, waS sie an Gestaltungskraft haben, auf eine ener¬
gische Handlung zu concentriren, und unter Regel und Gesetz zu fügen. -- Wir er¬
wähnen noch beifällig eine neue Uebersetzung der Phädra von Racine, von Grä fer¬
n an (im classischen Theater des Auslandes. Leipzig, Reichenbach). Die Uebersetzung
ist in vieler Beziehung der Schillerschen vorzuziehen, obgleich sich Härten und Gewalt¬
samkeiten darin vorfinden, die Schiller vermieden hat. Was die Phädra selbst betrifft,
so ist durch die Darstellung der Rachel bei dem Deutschen Publicum das Vorurtheil,
welches man gegen sie hatte, wol einigermaßen aufgehoben, und bei der Barbarei, die
sich in unser Theater einzuführen droht, ist es gut. wenn wir von Zeit zu Zeit an jene
Dichter erinnert werden, die wenigstens in der Form nach einer gewissen Vollendung strebten.


Der Mythus von William Shakspeare. Eine Kritik der Shak-
'

spearesehen Biographie von Nicolaus Delius.

Bonn, König. -- Wir sind
bei unsren Deutschen Dichtern daran gewöhnt, uns um ihre persönlichen Verhältnisse mehr
zu bekümmern, als um ihre Poesie; namentlich bei Goethe hat man mit einem wunderbaren
Eifer von jeder Stunde seines Lebens nachzuspüren gesucht, was er darin erlebt hat, und
wenn er einmal in irgend einem seiner lyrischen Gedichte Wohlgefallen an blondem Haar
oder blauem Auge ausspricht, oder auch nur Wohlgefallen an den Weibern im Allge¬
meinen, so hat man die größte philologische Gelehrsamkeit aufgeboten, um zu ergründen,
ob es Lotte oder Rieke war, die ihn zu diesen Empfindungen inspirirte. und hat acht
eher geruht, als bis endlich irgend eine blonde Haarflechte auf die Spur brachte; und
wenn er einmal ausrief: Wie schön ist die Natur! so mußte man wenigstens aufrütteln.
M welchem Fenster er herausgesehen habe, um diesen großen Gedanken zu conciplren. --
Bei Goethe ist diese Art der Erklärung auch wol begreiflich, da seine Dichtung eine
wesentlich subjective war; sehr mißlich ist aber eine solche Methode bei einem Dichter,
der von der beständigen Beziehung zu sich selbst frei ist. und vollständig in die Gegen¬
stände aufgeht. So vor Allem bei Shakspeare. Da in allen ,einen Dramen so
Ziemlich jede Empfindung mit der ganzen Gewalt einer ursprünglichen Natur dargestellt
wird, so hat man sich der Idee nicht erwehren können, er habe alle dicw Empfin¬
dungen in seinem eigenen Leben durchgemacht, und es müsse daher dasselbe ein sehr
stürmisch bewegtes gewesen sein, und da er Menschen von jedem Staude und jedem
Bais charakterisirt, so hat man sich das nicht anders zurecht machen können, als daß
wa" annahm, er, habe in allen diesen Lebenszweigcn gearbeitet. Man benutzte daher
"nzclne traditionelle Geschichten, die von ihm umgingen, um einen Mythus seines Le-
be"S auszuarbeiten, in welchem jeder seiner Verse die angemessene Stellung finden
konnte. Die neuere kritische Forschung, namentlich von Charles Kmght, hat aber erge¬
hn, daß an allen diesen schönen Geschichten kein wahres Wort -se. und daß wir aus
SlMpeare's Leben absolut Nichts wissen, was uns aus die Spur des eigcntkchen
^bello. des eigentlichen Maebeth. der eigentlichen Cleopatra n. s. w. ^Der Verfasser theilt die Ergebnisse dieser Forschungen auf eine sehr belustigende Weise
"ut, und er ist verständig genug, auch den ganzen Soncttenkranz. bei dem man wenig¬
stens mit etwas mehr Grund eine unmittelbare Beziehung vermuthen konnte, und ausden man daher eine eben so vollständige als monströse Geschichte aufgebaut hat. in die
Reihe jener beziehungslosen Dichtungen zu verbanne". -- Nu" giebt es eine wunder¬
te Art von Pietät gegen historische Vorurtheile. die sich gegen eine solche Auflösungd°S Mythus stränbt, und die Mythen überhaupt nur in dem vorhistorischen Zeitalter gelten
Mu will. Daß aber jener neckische Kobold, der die Mythen schafft, in unsrer Gegenwart
W eben so thätig ist. davon kann sich Jeder überzeugen, der mit einiger Unbefan¬
genheit die Erzählungen verfolgte, welche von unsrer große" Revolution umgingen, und°w trotz ihrer handgreiflichen Lügenhaftigkeit mit derselben Unumstößliche geglaubtwurde", als zu seiner Zeit die Geschichte vom Ajax TelamoniuS.


