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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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von Weidig dem größern Publicum appretirt) schließen, daß die Partei kein
Mittel scheute, auch nicht das der Lüge (die Darstellung des Steuersystems als
eiues Diebstahls an den Armen ist von Seiten eiues gebildeten Mannes eine Lüge),
um aufs Volk zu wirken, und daß sie vor den blutigsten Konsequenzen nicht
zurückbebte. -- Und noch dazu eine Revolution heraufbeschwören aus Langeweile
und Blasirtheitü Hamlet-Leonce an der Spitze eines Jacobinerclubbs kommt
mir vor wie Nero, als er Rom anzündete, um einen schauerlich schönen Aublick
zu haben. -- Es fällt mir nicht ein, die Schuld dem Einzelnen aufzubürden,
aber es ist ein böses Zeichen für die Zeit; es ist das Unheimliche an jener
skeptischen Selbstbeschauung, die uns die Romantik gelehrt; das böse Wesen
jenes Pessimismus, der eigentlich aus aristokratisch frühreifer Ueberbildung
hervorgeht, und der nachher in unserer sogenannten Demokratie seinen Bodensatz
gelassen hat. Ob ich meine Blasirtheit mit demokratischen oder pietistischen
Phrasen beschönige, darauf kommt am Ende wenig an. --

Hatte sich Büchner bei längerem Leben zu einer gesunderen, männlicheren
Weltanschauung, zu einer reineren Poesie durchgearbeitet? Ich glaube es; er
überragt, trotz seiner Jugend, fast alle Poeten seiner Schule an Talent wie an
Tiefe des Gefühls. Mit Gewißheit läßt sich doch darüber nichts ausmachen.
Es ist in seinem Denken schon etwas so frühreif Fertiges, sein Skepticismus
und selbst seine Exaltation haben so wenig Jugendliches, daß man sich die weitere
Entwickelung uicht recht vorstellen kann. Er würde immer in der Reihe der
Neflexionsdichter geblieben sein, der Hippel, Arnim, Kleist, Grabbe, Hebbel, jener
Dichter, bei denen das schärfste, kälteste Denken hart an die unheimlichen Nebel
des Wahnsinns streift. .s. 8.




Maximilian Robespierre.
Trauerspiel in 3 Acten. Von Robert Griepenkerl. Bremen, Schlodtmann.

Als sich dieses Drama noch im ersten Stadium seiner Popularität befand,
d. h. im Sradinm des Vorlesens, war die Charlatanerie in der Anpreisung desselben
so unerträglich, daß wir der Begeisterung einige Dämpfer aufsetzen zu müssen
glaubten. Die zweite Probe, die Aufführung, hat unser Urtheil bestätigt, das
Stück hat fast überall Fiasco gemacht. Jetzt, wo das Buch gedruckt vor uus
liegt, kommen wir noch einmal darauf zurück, zum Theil veranlaßt durch die
Nichtsnutzigkeit ziemlich aller historischen Stücke, die seit der Zeit über die Breter
gegangen sind, und denen unser Robespierre, wenigstens in Beziehung auf den
Plan, uoch immer als Muster entgegengestellt werden kann.


von Weidig dem größern Publicum appretirt) schließen, daß die Partei kein
Mittel scheute, auch nicht das der Lüge (die Darstellung des Steuersystems als
eiues Diebstahls an den Armen ist von Seiten eiues gebildeten Mannes eine Lüge),
um aufs Volk zu wirken, und daß sie vor den blutigsten Konsequenzen nicht
zurückbebte. — Und noch dazu eine Revolution heraufbeschwören aus Langeweile
und Blasirtheitü Hamlet-Leonce an der Spitze eines Jacobinerclubbs kommt
mir vor wie Nero, als er Rom anzündete, um einen schauerlich schönen Aublick
zu haben. — Es fällt mir nicht ein, die Schuld dem Einzelnen aufzubürden,
aber es ist ein böses Zeichen für die Zeit; es ist das Unheimliche an jener
skeptischen Selbstbeschauung, die uns die Romantik gelehrt; das böse Wesen
jenes Pessimismus, der eigentlich aus aristokratisch frühreifer Ueberbildung
hervorgeht, und der nachher in unserer sogenannten Demokratie seinen Bodensatz
gelassen hat. Ob ich meine Blasirtheit mit demokratischen oder pietistischen
Phrasen beschönige, darauf kommt am Ende wenig an. —

Hatte sich Büchner bei längerem Leben zu einer gesunderen, männlicheren
Weltanschauung, zu einer reineren Poesie durchgearbeitet? Ich glaube es; er
überragt, trotz seiner Jugend, fast alle Poeten seiner Schule an Talent wie an
Tiefe des Gefühls. Mit Gewißheit läßt sich doch darüber nichts ausmachen.
Es ist in seinem Denken schon etwas so frühreif Fertiges, sein Skepticismus
und selbst seine Exaltation haben so wenig Jugendliches, daß man sich die weitere
Entwickelung uicht recht vorstellen kann. Er würde immer in der Reihe der
Neflexionsdichter geblieben sein, der Hippel, Arnim, Kleist, Grabbe, Hebbel, jener
Dichter, bei denen das schärfste, kälteste Denken hart an die unheimlichen Nebel
des Wahnsinns streift. .s. 8.




Maximilian Robespierre.
Trauerspiel in 3 Acten. Von Robert Griepenkerl. Bremen, Schlodtmann.

Als sich dieses Drama noch im ersten Stadium seiner Popularität befand,
d. h. im Sradinm des Vorlesens, war die Charlatanerie in der Anpreisung desselben
so unerträglich, daß wir der Begeisterung einige Dämpfer aufsetzen zu müssen
glaubten. Die zweite Probe, die Aufführung, hat unser Urtheil bestätigt, das
Stück hat fast überall Fiasco gemacht. Jetzt, wo das Buch gedruckt vor uus
liegt, kommen wir noch einmal darauf zurück, zum Theil veranlaßt durch die
Nichtsnutzigkeit ziemlich aller historischen Stücke, die seit der Zeit über die Breter
gegangen sind, und denen unser Robespierre, wenigstens in Beziehung auf den
Plan, uoch immer als Muster entgegengestellt werden kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/140>, abgerufen am 04.05.2024.