Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Kunst völlig abgestorben sind, heißt einem Kinn-sscml, des geistreichen Charak-
terisirens fröhnen, der sich mit dem Extrem einer ästhetisireuden Romantik sehr
nahe berührt. In dein Rococvstyl dieser kleinen Reliefs zeigt sich bereits die
Extravaganz, in. welche die Berliner Sculptur, durch die technische Virtuosität
ihrer charakterisirenden Richtung verleitet, sich verirren kann, wenn sie, dein Boden
eines gesunden Volkslebens entfremdet, ganz den Einflüssen einer aristokratischen
Atmosphäre anheimfallen sollte.

.Vor dem mächtigen Eindruck des Ganzen werden übrigens, namentlich in
der Hohe, die kleinern Details fast verschwinden, und in der Gesammtwirkung
nnr die Großartigkeit des Denkmals das Auge fesseln, das Gemüth ergreifen, den
Geist erheben. Es ist ein gewaltiges, in Metall geschriebenes Epos, das i"
diesem plastischen Gemälde einer großen Zeit sich vor uns entfalten wird, um sie
dem Gedächtniß der spätesten Nachwelt noch in lebendiger Gegenwart zu erhalten.
Es ist zugleich ein Denkmal der hohen Knnstvollendnng, welche die norddeutsche
Kunst an der Hand einer im Protestantismus wurzelnden realistischen Anschauung
des Lebens und der Dinge, trotz aller Romantik, zu erreichen vermochte.


A. G.


Von Babylon nach Jerusalem.

Da die Gräfin Hahn dnrch ihre neueste Schrift, welche der Angabe nach
eine-Apologie ihres Uebertritts zur Römisch-katholischen Kirche sein soll, eigentlich
aber nichts Anderes ist, als eine Selbstverherrlichung nach dem Muster und mit
Reminiscenzen aus den Bekenntnissen einer schönen Seele, mit ihrer schriftstelle¬
rischen Vergangenheit gebrochen hat, so ist es am Orte, dieselbe in einem Ge-
sammtbilde zu beleuchten. Der erste Roman, mit welchem die Gräfin vor das
Publicum trat, "Aus der Gesellschaft", erschien 1838, zehn Jahre nach Bulwer's
,,Pelham" und den "Briefen eines Verstorbenen", fünf Jahre nach Georges
Sand's "Lälia", Gutzkow's "Wally", den "Scenen aus dem Pariser Leben" von
Balzac und nach dem Tode Rachel's. Durch diese Zusammenstellung wird das
Verhältniß ihrer Poesie zu der allgemeinen Richtung der Zeit ungefähr charak-
terisirt.

Die Gräfin war damals 33 Jahre alt. Es ist daher eine poetische Licenz,
wenn sie von der Heldin des Romans, der schriftstellernden Gräfin Jlda Schvn-
holm, die offenbar ihr Ebenbild sein soll, folgende, ziemlich stark an Balzac er¬
innernde Beschreibung giebt: "Es war ein seltsamer Kopf, gar nicht schön, doch
sehr anziehend; der Schnitt einer Madonna und der Ausdruck einer Sibylle;
fatignirte Züge, die aus mehr als 27 Jahre schließen machten, und ein


der Kunst völlig abgestorben sind, heißt einem Kinn-sscml, des geistreichen Charak-
terisirens fröhnen, der sich mit dem Extrem einer ästhetisireuden Romantik sehr
nahe berührt. In dein Rococvstyl dieser kleinen Reliefs zeigt sich bereits die
Extravaganz, in. welche die Berliner Sculptur, durch die technische Virtuosität
ihrer charakterisirenden Richtung verleitet, sich verirren kann, wenn sie, dein Boden
eines gesunden Volkslebens entfremdet, ganz den Einflüssen einer aristokratischen
Atmosphäre anheimfallen sollte.

.Vor dem mächtigen Eindruck des Ganzen werden übrigens, namentlich in
der Hohe, die kleinern Details fast verschwinden, und in der Gesammtwirkung
nnr die Großartigkeit des Denkmals das Auge fesseln, das Gemüth ergreifen, den
Geist erheben. Es ist ein gewaltiges, in Metall geschriebenes Epos, das i»
diesem plastischen Gemälde einer großen Zeit sich vor uns entfalten wird, um sie
dem Gedächtniß der spätesten Nachwelt noch in lebendiger Gegenwart zu erhalten.
Es ist zugleich ein Denkmal der hohen Knnstvollendnng, welche die norddeutsche
Kunst an der Hand einer im Protestantismus wurzelnden realistischen Anschauung
des Lebens und der Dinge, trotz aller Romantik, zu erreichen vermochte.


