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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Richard Wagner.

Bei der Stellung, welche Wagner gegenwärtig einnimmt, muß uns zunächst
seine Verbindung mit der Demokratie in die Augen fallen. Er schreibt in demo¬
kratische Zeitschriften, bringt in seinen Aufsätzen über die Kunst politische Be¬
merkungen an und scheint das Schicksal, welches ihn persönlich betroffen hat, mit
der Noth des Vaterlandes zu identificiren; das Alles in Folge eines unüberlegten
Schrittes, der ihm seiue Stellung in Dresden kostete. Ein solches Schicksal ist
aber eine Probe für starke, gewissenhafte und edel geformte Naturen. In aufge¬
regten Zeiten kann man niemals erwarten, daß die Folgen eines Schrittes, die
auf das eigene Haupt zurückfalle", im richtigen Verhältniß zu der Bedeutung des
Schrittes selbst stehen werden. Vielleicht war die Schuld nnr klein, und mäßigt
sich noch durch den sonstigen guten Willen und die Aufregung des Augenblicks;
aber die Geschichte nimmt darauf keine Rücksicht. Der Einzelne hat sich dann
zu unterwerfen und in seinem Schicksal zugleich den ihm gebührenden Theil an
der allgemeinen Schuld des Zeitalters hinzunehmen. Eine reizbare und in sich
selbst nicht ganz sichere Natur wird aber vou einem solchen Ereigniß auf eine
ungesunde Weise afficirt werden; sie wird sich als Märtyrer betrachten, und
die Schuld an ihrem Unglück nicht ihren Verfolgern allein, sondern der gesammten
Nation zuschreiben. Diese Mißstimmung ist der Hauprgruud, der Wagner zur
Demokratie führt; außerdem freilich eine Jdeenverwcmdtschaft mit einem kleinen
doctrinairen Theil derselben, die aber in keiner Weise maßgebend sür die gesammte
demokratische Partei sein kann.

Wenn man so ziemlich von jeder Demokratie ohne Unterschied sagen kann,
daß sie die Barbarei in der Kunst begünstigt, weil sie den Egoismus und das
Selbstgefühl des Einzelnen stärkt und die praktischen Interessen einseitig hervor¬
hebt, so gilt das noch viel mehr in Beziehung auf diejenige Kunst, welche Samm¬
lung, Andacht und eine gewisse Heiligung beansprucht. Die Halbbildung unsrer
Zeit pflegt diese Wahrheit dnrch das Beispiel von Athen anzufechten, aber man


Grenzboten, N. 18SI. 61
Richard Wagner.

Bei der Stellung, welche Wagner gegenwärtig einnimmt, muß uns zunächst
seine Verbindung mit der Demokratie in die Augen fallen. Er schreibt in demo¬
kratische Zeitschriften, bringt in seinen Aufsätzen über die Kunst politische Be¬
merkungen an und scheint das Schicksal, welches ihn persönlich betroffen hat, mit
der Noth des Vaterlandes zu identificiren; das Alles in Folge eines unüberlegten
Schrittes, der ihm seiue Stellung in Dresden kostete. Ein solches Schicksal ist
aber eine Probe für starke, gewissenhafte und edel geformte Naturen. In aufge¬
regten Zeiten kann man niemals erwarten, daß die Folgen eines Schrittes, die
auf das eigene Haupt zurückfalle», im richtigen Verhältniß zu der Bedeutung des
Schrittes selbst stehen werden. Vielleicht war die Schuld nnr klein, und mäßigt
sich noch durch den sonstigen guten Willen und die Aufregung des Augenblicks;
aber die Geschichte nimmt darauf keine Rücksicht. Der Einzelne hat sich dann
zu unterwerfen und in seinem Schicksal zugleich den ihm gebührenden Theil an
der allgemeinen Schuld des Zeitalters hinzunehmen. Eine reizbare und in sich
selbst nicht ganz sichere Natur wird aber vou einem solchen Ereigniß auf eine
ungesunde Weise afficirt werden; sie wird sich als Märtyrer betrachten, und
die Schuld an ihrem Unglück nicht ihren Verfolgern allein, sondern der gesammten
Nation zuschreiben. Diese Mißstimmung ist der Hauprgruud, der Wagner zur
Demokratie führt; außerdem freilich eine Jdeenverwcmdtschaft mit einem kleinen
doctrinairen Theil derselben, die aber in keiner Weise maßgebend sür die gesammte
demokratische Partei sein kann.

Wenn man so ziemlich von jeder Demokratie ohne Unterschied sagen kann,
daß sie die Barbarei in der Kunst begünstigt, weil sie den Egoismus und das
Selbstgefühl des Einzelnen stärkt und die praktischen Interessen einseitig hervor¬
hebt, so gilt das noch viel mehr in Beziehung auf diejenige Kunst, welche Samm¬
lung, Andacht und eine gewisse Heiligung beansprucht. Die Halbbildung unsrer
Zeit pflegt diese Wahrheit dnrch das Beispiel von Athen anzufechten, aber man


Grenzboten, N. 18SI. 61
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[0413] Richard Wagner. Bei der Stellung, welche Wagner gegenwärtig einnimmt, muß uns zunächst seine Verbindung mit der Demokratie in die Augen fallen. Er schreibt in demo¬ kratische Zeitschriften, bringt in seinen Aufsätzen über die Kunst politische Be¬ merkungen an und scheint das Schicksal, welches ihn persönlich betroffen hat, mit der Noth des Vaterlandes zu identificiren; das Alles in Folge eines unüberlegten Schrittes, der ihm seiue Stellung in Dresden kostete. Ein solches Schicksal ist aber eine Probe für starke, gewissenhafte und edel geformte Naturen. In aufge¬ regten Zeiten kann man niemals erwarten, daß die Folgen eines Schrittes, die auf das eigene Haupt zurückfalle», im richtigen Verhältniß zu der Bedeutung des Schrittes selbst stehen werden. Vielleicht war die Schuld nnr klein, und mäßigt sich noch durch den sonstigen guten Willen und die Aufregung des Augenblicks; aber die Geschichte nimmt darauf keine Rücksicht. Der Einzelne hat sich dann zu unterwerfen und in seinem Schicksal zugleich den ihm gebührenden Theil an der allgemeinen Schuld des Zeitalters hinzunehmen. Eine reizbare und in sich selbst nicht ganz sichere Natur wird aber vou einem solchen Ereigniß auf eine ungesunde Weise afficirt werden; sie wird sich als Märtyrer betrachten, und die Schuld an ihrem Unglück nicht ihren Verfolgern allein, sondern der gesammten Nation zuschreiben. Diese Mißstimmung ist der Hauprgruud, der Wagner zur Demokratie führt; außerdem freilich eine Jdeenverwcmdtschaft mit einem kleinen doctrinairen Theil derselben, die aber in keiner Weise maßgebend sür die gesammte demokratische Partei sein kann. Wenn man so ziemlich von jeder Demokratie ohne Unterschied sagen kann, daß sie die Barbarei in der Kunst begünstigt, weil sie den Egoismus und das Selbstgefühl des Einzelnen stärkt und die praktischen Interessen einseitig hervor¬ hebt, so gilt das noch viel mehr in Beziehung auf diejenige Kunst, welche Samm¬ lung, Andacht und eine gewisse Heiligung beansprucht. Die Halbbildung unsrer Zeit pflegt diese Wahrheit dnrch das Beispiel von Athen anzufechten, aber man Grenzboten, N. 18SI. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/413>, abgerufen am 28.04.2024.