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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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verzehren mußte, wollt' ich die Auslagen dafür nicht verlieren. Ich habe einmal vier
Wochen lang buchstäblich von Gänsefleisch gelebt, wobei ich völlig verdummte. Städte
mit Wasser übertrugen Städte ohne Wasser; im Ganzen machte sich's, hätte noch ein
Weilchen vorgehalten, -- da setzt sich das abgeschmackte Weibsbild in den Kopf. Todes
zu sterben. Sie unterlag dem Heimweh, das heißt in unsrer Sprache: der Sehnsucht
nach frischem Thran! Was ich ihr von dieser Gattung kredenzte, schien ihr nicht mollig,
nicht glatte genug. Einen Tag vor ihrem Tode soff sie mir meine Nachtlampe aus,
schüttelte sich und stöhnte: Als, wahi, puhi, hui, pui, wald! was in ihrer Zunge etwa
sagen wollte: viel zu matt, kein Aroma! Der Wittwer Hielt'S nicht ans, ohne sie allein.
Er kündigte mir den Contract und begab sich nach Hause. Wahrscheinlich hat er eine
Seekuh geheirathet."

Herrn Schkramprl's lebhafter Vortrag, den ich hier nur höchst unvollkommen nach¬
zubilden vermochte, weil ich nicht im Stande bin, sein geläufiges, doch seltsam compo-
nirteS Französisch wiederzugeben, hatte wenigstens dazu gedient, unsrem Anton über seine
trübe Stimmung und die Beschwerlichkeiten des Schneemarsches fortzuhelfen.

Der Kutscher hielt an, die Pferde zu tränken, und der Niese warf einen Blick in
die Kutsche, nach "seinen Kleinen."

Sie waren also nach Pamela's Tode noch einmal verheiratet? fragte Anton.

"Wie so, noch einmal?" fragte Schkramprl erstaunt zurück.

Das müssen Sie besser wissen, als ich. Ich meinte nur, da Sie doch drei Kin¬
der besitzen...

"Kinder? Ich? Könnte mir nicht einfallen."

So sind das Ihre Pflegekinder, die hier im Wagen schlummern?

"Schöne Kinder! Der Husar hat seine achtundzwanzig, die beiden Dirnen zusam¬
men wenigstens fünfzig Jahre."

Zwerge, also?

"Natürlich; was denn sonst? Die beiden Schwestern hab' ich in der Schweiz
von ihren Aeltern gekauft; mit denen reif' ich jetzt schon seit länger als zehn Jahren.
Den Kerl hab' ich erst vor drei Jahren in Turin gefunden, und hab' ihn mitgenommen.
Der insolente Schlingel bezieht förmlich Gage, bat sein eigenes Zimmer in meinem
Hause, -- ..."

In Ihrem Hanse?

"Welches oben auf den Wagen gepackt ist." u. s. w. --




Clemens Brentano*)

Wir scheu unsre im Heft 4!i begonnene Kritik Brentano's nach dem Er¬
scheinen von zwei neuen Bänden fort. Der eine derselben, Band 2, enthält die
weltlichen Gedichte. Es sind darunter einzelne sehr schöne, auf die wir auch die
Musiker aufmerksam machen möchten. Wir haben schon in unsrem vorigen Auf¬
satz angedeutet, worin die Eigenthümlichkeit seiner Lyrik besteht. Er ist unfähig,



Gesammelte Schriften in 7 Bänden. Frankfurt, Sanerländer. 2. ". ü. Band.
Grenzboten. IV. -I8öl. f.>.

verzehren mußte, wollt' ich die Auslagen dafür nicht verlieren. Ich habe einmal vier
Wochen lang buchstäblich von Gänsefleisch gelebt, wobei ich völlig verdummte. Städte
mit Wasser übertrugen Städte ohne Wasser; im Ganzen machte sich's, hätte noch ein
Weilchen vorgehalten, — da setzt sich das abgeschmackte Weibsbild in den Kopf. Todes
zu sterben. Sie unterlag dem Heimweh, das heißt in unsrer Sprache: der Sehnsucht
nach frischem Thran! Was ich ihr von dieser Gattung kredenzte, schien ihr nicht mollig,
nicht glatte genug. Einen Tag vor ihrem Tode soff sie mir meine Nachtlampe aus,
schüttelte sich und stöhnte: Als, wahi, puhi, hui, pui, wald! was in ihrer Zunge etwa
sagen wollte: viel zu matt, kein Aroma! Der Wittwer Hielt'S nicht ans, ohne sie allein.
Er kündigte mir den Contract und begab sich nach Hause. Wahrscheinlich hat er eine
Seekuh geheirathet."

Herrn Schkramprl's lebhafter Vortrag, den ich hier nur höchst unvollkommen nach¬
zubilden vermochte, weil ich nicht im Stande bin, sein geläufiges, doch seltsam compo-
nirteS Französisch wiederzugeben, hatte wenigstens dazu gedient, unsrem Anton über seine
trübe Stimmung und die Beschwerlichkeiten des Schneemarsches fortzuhelfen.

Der Kutscher hielt an, die Pferde zu tränken, und der Niese warf einen Blick in
die Kutsche, nach „seinen Kleinen."

Sie waren also nach Pamela's Tode noch einmal verheiratet? fragte Anton.

„Wie so, noch einmal?" fragte Schkramprl erstaunt zurück.

Das müssen Sie besser wissen, als ich. Ich meinte nur, da Sie doch drei Kin¬
der besitzen...

„Kinder? Ich? Könnte mir nicht einfallen."

So sind das Ihre Pflegekinder, die hier im Wagen schlummern?

„Schöne Kinder! Der Husar hat seine achtundzwanzig, die beiden Dirnen zusam¬
men wenigstens fünfzig Jahre."

Zwerge, also?

„Natürlich; was denn sonst? Die beiden Schwestern hab' ich in der Schweiz
von ihren Aeltern gekauft; mit denen reif' ich jetzt schon seit länger als zehn Jahren.
Den Kerl hab' ich erst vor drei Jahren in Turin gefunden, und hab' ihn mitgenommen.
Der insolente Schlingel bezieht förmlich Gage, bat sein eigenes Zimmer in meinem
Hause, — ..."

In Ihrem Hanse?

„Welches oben auf den Wagen gepackt ist." u. s. w. —




Clemens Brentano*)

Wir scheu unsre im Heft 4!i begonnene Kritik Brentano's nach dem Er¬
scheinen von zwei neuen Bänden fort. Der eine derselben, Band 2, enthält die
weltlichen Gedichte. Es sind darunter einzelne sehr schöne, auf die wir auch die
Musiker aufmerksam machen möchten. Wir haben schon in unsrem vorigen Auf¬
satz angedeutet, worin die Eigenthümlichkeit seiner Lyrik besteht. Er ist unfähig,



Gesammelte Schriften in 7 Bänden. Frankfurt, Sanerländer. 2. „. ü. Band.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/501>, abgerufen am 23.04.2024.