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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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nicht täuschen lassen. Für das übrige Publicum ist er der correcteste Vertreter
der Pariser Bildung; die eigentlichen Romantiker führen uns nur auf Irrwege.

Eine andere Richtung der Literatur, in der Scribe Epoche gemacht hat,
nämlich die Oper, behalten wir uus auf das nächste Mal vor, weil sich einige
allgemeine Betrachtungen über das Wesen des Operntextes daran knüpfen lassen.


I. S.


Robert Browning.

Dieser Dichter, von dessen poetischen Werken so eben eine neue Gesammt-
ausgabe erschienen ist, gehört einer Richtung der englischen Literatur an, in wel¬
cher wir zwar den Einfluß des deutschen Geistes wiedererkennen, aber ohne uns
über diese Sympathie besonders zu freuen. Wir haben von seinem letzten
Gedicht, "Weihnachtsabend und Ostertag" im 33. Heft des vorigen Jahrgangs
Bericht erstattet. -- Die beiden Schriftsteller, deren Einfluß vorzugsweise es zu¬
zuschreiben ist, daß ganz gegen das Wesen der englischen Sprache und Gesinnung
Faustische Gedankenlabyrinthe und die Mäandrischen Windungen des Jean Paul'-
scheu Styls einen großen Theil des fashionablen Lesepublicums beschäftigen, sind
Shelley und Thomas Carlyle. Der Erste verband mit einer Sprache,
die zum Theil von hohem poetischen Werth ist, eine so frostige Allegorie, eine
so weit hergeholte Metaphysik, daß man in den meisten Fällen gar keine Ahnung
mehr hat, um was es sich eigentlich handelt. Wenn das schon uns Deutschen so
geht, so mußte dem praktischen Engländer die Sache noch viel unheimlicher vor¬
kommen. Dennoch hat Shelley nicht allein im Publicum einen ziemlich bedeu¬
tenden Anhang gefunden, sondern er hat auch eine Schule gegründet. Es war
damals in der seinen gebildeten Welt eine Reaction gegen das steif puritanische
Wesen der altenglischen Traditionen eingetreten, welche durch die Härte der Ge¬
sellschaft gegen die poetischen Kühnheiten Lord Byron's nur noch geschärft wurde,
und doch ist Byron kein eigentlicher Empörer gegen den Geist seines Vater¬
landes, wenigstens ist seine Empörung nur individueller Natur: durch die Aus-
nahmen, die er zu Gunsten seiner melancholischen und frivolen Helden macht,
bestätigt er mir die Regel, der sie zum Opfer fallen; selbst sein Lucifer, auch
wenn er blasphemirt, zittert vor dem Gott des Himmels und der Erde. --
Bei Shelley dagegen'ist der Zusammenhang mit der Tradition abgeschnitten; so
wie er theoretisch von dem Glauben seiner Väter abfiel, so wirft er praktisch alle
Bande ab, die ihn an die Denk- und Empfindungsweise seines Volkes knüpfen
konnten. -- Carlyle, den man in poetischen und religiösen Dingen beinahe einen
Reactionär nennen könnte, denn er ist ein harter Eiferer gegen die weichliche


Grenzboten. II. I8SI. 2

nicht täuschen lassen. Für das übrige Publicum ist er der correcteste Vertreter
der Pariser Bildung; die eigentlichen Romantiker führen uns nur auf Irrwege.

Eine andere Richtung der Literatur, in der Scribe Epoche gemacht hat,
nämlich die Oper, behalten wir uus auf das nächste Mal vor, weil sich einige
allgemeine Betrachtungen über das Wesen des Operntextes daran knüpfen lassen.


I. S.


Robert Browning.

Dieser Dichter, von dessen poetischen Werken so eben eine neue Gesammt-
ausgabe erschienen ist, gehört einer Richtung der englischen Literatur an, in wel¬
cher wir zwar den Einfluß des deutschen Geistes wiedererkennen, aber ohne uns
über diese Sympathie besonders zu freuen. Wir haben von seinem letzten
Gedicht, „Weihnachtsabend und Ostertag" im 33. Heft des vorigen Jahrgangs
Bericht erstattet. — Die beiden Schriftsteller, deren Einfluß vorzugsweise es zu¬
zuschreiben ist, daß ganz gegen das Wesen der englischen Sprache und Gesinnung
Faustische Gedankenlabyrinthe und die Mäandrischen Windungen des Jean Paul'-
scheu Styls einen großen Theil des fashionablen Lesepublicums beschäftigen, sind
Shelley und Thomas Carlyle. Der Erste verband mit einer Sprache,
die zum Theil von hohem poetischen Werth ist, eine so frostige Allegorie, eine
so weit hergeholte Metaphysik, daß man in den meisten Fällen gar keine Ahnung
mehr hat, um was es sich eigentlich handelt. Wenn das schon uns Deutschen so
geht, so mußte dem praktischen Engländer die Sache noch viel unheimlicher vor¬
kommen. Dennoch hat Shelley nicht allein im Publicum einen ziemlich bedeu¬
tenden Anhang gefunden, sondern er hat auch eine Schule gegründet. Es war
damals in der seinen gebildeten Welt eine Reaction gegen das steif puritanische
Wesen der altenglischen Traditionen eingetreten, welche durch die Härte der Ge¬
sellschaft gegen die poetischen Kühnheiten Lord Byron's nur noch geschärft wurde,
und doch ist Byron kein eigentlicher Empörer gegen den Geist seines Vater¬
landes, wenigstens ist seine Empörung nur individueller Natur: durch die Aus-
nahmen, die er zu Gunsten seiner melancholischen und frivolen Helden macht,
bestätigt er mir die Regel, der sie zum Opfer fallen; selbst sein Lucifer, auch
wenn er blasphemirt, zittert vor dem Gott des Himmels und der Erde. —
Bei Shelley dagegen'ist der Zusammenhang mit der Tradition abgeschnitten; so
wie er theoretisch von dem Glauben seiner Väter abfiel, so wirft er praktisch alle
Bande ab, die ihn an die Denk- und Empfindungsweise seines Volkes knüpfen
konnten. — Carlyle, den man in poetischen und religiösen Dingen beinahe einen
Reactionär nennen könnte, denn er ist ein harter Eiferer gegen die weichliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/21>, abgerufen am 29.04.2024.