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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Zuletzt mußten seine Freunde ihn in das Irrenhaus Bvnsanvenr schaffen
lassen. Dort starb er am 30. März 18i0, 62 Jahr alt. Ein trauriger Tod,
der ein im Anfang glänzendes, aber nicht beneidenswerthes. Leben krönte. Es
fehlte ihm Würde und Wahrheit. Die reinste Selbstsucht erstickte alle ander"
Gefühle. Brummell hatte Freunde, die ihn fünfundzwanzig Jahre lang in Allem
erhielten, und doch beklagte er sein Hündchen, als er starb, als seinen einzigen
Freund. Die größte Entschuldigung für alle Verirrungen, die Leidenschaft, ver¬
missen wir bei ihm gänzlich.. Er richtete sich nicht wegen einer Geliebten zu
Grunde, sondern wegen Huno rmtlquv, Ku,u av 6o1vKnv und Milchbädern.
Und doch konnte es einem Manne, dem es trotz dunkler Geburt und beschränkten
Mitteln gelang, sich eine Art Dictatur über die stolzeste und reichste Aristokratie
der Welt zu erringen, nicht an Begabung fehlen. Widrige Verirrung der
modernen Cultur, die einem Manne von Geist und Geschmack in der Vollkommen¬
heit seines Halstuchknotens das höchste Ziel seines Strebens finden läßt.




Louis Bnonaparte und die öffentliche Meinung.

Der Staatsstreich ist vorläufig gelungen, freilich ist, was bis jetzt geschehen,
nur der Anfang einer abenteuerlichen, wilden und verhängnißvollen Zukunft.

Wir in Deutschland haben dabei an uns selbst zweierlei mit Verwunderung
beobachten können. Erstens, daß die augenblickliche Wirkung der Pariser Gewalt¬
that auf unser Volk eine verhältnißmäßig sehr geringe war. Die Course fielen
um 1 bis 2"?, und der Zeitungsleser griff zu gewohnter Stunde etwas eifriger
nach den Tagesneuigkeiten; kaum daß die Bekannten im Vorbeigehen einander
flüchtig die neuesten telegraphischen Depeschen mittheilte". Zweitens aber war zu
bemerken, daß die Beurtheilung der Gewaltthat durch die öffentliche Meinung


vest Uhr öffnete der Bediente, der seine Verhaltungsbefehle empfangen hatte, die
Thür, und meldete die Herzogin von Devonshire an. Brummell erhob sich dann
von seinem Lehnsessel, und ging bis an die Thür, um die Königin der schönen
Welt zu empfangen. "Ach! liebe Herzogin," sagte er, "ich schätze mich glücklich,
Sie bei mir zu sehen! Ich bitte Sie, machen Sie es sich in diesem Fauteuil
bequem. Sie wissen wol, daß es ein Geschenk der Herzogin von >'1ert.
meiner sehr guten Freundin ist? Die arme Herzogin, sie ist nicht mehr!" Hier
füllten sich die Augen des Greises mit Thränen, er sank selbst in den Fauteuil,
und starrte mit leerem Blick in das Feuer, bis Lord Alvauley oder Lord Wor-
cester, oder ein andrer Name angemeldet wurde, und dann wiederholte sich die
ebenbeschriebene Scene. Um zehn Uhr wurden die Wagen angemeldet, und die
Farce hatte ausgespielt.

Zuletzt mußten seine Freunde ihn in das Irrenhaus Bvnsanvenr schaffen
lassen. Dort starb er am 30. März 18i0, 62 Jahr alt. Ein trauriger Tod,
der ein im Anfang glänzendes, aber nicht beneidenswerthes. Leben krönte. Es
fehlte ihm Würde und Wahrheit. Die reinste Selbstsucht erstickte alle ander»
Gefühle. Brummell hatte Freunde, die ihn fünfundzwanzig Jahre lang in Allem
erhielten, und doch beklagte er sein Hündchen, als er starb, als seinen einzigen
Freund. Die größte Entschuldigung für alle Verirrungen, die Leidenschaft, ver¬
missen wir bei ihm gänzlich.. Er richtete sich nicht wegen einer Geliebten zu
Grunde, sondern wegen Huno rmtlquv, Ku,u av 6o1vKnv und Milchbädern.
Und doch konnte es einem Manne, dem es trotz dunkler Geburt und beschränkten
Mitteln gelang, sich eine Art Dictatur über die stolzeste und reichste Aristokratie
der Welt zu erringen, nicht an Begabung fehlen. Widrige Verirrung der
modernen Cultur, die einem Manne von Geist und Geschmack in der Vollkommen¬
heit seines Halstuchknotens das höchste Ziel seines Strebens finden läßt.




Louis Bnonaparte und die öffentliche Meinung.

Der Staatsstreich ist vorläufig gelungen, freilich ist, was bis jetzt geschehen,
nur der Anfang einer abenteuerlichen, wilden und verhängnißvollen Zukunft.

Wir in Deutschland haben dabei an uns selbst zweierlei mit Verwunderung
beobachten können. Erstens, daß die augenblickliche Wirkung der Pariser Gewalt¬
that auf unser Volk eine verhältnißmäßig sehr geringe war. Die Course fielen
um 1 bis 2«?, und der Zeitungsleser griff zu gewohnter Stunde etwas eifriger
nach den Tagesneuigkeiten; kaum daß die Bekannten im Vorbeigehen einander
flüchtig die neuesten telegraphischen Depeschen mittheilte». Zweitens aber war zu
bemerken, daß die Beurtheilung der Gewaltthat durch die öffentliche Meinung


vest Uhr öffnete der Bediente, der seine Verhaltungsbefehle empfangen hatte, die
Thür, und meldete die Herzogin von Devonshire an. Brummell erhob sich dann
von seinem Lehnsessel, und ging bis an die Thür, um die Königin der schönen
Welt zu empfangen. „Ach! liebe Herzogin," sagte er, „ich schätze mich glücklich,
Sie bei mir zu sehen! Ich bitte Sie, machen Sie es sich in diesem Fauteuil
bequem. Sie wissen wol, daß es ein Geschenk der Herzogin von >'1ert.
meiner sehr guten Freundin ist? Die arme Herzogin, sie ist nicht mehr!" Hier
füllten sich die Augen des Greises mit Thränen, er sank selbst in den Fauteuil,
und starrte mit leerem Blick in das Feuer, bis Lord Alvauley oder Lord Wor-
cester, oder ein andrer Name angemeldet wurde, und dann wiederholte sich die
ebenbeschriebene Scene. Um zehn Uhr wurden die Wagen angemeldet, und die
Farce hatte ausgespielt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/431>, abgerufen am 28.03.2024.