vorhanden, und so wäre es bei der großen Sterilität unsrer Theaterdichter wol zu
wünschen, wenn sie sich Mühe gäben, waS sie an Gestaltungskraft haben, auf eine ener¬
gische Handlung zu concentriren, und unter Regel und Gesetz zu fügen. — Wir er¬
wähnen noch beifällig eine neue Uebersetzung der Phädra von Racine, von Grä fer¬
n an (im classischen Theater des Auslandes. Leipzig, Reichenbach). Die Uebersetzung
ist in vieler Beziehung der Schillerschen vorzuziehen, obgleich sich Härten und Gewalt¬
samkeiten darin vorfinden, die Schiller vermieden hat. Was die Phädra selbst betrifft,
so ist durch die Darstellung der Rachel bei dem Deutschen Publicum das Vorurtheil,
welches man gegen sie hatte, wol einigermaßen aufgehoben, und bei der Barbarei, die
sich in unser Theater einzuführen droht, ist es gut. wenn wir von Zeit zu Zeit an jene
Dichter erinnert werden, die wenigstens in der Form nach einer gewissen Vollendung strebten.


Der Mythus von William Shakspeare. Eine Kritik der Shak-
'

spearesehen Biographie von Nicolaus Delius.

Bonn, König. — Wir sind
bei unsren Deutschen Dichtern daran gewöhnt, uns um ihre persönlichen Verhältnisse mehr
zu bekümmern, als um ihre Poesie; namentlich bei Goethe hat man mit einem wunderbaren
Eifer von jeder Stunde seines Lebens nachzuspüren gesucht, was er darin erlebt hat, und
wenn er einmal in irgend einem seiner lyrischen Gedichte Wohlgefallen an blondem Haar
oder blauem Auge ausspricht, oder auch nur Wohlgefallen an den Weibern im Allge¬
meinen, so hat man die größte philologische Gelehrsamkeit aufgeboten, um zu ergründen,
ob es Lotte oder Rieke war, die ihn zu diesen Empfindungen inspirirte. und hat acht
eher geruht, als bis endlich irgend eine blonde Haarflechte auf die Spur brachte; und
wenn er einmal ausrief: Wie schön ist die Natur! so mußte man wenigstens aufrütteln.
M welchem Fenster er herausgesehen habe, um diesen großen Gedanken zu conciplren. —
Bei Goethe ist diese Art der Erklärung auch wol begreiflich, da seine Dichtung eine
wesentlich subjective war; sehr mißlich ist aber eine solche Methode bei einem Dichter,
der von der beständigen Beziehung zu sich selbst frei ist. und vollständig in die Gegen¬
stände aufgeht. So vor Allem bei Shakspeare. Da in allen ,einen Dramen so
Ziemlich jede Empfindung mit der ganzen Gewalt einer ursprünglichen Natur dargestellt
wird, so hat man sich der Idee nicht erwehren können, er habe alle dicw Empfin¬
dungen in seinem eigenen Leben durchgemacht, und es müsse daher dasselbe ein sehr
stürmisch bewegtes gewesen sein, und da er Menschen von jedem Staude und jedem
Bais charakterisirt, so hat man sich das nicht anders zurecht machen können, als daß
wa» annahm, er, habe in allen diesen Lebenszweigcn gearbeitet. Man benutzte daher
"nzclne traditionelle Geschichten, die von ihm umgingen, um einen Mythus seines Le-
be»S auszuarbeiten, in welchem jeder seiner Verse die angemessene Stellung finden
konnte. Die neuere kritische Forschung, namentlich von Charles Kmght, hat aber erge¬
hn, daß an allen diesen schönen Geschichten kein wahres Wort -se. und daß wir aus
SlMpeare's Leben absolut Nichts wissen, was uns aus die Spur des eigcntkchen
^bello. des eigentlichen Maebeth. der eigentlichen Cleopatra n. s. w. ^Der Verfasser theilt die Ergebnisse dieser Forschungen auf eine sehr belustigende Weise
«ut, und er ist verständig genug, auch den ganzen Soncttenkranz. bei dem man wenig¬
stens mit etwas mehr Grund eine unmittelbare Beziehung vermuthen konnte, und ausden man daher eine eben so vollständige als monströse Geschichte aufgebaut hat. in die
Reihe jener beziehungslosen Dichtungen zu verbanne». — Nu» giebt es eine wunder¬
te Art von Pietät gegen historische Vorurtheile. die sich gegen eine solche Auflösungd°S Mythus stränbt, und die Mythen überhaupt nur in dem vorhistorischen Zeitalter gelten
Mu will. Daß aber jener neckische Kobold, der die Mythen schafft, in unsrer Gegenwart
W eben so thätig ist. davon kann sich Jeder überzeugen, der mit einiger Unbefan¬
genheit die Erzählungen verfolgte, welche von unsrer große» Revolution umgingen, und°w trotz ihrer handgreiflichen Lügenhaftigkeit mit derselben Unumstößliche geglaubtwurde», als zu seiner Zeit die Geschichte vom Ajax TelamoniuS.


