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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das k. k. östreichische Heer.

Alle deutschen, ja alle europäischen Heere sind, mit Ausnahme des russischen,
von dem östreichischen so sehr verschieden, daß es gerade dem Militär, sei er ein
Oestreicher oder ein Fremder, nicht leicht wird, die kriegerische Tüchtigkeit Oestreichs
nach der Analogie anderer Heere richtig zu beurtheilen. Ein eigner Staat im
Staate, schroff von 0er übrigen Bevölkerung geschieden, ist das östreichische Heer
eine eigene Welt, noch jetzt ein seltsames Gemisch von Mangelhaftigkeit und Vor¬
trefflichkeit. Man bemüht sich auf alle Weise, dem Soldaten den Gedanken ein¬
zuflößen, er habe keine andere Heimath mehr, als seine Kaserne oder sein Zelt, keine
anderen Pflichten, als unbedingten Gehorsam gegen seine Vorgesetzten, kein anderes
Interesse, als das an seinem Regimente, keine anderen Verwandten und Freunde,
als seine Kameraden, kein höheres Gut, als die Fahne. Nur Soldat soll der¬
jenige sein, der freiwillig oder gezwungen der Fahne des habsburgischen Dop¬
pelaars folgt. Um dies zu erreichen, hat man von jeher kein Mittel gescheut,
auch das bedenklichste nicht; die ganze Organisation des Heeres war darauf
berechnet, die strengste Sonderung zu bewirken. Und doch hatten alle Kunst¬
griffe, die man in den langen Jahren des "Systems" mit arglistiger Berechnung
anwendete, in dem Soldaten den Sohn des Volkes nicht getödtet, denn als das
alte Princip des östreichischen Heeres in den Stürmen des Jahres 1848 an,
eine große Probe gestellt wurde, erwies es sich als höchst gefährlich und unsicher,
wie die ganze innere Politik des Kaiserstaats, deren Consequenz diese Heeresein¬
richtung gewesen war. Und wir haben im Jahre 1848 in der östreichischen
Armee erlebt, was in der Kriegs- und Völkergeschichte unerhört, und selbst in
der Zeit der Condottiere und des 30jährigen Krieges nicht vorgekommen ist.
Die italienischen Regimenter, welche in Italien standen, gingen mit wenigen
Ausnahmen zum "Volke" über, und von den in Ungarn stehenden Italienern
trat das Regiment Zanini fast ganz, das Regiment Cecopieri aber größtentheils


Gvcnzboten. I. 1851. 11
Das k. k. östreichische Heer.

Alle deutschen, ja alle europäischen Heere sind, mit Ausnahme des russischen,
von dem östreichischen so sehr verschieden, daß es gerade dem Militär, sei er ein
Oestreicher oder ein Fremder, nicht leicht wird, die kriegerische Tüchtigkeit Oestreichs
nach der Analogie anderer Heere richtig zu beurtheilen. Ein eigner Staat im
Staate, schroff von 0er übrigen Bevölkerung geschieden, ist das östreichische Heer
eine eigene Welt, noch jetzt ein seltsames Gemisch von Mangelhaftigkeit und Vor¬
trefflichkeit. Man bemüht sich auf alle Weise, dem Soldaten den Gedanken ein¬
zuflößen, er habe keine andere Heimath mehr, als seine Kaserne oder sein Zelt, keine
anderen Pflichten, als unbedingten Gehorsam gegen seine Vorgesetzten, kein anderes
Interesse, als das an seinem Regimente, keine anderen Verwandten und Freunde,
als seine Kameraden, kein höheres Gut, als die Fahne. Nur Soldat soll der¬
jenige sein, der freiwillig oder gezwungen der Fahne des habsburgischen Dop¬
pelaars folgt. Um dies zu erreichen, hat man von jeher kein Mittel gescheut,
auch das bedenklichste nicht; die ganze Organisation des Heeres war darauf
berechnet, die strengste Sonderung zu bewirken. Und doch hatten alle Kunst¬
griffe, die man in den langen Jahren des „Systems" mit arglistiger Berechnung
anwendete, in dem Soldaten den Sohn des Volkes nicht getödtet, denn als das
alte Princip des östreichischen Heeres in den Stürmen des Jahres 1848 an,
eine große Probe gestellt wurde, erwies es sich als höchst gefährlich und unsicher,
wie die ganze innere Politik des Kaiserstaats, deren Consequenz diese Heeresein¬
richtung gewesen war. Und wir haben im Jahre 1848 in der östreichischen
Armee erlebt, was in der Kriegs- und Völkergeschichte unerhört, und selbst in
der Zeit der Condottiere und des 30jährigen Krieges nicht vorgekommen ist.
Die italienischen Regimenter, welche in Italien standen, gingen mit wenigen
Ausnahmen zum „Volke" über, und von den in Ungarn stehenden Italienern
trat das Regiment Zanini fast ganz, das Regiment Cecopieri aber größtentheils


Gvcnzboten. I. 1851. 11
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[0093] Das k. k. östreichische Heer. Alle deutschen, ja alle europäischen Heere sind, mit Ausnahme des russischen, von dem östreichischen so sehr verschieden, daß es gerade dem Militär, sei er ein Oestreicher oder ein Fremder, nicht leicht wird, die kriegerische Tüchtigkeit Oestreichs nach der Analogie anderer Heere richtig zu beurtheilen. Ein eigner Staat im Staate, schroff von 0er übrigen Bevölkerung geschieden, ist das östreichische Heer eine eigene Welt, noch jetzt ein seltsames Gemisch von Mangelhaftigkeit und Vor¬ trefflichkeit. Man bemüht sich auf alle Weise, dem Soldaten den Gedanken ein¬ zuflößen, er habe keine andere Heimath mehr, als seine Kaserne oder sein Zelt, keine anderen Pflichten, als unbedingten Gehorsam gegen seine Vorgesetzten, kein anderes Interesse, als das an seinem Regimente, keine anderen Verwandten und Freunde, als seine Kameraden, kein höheres Gut, als die Fahne. Nur Soldat soll der¬ jenige sein, der freiwillig oder gezwungen der Fahne des habsburgischen Dop¬ pelaars folgt. Um dies zu erreichen, hat man von jeher kein Mittel gescheut, auch das bedenklichste nicht; die ganze Organisation des Heeres war darauf berechnet, die strengste Sonderung zu bewirken. Und doch hatten alle Kunst¬ griffe, die man in den langen Jahren des „Systems" mit arglistiger Berechnung anwendete, in dem Soldaten den Sohn des Volkes nicht getödtet, denn als das alte Princip des östreichischen Heeres in den Stürmen des Jahres 1848 an, eine große Probe gestellt wurde, erwies es sich als höchst gefährlich und unsicher, wie die ganze innere Politik des Kaiserstaats, deren Consequenz diese Heeresein¬ richtung gewesen war. Und wir haben im Jahre 1848 in der östreichischen Armee erlebt, was in der Kriegs- und Völkergeschichte unerhört, und selbst in der Zeit der Condottiere und des 30jährigen Krieges nicht vorgekommen ist. Die italienischen Regimenter, welche in Italien standen, gingen mit wenigen Ausnahmen zum „Volke" über, und von den in Ungarn stehenden Italienern trat das Regiment Zanini fast ganz, das Regiment Cecopieri aber größtentheils Gvcnzboten. I. 1851. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/93>, abgerufen am 04.05.2024.