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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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hat durch die Revolution nicht gewonnen. Seitdem ist für die Zeitungen, die
eiuen dauernden Einfluß behaupten wollen, zweierlei nothwendig: lebendige
Theilnahme an einem Knotenpunkt der Bewegung, und ein entschiedenes
politisches Princip. Die Localität hat ihr das erste, und das gemischte Publicum,
auf das sie rechnen mußte, das zweite unmöglich gemacht. Dennoch gehört sie
noch immer zu den bedeutendsten deutschen Blättern, und nur mit Bedauern sehen
wir sie, die doch ihrer eigentlichen Gesinnung nach liberal ist, in den Reihen
unserer Gegner. -- Die Oberpostamtszeituug, die eine Zeit lang entschieden
preußisch war, ist vorzugsweise durch die Artikel des Herrn von Blittersdorf
in ihre jetzige Position gebracht. Sie hat übrigeus in ihrer Polemik immer
eine große Mäßigung bewahrt, und könnte jetzt, ohne ihren Standpunkt zu
verlassen, eiuen heilsamen Einfluß ausüben, wenn sie wenigstens die handgreif¬
lichen Illusionen bekämpfen wollte, die sich an die großdeutsche Idee knüpfen,
jene Mischung des liberalen Scheins und der SonveränitätS-Lüge in einem Ver¬
hältniß, das am wenigsten schädlich ist, wenn es offen und nackt hervortritt.




Korrespondenz:
A u s

Als ich noch ein Kind war, und meine Vorstellung von den Kaisern, Königen und
Prinzen noch all den Goldstaub einer kindischen Phantasie an sich trugen, konnte ich
nicht begreifen, warum der Kaiser, dessen Reichthümer unermeßlich und unerschöpflich
sind, nicht alle Menschen zu reichen Leuten macht, oder doch wenigstens jedem Armen
ein gutes Mittagsbrod und ein Paar ganze Schuhe bezahlt. Seit dieser Zeit wurde
manch kindlicher Glaube aus dem Herzen gerissen, und die nackte Wirklichkeit erschien
mir und meinen Landsleuten ohne Goldstaub und Schmetterlingsflügel. Das Unglück
aber, welches wir jetzt genießen, macht uns zu Greisen und Kindern zugleich.

Welch freudenlose Feiertage! Welch trauriger Jahreswechsel! Voriges Jahr war
ich so glücklich, diese Zeit in einem Dorfe, im Hause einer harmlosen Bauernfamilie, zu
verleben. Der schlichte Landmann hängt noch mit kindlicher Pietät an seinen Festtagen,
die Erholung ist ihm Bedürfniß nach vollbrachtem Tagewerke, und mit dem Werktags¬
kleids legt er auch seinen Alltagskummer ab. Wir in unserer verfeinerten Gesellschaft
sind durch tausend kleinere und größere Beziehungen an die Welt und ihre Ereignisse
geknüpft; wir ziehen uns umsonst in das Schneckenhaus des Familienkreises zurück, denn
auch dieses trägt die Spuren des verheerenden Ungewitters, und der Schmerz dringt
durch das wunde Gemäuer in die Wunden unseres Herzens. Damals saß der treue
Vater an der Tafelrunde seiner Lieben, und beglückte seine kleine Welt mit den Schö¬
pfungen seines Fleißes; damals glänzte der Sohn in dem Zirkel der geladenen Freunde,^
und das Auge der Eltern weidete sich mit Lust an der aufstrebenden Kraft, die bis
zum letzten Atom dem Vaterlande gewidmet war; damals kannte die liebende Mutter
nur eine Sorge: dieses stille Behagen durch weibliche Anmuth zu erhöhen, und die


hat durch die Revolution nicht gewonnen. Seitdem ist für die Zeitungen, die
eiuen dauernden Einfluß behaupten wollen, zweierlei nothwendig: lebendige
Theilnahme an einem Knotenpunkt der Bewegung, und ein entschiedenes
politisches Princip. Die Localität hat ihr das erste, und das gemischte Publicum,
auf das sie rechnen mußte, das zweite unmöglich gemacht. Dennoch gehört sie
noch immer zu den bedeutendsten deutschen Blättern, und nur mit Bedauern sehen
wir sie, die doch ihrer eigentlichen Gesinnung nach liberal ist, in den Reihen
unserer Gegner. — Die Oberpostamtszeituug, die eine Zeit lang entschieden
preußisch war, ist vorzugsweise durch die Artikel des Herrn von Blittersdorf
in ihre jetzige Position gebracht. Sie hat übrigeus in ihrer Polemik immer
eine große Mäßigung bewahrt, und könnte jetzt, ohne ihren Standpunkt zu
verlassen, eiuen heilsamen Einfluß ausüben, wenn sie wenigstens die handgreif¬
lichen Illusionen bekämpfen wollte, die sich an die großdeutsche Idee knüpfen,
jene Mischung des liberalen Scheins und der SonveränitätS-Lüge in einem Ver¬
hältniß, das am wenigsten schädlich ist, wenn es offen und nackt hervortritt.




Korrespondenz:
A u s

Als ich noch ein Kind war, und meine Vorstellung von den Kaisern, Königen und
Prinzen noch all den Goldstaub einer kindischen Phantasie an sich trugen, konnte ich
nicht begreifen, warum der Kaiser, dessen Reichthümer unermeßlich und unerschöpflich
sind, nicht alle Menschen zu reichen Leuten macht, oder doch wenigstens jedem Armen
ein gutes Mittagsbrod und ein Paar ganze Schuhe bezahlt. Seit dieser Zeit wurde
manch kindlicher Glaube aus dem Herzen gerissen, und die nackte Wirklichkeit erschien
mir und meinen Landsleuten ohne Goldstaub und Schmetterlingsflügel. Das Unglück
aber, welches wir jetzt genießen, macht uns zu Greisen und Kindern zugleich.

Welch freudenlose Feiertage! Welch trauriger Jahreswechsel! Voriges Jahr war
ich so glücklich, diese Zeit in einem Dorfe, im Hause einer harmlosen Bauernfamilie, zu
verleben. Der schlichte Landmann hängt noch mit kindlicher Pietät an seinen Festtagen,
die Erholung ist ihm Bedürfniß nach vollbrachtem Tagewerke, und mit dem Werktags¬
kleids legt er auch seinen Alltagskummer ab. Wir in unserer verfeinerten Gesellschaft
sind durch tausend kleinere und größere Beziehungen an die Welt und ihre Ereignisse
geknüpft; wir ziehen uns umsonst in das Schneckenhaus des Familienkreises zurück, denn
auch dieses trägt die Spuren des verheerenden Ungewitters, und der Schmerz dringt
durch das wunde Gemäuer in die Wunden unseres Herzens. Damals saß der treue
Vater an der Tafelrunde seiner Lieben, und beglückte seine kleine Welt mit den Schö¬
pfungen seines Fleißes; damals glänzte der Sohn in dem Zirkel der geladenen Freunde,^
und das Auge der Eltern weidete sich mit Lust an der aufstrebenden Kraft, die bis
zum letzten Atom dem Vaterlande gewidmet war; damals kannte die liebende Mutter
nur eine Sorge: dieses stille Behagen durch weibliche Anmuth zu erhöhen, und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/88>, abgerufen am 04.05.2024.