A. G.


Von Babylon nach Jerusalem.

Da die Gräfin Hahn dnrch ihre neueste Schrift, welche der Angabe nach
eine-Apologie ihres Uebertritts zur Römisch-katholischen Kirche sein soll, eigentlich
aber nichts Anderes ist, als eine Selbstverherrlichung nach dem Muster und mit
Reminiscenzen aus den Bekenntnissen einer schönen Seele, mit ihrer schriftstelle¬
rischen Vergangenheit gebrochen hat, so ist es am Orte, dieselbe in einem Ge-
sammtbilde zu beleuchten. Der erste Roman, mit welchem die Gräfin vor das
Publicum trat, „Aus der Gesellschaft", erschien 1838, zehn Jahre nach Bulwer's
,,Pelham" und den „Briefen eines Verstorbenen", fünf Jahre nach Georges
Sand's „Lälia", Gutzkow's „Wally", den „Scenen aus dem Pariser Leben" von
Balzac und nach dem Tode Rachel's. Durch diese Zusammenstellung wird das
Verhältniß ihrer Poesie zu der allgemeinen Richtung der Zeit ungefähr charak-
terisirt.

Die Gräfin war damals 33 Jahre alt. Es ist daher eine poetische Licenz,
wenn sie von der Heldin des Romans, der schriftstellernden Gräfin Jlda Schvn-
holm, die offenbar ihr Ebenbild sein soll, folgende, ziemlich stark an Balzac er¬
innernde Beschreibung giebt: „Es war ein seltsamer Kopf, gar nicht schön, doch
sehr anziehend; der Schnitt einer Madonna und der Ausdruck einer Sibylle;
fatignirte Züge, die aus mehr als 27 Jahre schließen machten, und ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91495"/>
          <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837"> der Kunst völlig abgestorben sind, heißt einem Kinn-sscml, des geistreichen Charak-<lb/>
terisirens fröhnen, der sich mit dem Extrem einer ästhetisireuden Romantik sehr<lb/>
nahe berührt. In dein Rococvstyl dieser kleinen Reliefs zeigt sich bereits die<lb/>
Extravaganz, in. welche die Berliner Sculptur, durch die technische Virtuosität<lb/>
ihrer charakterisirenden Richtung verleitet, sich verirren kann, wenn sie, dein Boden<lb/>
eines gesunden Volkslebens entfremdet, ganz den Einflüssen einer aristokratischen<lb/>
Atmosphäre anheimfallen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_839"> .Vor dem mächtigen Eindruck des Ganzen werden übrigens, namentlich in<lb/>
der Hohe, die kleinern Details fast verschwinden, und in der Gesammtwirkung<lb/>
nnr die Großartigkeit des Denkmals das Auge fesseln, das Gemüth ergreifen, den<lb/>
Geist erheben. Es ist ein gewaltiges, in Metall geschriebenes Epos, das i»<lb/>
diesem plastischen Gemälde einer großen Zeit sich vor uns entfalten wird, um sie<lb/>
dem Gedächtniß der spätesten Nachwelt noch in lebendiger Gegenwart zu erhalten.<lb/>
Es ist zugleich ein Denkmal der hohen Knnstvollendnng, welche die norddeutsche<lb/>
Kunst an der Hand einer im Protestantismus wurzelnden realistischen Anschauung<lb/>
des Lebens und der Dinge, trotz aller Romantik, zu erreichen vermochte.</p><lb/>
          <note type="byline"> A. G.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Von Babylon nach Jerusalem.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_840"> Da die Gräfin Hahn dnrch ihre neueste Schrift, welche der Angabe nach<lb/>
eine-Apologie ihres Uebertritts zur Römisch-katholischen Kirche sein soll, eigentlich<lb/>
aber nichts Anderes ist, als eine Selbstverherrlichung nach dem Muster und mit<lb/>
Reminiscenzen aus den Bekenntnissen einer schönen Seele, mit ihrer schriftstelle¬<lb/>
rischen Vergangenheit gebrochen hat, so ist es am Orte, dieselbe in einem Ge-<lb/>
sammtbilde zu beleuchten. Der erste Roman, mit welchem die Gräfin vor das<lb/>
Publicum trat, &#x201E;Aus der Gesellschaft", erschien 1838, zehn Jahre nach Bulwer's<lb/>
