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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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7. Die Majorität,

Im December 4 84-8 schied Freiherr Gustav von Lerchenfeld als Staatsrath
in außerordentlichen Diensten aus dem Ministerium, nachdem er seit dem 23. März
drei verschiedene Portefeuilles in den Händen gehabt hatte. ' Und die Presse
wollte von einer Ministerkrise sprechen, obgleich er allein seinen Abschied begehrte,
und er allein im Angesicht der neu zusammentretender Kammern bei seinem Be¬
gehren beharrte. Er selbst trat in die Kammer, vom Wahlbezirk Baireuth (wo
er ansässig) noch 'als Minister gewählt. Man machte ihn zum Präsidenten, nud er
verließ seinen Platz, als ein entscheidender Auseinanderstoß der Gegensätze nicht
mehr zu vermeiden war. Nach Auflösung dieser Kammer ward er abermals und
zwar neben dem Münchener Bürgermeister Caspar von Stcinsdorf und dem
Münchener Bierbrauer Gabriel Sedlmayr vom Wahlbezirk der Residenz in die
Kammer gesendet. Von da ab beginnt seine eigentliche parlamentarische Laufbahn
nach 1848, welche sich an äußerem Ausehen und Nedefülle erweitert hat bis
heute. Wer etwa nur die Allgemeine Zeitung liest, kann sogar wähnen, Herr
von Lerchenfeld sei der einzige Nenner unter lauter Nullen; wer den Verhand¬
lungen folgt, muß wenigstens zugestehen, daß eine Sitzung ohne Lerchenfcldsche
Reden, ein Kammervotum gegen Lerchenfcldsche Ansichten, ein Beschluß ohne
Lerchenfeldschen Verbesseruugsautrag beinahe so wenig denkbar ist, als die Schweiz
ohne Alpen, Rom ohne Papst, Bayern ohne Bier. Er ist der fraglose Leiter
der Majorität, die Majorität herrscht unbedingt, in Herrn von Lerchenfeld ver¬
körpert sich also die zweite bayerische Kammer. Zu jener Zeit, als die Allgemeine
Zeitung noch unentschieden zwischen Freisinn, Oestreich und bayerischem Ministe-
rialismns schwankte, druckte sie, freilich "mit Ueberraschung," über den so eben
zurückgetretenen Minister Lerchenfeld das Urtheil eines ihrer Münchener Korrespon¬
denten, "welcher nicht zu den Männern der Reaction gehört". Es lautete folgender¬
maßen (A. A. Z. Ur. 362, 27. December 4848): "Kann von einer Unterwühluug
des Ministeriums, und namentlich der Thätigkeit des Herrn von Lerchenfeld die Rede
sein, so braucht man nicht zu den Ultramontanen, oder der Reaction, oder der
Camarilla seine Zuflucht zu nehmen, um sie zu erkläre". Die Erfolglosigkeit seiner
finanziellen Gesetze und Maßregeln, aus der er sich in das Innere, den Cultus
und deu Unterricht geworfen hatte, die daraus hervorgegangene Verwickelung im
Staatshaushalt, welche lange Arbeit erfahrener Geschäftsmänner brauchen wird, um
gelöst zu werden, die Unreife in seinen Gesetzentwürfen, die Verlegenheiten, welche
er dadurch der Krone bereitet, welcher wiederholt Annahme oder Verabschiedung
des Urhebers als Alternative gestellt wurde, erklären hinlänglich und allein das


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7. Die Majorität,

Im December 4 84-8 schied Freiherr Gustav von Lerchenfeld als Staatsrath
in außerordentlichen Diensten aus dem Ministerium, nachdem er seit dem 23. März
drei verschiedene Portefeuilles in den Händen gehabt hatte. ' Und die Presse
wollte von einer Ministerkrise sprechen, obgleich er allein seinen Abschied begehrte,
und er allein im Angesicht der neu zusammentretender Kammern bei seinem Be¬
gehren beharrte. Er selbst trat in die Kammer, vom Wahlbezirk Baireuth (wo
er ansässig) noch 'als Minister gewählt. Man machte ihn zum Präsidenten, nud er
verließ seinen Platz, als ein entscheidender Auseinanderstoß der Gegensätze nicht
mehr zu vermeiden war. Nach Auflösung dieser Kammer ward er abermals und
zwar neben dem Münchener Bürgermeister Caspar von Stcinsdorf und dem
Münchener Bierbrauer Gabriel Sedlmayr vom Wahlbezirk der Residenz in die
Kammer gesendet. Von da ab beginnt seine eigentliche parlamentarische Laufbahn
nach 1848, welche sich an äußerem Ausehen und Nedefülle erweitert hat bis
heute. Wer etwa nur die Allgemeine Zeitung liest, kann sogar wähnen, Herr
von Lerchenfeld sei der einzige Nenner unter lauter Nullen; wer den Verhand¬
lungen folgt, muß wenigstens zugestehen, daß eine Sitzung ohne Lerchenfcldsche
Reden, ein Kammervotum gegen Lerchenfcldsche Ansichten, ein Beschluß ohne
Lerchenfeldschen Verbesseruugsautrag beinahe so wenig denkbar ist, als die Schweiz
ohne Alpen, Rom ohne Papst, Bayern ohne Bier. Er ist der fraglose Leiter
der Majorität, die Majorität herrscht unbedingt, in Herrn von Lerchenfeld ver¬
körpert sich also die zweite bayerische Kammer. Zu jener Zeit, als die Allgemeine
Zeitung noch unentschieden zwischen Freisinn, Oestreich und bayerischem Ministe-
rialismns schwankte, druckte sie, freilich „mit Ueberraschung," über den so eben
zurückgetretenen Minister Lerchenfeld das Urtheil eines ihrer Münchener Korrespon¬
denten, „welcher nicht zu den Männern der Reaction gehört". Es lautete folgender¬
maßen (A. A. Z. Ur. 362, 27. December 4848): „Kann von einer Unterwühluug
des Ministeriums, und namentlich der Thätigkeit des Herrn von Lerchenfeld die Rede
sein, so braucht man nicht zu den Ultramontanen, oder der Reaction, oder der
Camarilla seine Zuflucht zu nehmen, um sie zu erkläre». Die Erfolglosigkeit seiner
finanziellen Gesetze und Maßregeln, aus der er sich in das Innere, den Cultus
und deu Unterricht geworfen hatte, die daraus hervorgegangene Verwickelung im
Staatshaushalt, welche lange Arbeit erfahrener Geschäftsmänner brauchen wird, um
gelöst zu werden, die Unreife in seinen Gesetzentwürfen, die Verlegenheiten, welche
er dadurch der Krone bereitet, welcher wiederholt Annahme oder Verabschiedung
des Urhebers als Alternative gestellt wurde, erklären hinlänglich und allein das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/511>, abgerufen am 29.03.2024.