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[0043] vorhanden, und so wäre es bei der großen Sterilität unsrer Theaterdichter wol zu wünschen, wenn sie sich Mühe gäben, waS sie an Gestaltungskraft haben, auf eine ener¬ gische Handlung zu concentriren, und unter Regel und Gesetz zu fügen. — Wir er¬ wähnen noch beifällig eine neue Uebersetzung der Phädra von Racine, von Grä fer¬ n an (im classischen Theater des Auslandes. Leipzig, Reichenbach). Die Uebersetzung ist in vieler Beziehung der Schillerschen vorzuziehen, obgleich sich Härten und Gewalt¬ samkeiten darin vorfinden, die Schiller vermieden hat. Was die Phädra selbst betrifft, so ist durch die Darstellung der Rachel bei dem Deutschen Publicum das Vorurtheil, welches man gegen sie hatte, wol einigermaßen aufgehoben, und bei der Barbarei, die sich in unser Theater einzuführen droht, ist es gut. wenn wir von Zeit zu Zeit an jene Dichter erinnert werden, die wenigstens in der Form nach einer gewissen Vollendung strebten. Der Mythus von William Shakspeare. Eine Kritik der Shak- ' spearesehen Biographie von Nicolaus Delius. Bonn, König. — Wir sind bei unsren Deutschen Dichtern daran gewöhnt, uns um ihre persönlichen Verhältnisse mehr zu bekümmern, als um ihre Poesie; namentlich bei Goethe hat man mit einem wunderbaren Eifer von jeder Stunde seines Lebens nachzuspüren gesucht, was er darin erlebt hat, und wenn er einmal in irgend einem seiner lyrischen Gedichte Wohlgefallen an blondem Haar oder blauem Auge ausspricht, oder auch nur Wohlgefallen an den Weibern im Allge¬ meinen, so hat man die größte philologische Gelehrsamkeit aufgeboten, um zu ergründen, ob es Lotte oder Rieke war, die ihn zu diesen Empfindungen inspirirte. und hat acht eher geruht, als bis endlich irgend eine blonde Haarflechte auf die Spur brachte; und wenn er einmal ausrief: Wie schön ist die Natur! so mußte man wenigstens aufrütteln. M welchem Fenster er herausgesehen habe, um diesen großen Gedanken zu conciplren. — Bei Goethe ist diese Art der Erklärung auch wol begreiflich, da seine Dichtung eine wesentlich subjective war; sehr mißlich ist aber eine solche Methode bei einem Dichter, der von der beständigen Beziehung zu sich selbst frei ist. und vollständig in die Gegen¬ stände aufgeht. So vor Allem bei Shakspeare. Da in allen ,einen Dramen so Ziemlich jede Empfindung mit der ganzen Gewalt einer ursprünglichen Natur dargestellt wird, so hat man sich der Idee nicht erwehren können, er habe alle dicw Empfin¬ dungen in seinem eigenen Leben durchgemacht, und es müsse daher dasselbe ein sehr stürmisch bewegtes gewesen sein, und da er Menschen von jedem Staude und jedem Bais charakterisirt, so hat man sich das nicht anders zurecht machen können, als daß wa» annahm, er, habe in allen diesen Lebenszweigcn gearbeitet. Man benutzte daher "nzclne traditionelle Geschichten, die von ihm umgingen, um einen Mythus seines Le- be»S auszuarbeiten, in welchem jeder seiner Verse die angemessene Stellung finden konnte. Die neuere kritische Forschung, namentlich von Charles Kmght, hat aber erge¬ hn, daß an allen diesen schönen Geschichten kein wahres Wort -se. und daß wir aus SlMpeare's Leben absolut Nichts wissen, was uns aus die Spur des eigcntkchen ^bello. des eigentlichen Maebeth. der eigentlichen Cleopatra n. s. w. ^Der Verfasser theilt die Ergebnisse dieser Forschungen auf eine sehr belustigende Weise «ut, und er ist verständig genug, auch den ganzen Soncttenkranz. bei dem man wenig¬ stens mit etwas mehr Grund eine unmittelbare Beziehung vermuthen konnte, und ausden man daher eine eben so vollständige als monströse Geschichte aufgebaut hat. in die Reihe jener beziehungslosen Dichtungen zu verbanne». — Nu» giebt es eine wunder¬ te Art von Pietät gegen historische Vorurtheile. die sich gegen eine solche Auflösungd°S Mythus stränbt, und die Mythen überhaupt nur in dem vorhistorischen Zeitalter gelten Mu will. Daß aber jener neckische Kobold, der die Mythen schafft, in unsrer Gegenwart W eben so thätig ist. davon kann sich Jeder überzeugen, der mit einiger Unbefan¬ genheit die Erzählungen verfolgte, welche von unsrer große» Revolution umgingen, und°w trotz ihrer handgreiflichen Lügenhaftigkeit mit derselben Unumstößliche geglaubtwurde», als zu seiner Zeit die Geschichte vom Ajax TelamoniuS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/43>, abgerufen am 16.04.2024.