,,Pelham" und den &#x201E;Briefen eines Verstorbenen", fünf Jahre nach Georges<lb/>
Sand's &#x201E;Lälia", Gutzkow's &#x201E;Wally", den &#x201E;Scenen aus dem Pariser Leben" von<lb/>
Balzac und nach dem Tode Rachel's. Durch diese Zusammenstellung wird das<lb/>
Verhältniß ihrer Poesie zu der allgemeinen Richtung der Zeit ungefähr charak-<lb/>
terisirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_841" next="#ID_842"> Die Gräfin war damals 33 Jahre alt. Es ist daher eine poetische Licenz,<lb/>
wenn sie von der Heldin des Romans, der schriftstellernden Gräfin Jlda Schvn-<lb/>
holm, die offenbar ihr Ebenbild sein soll, folgende, ziemlich stark an Balzac er¬<lb/>
innernde Beschreibung giebt: &#x201E;Es war ein seltsamer Kopf, gar nicht schön, doch<lb/>
sehr anziehend; der Schnitt einer Madonna und der Ausdruck einer Sibylle;<lb/>
fatignirte Züge, die aus mehr als 27 Jahre schließen machten, und ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] der Kunst völlig abgestorben sind, heißt einem Kinn-sscml, des geistreichen Charak- terisirens fröhnen, der sich mit dem Extrem einer ästhetisireuden Romantik sehr nahe berührt. In dein Rococvstyl dieser kleinen Reliefs zeigt sich bereits die Extravaganz, in. welche die Berliner Sculptur, durch die technische Virtuosität ihrer charakterisirenden Richtung verleitet, sich verirren kann, wenn sie, dein Boden eines gesunden Volkslebens entfremdet, ganz den Einflüssen einer aristokratischen Atmosphäre anheimfallen sollte. .Vor dem mächtigen Eindruck des Ganzen werden übrigens, namentlich in der Hohe, die kleinern Details fast verschwinden, und in der Gesammtwirkung nnr die Großartigkeit des Denkmals das Auge fesseln, das Gemüth ergreifen, den Geist erheben. Es ist ein gewaltiges, in Metall geschriebenes Epos, das i» diesem plastischen Gemälde einer großen Zeit sich vor uns entfalten wird, um sie dem Gedächtniß der spätesten Nachwelt noch in lebendiger Gegenwart zu erhalten. Es ist zugleich ein Denkmal der hohen Knnstvollendnng, welche die norddeutsche Kunst an der Hand einer im Protestantismus wurzelnden realistischen Anschauung des Lebens und der Dinge, trotz aller Romantik, zu erreichen vermochte. A. G. Von Babylon nach Jerusalem. Da die Gräfin Hahn dnrch ihre neueste Schrift, welche der Angabe nach eine-Apologie ihres Uebertritts zur Römisch-katholischen Kirche sein soll, eigentlich aber nichts Anderes ist, als eine Selbstverherrlichung nach dem Muster und mit Reminiscenzen aus den Bekenntnissen einer schönen Seele, mit ihrer schriftstelle¬ rischen Vergangenheit gebrochen hat, so ist es am Orte, dieselbe in einem Ge- sammtbilde zu beleuchten. Der erste Roman, mit welchem die Gräfin vor das Publicum trat, „Aus der Gesellschaft", erschien 1838, zehn Jahre nach Bulwer's ,,Pelham" und den „Briefen eines Verstorbenen", fünf Jahre nach Georges Sand's „Lälia", Gutzkow's „Wally", den „Scenen aus dem Pariser Leben" von Balzac und nach dem Tode Rachel's. Durch diese Zusammenstellung wird das Verhältniß ihrer Poesie zu der allgemeinen Richtung der Zeit ungefähr charak- terisirt. Die Gräfin war damals 33 Jahre alt. Es ist daher eine poetische Licenz, wenn sie von der Heldin des Romans, der schriftstellernden Gräfin Jlda Schvn- holm, die offenbar ihr Ebenbild sein soll, folgende, ziemlich stark an Balzac er¬ innernde Beschreibung giebt: „Es war ein seltsamer Kopf, gar nicht schön, doch sehr anziehend; der Schnitt einer Madonna und der Ausdruck einer Sibylle; fatignirte Züge, die aus mehr als 27 Jahre schließen machten, und ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/302>, abgerufen am 29.04.2024.