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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Preußens Physiognomie.

Das staatliche Leben Preußens, wie es in dieser Uebergangsperiode sich ent¬
wickelt, wird für eine spätere Zeit interessanter sein, als man nach der geringen
Theilnahme schließen sollte, welches sich jetzt im Volke dafür zeigt. Unter den
deutschen Staaten hat Preußen, trotz aller diplomatischen Niederlagen und verun¬
glückten Anläufe, trotz allem Reagiren, und trotz der wenig liebenswürdigen
Physiognomie, welche der Staat gegenwärtig zeigt, doch aus den ersten Jahren
der großen europäischen Revolution seit 1848 die meisten Resultate gerettet
und die größten Fortschritte in seiner gesetzlichen Entwickelung gemacht. Das soll
man nicht leugnen, den Gewinn zu überschätzen wird schwerlich Jemand geneigt
sein. Preußen hat durch die Revolution eine Verfassung erhalten, und die ersten
Anfänge eiues neuen Staatslebens sind durch die Gesetzgebung gefestigt worden.
Auch in Preußen ging diese große Veränderung nicht ohne gewaltsame Erschütte¬
rungen vor sich, aber die Fieberschrecken der Revolution sowol, als die Einsei¬
tigkeit des gegenwärtigen Regiments erscheinen als Krisen eines Staatskörpers,
in welchem die Kraft und Lebensfähigkeit sehr bedeutend ist. Das Fieber begann
am acutesten und war am schnellsten überwunden. Nach den schrecklichen März¬
tagen, dem polnischen Aufstand und den demagogischen Charlatanerien des Sommers
war die reagirende Partei im Volke bereits so stark und einflußreich geworden,
daß schon im Herbst 1848, nach Auflösung der conseil. Versammlung diese Par¬
tei vermochte, das Heft, zwar ungeschickt, aber ohne Blutvergießen, in die Hand
zu nehmen, und daß selbst das Frühjahr 1849 die Demagogie in Preußen als
ohnmächtig, und das Volk als ernüchtert zeigte. Das Ministerium Manteuffel
hat seinen innern Sieg wahrlich nicht mit Schonung und Maaß benutzt. In
den Demokratenverfolgüngen und den Belästigungen der Presse war viel kleiner
Groll und übermäßige Aengstlichkeit zu sehen, und in Gesetzdeutnngen und poli¬
zeilichen Ministerialerlassen hat es eine nicht beneidenswerthe Fertigkeit bewiesen.
Aber trotz alledem ist im Allgemeinen das Gesetz und der Weg loyaler, gesetzlicher
Entwickelung festgehalten worden, und gerade in einer Zeit, wo in andern Staaten
die Gesetze mit Füßen getreten wurden, durch die neue Organisation der Gerichte,
Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Einführung der Jury ein sehr großer


Grenzboten. l. isL2. 16
Preußens Physiognomie.

Das staatliche Leben Preußens, wie es in dieser Uebergangsperiode sich ent¬
wickelt, wird für eine spätere Zeit interessanter sein, als man nach der geringen
Theilnahme schließen sollte, welches sich jetzt im Volke dafür zeigt. Unter den
deutschen Staaten hat Preußen, trotz aller diplomatischen Niederlagen und verun¬
glückten Anläufe, trotz allem Reagiren, und trotz der wenig liebenswürdigen
Physiognomie, welche der Staat gegenwärtig zeigt, doch aus den ersten Jahren
der großen europäischen Revolution seit 1848 die meisten Resultate gerettet
und die größten Fortschritte in seiner gesetzlichen Entwickelung gemacht. Das soll
man nicht leugnen, den Gewinn zu überschätzen wird schwerlich Jemand geneigt
sein. Preußen hat durch die Revolution eine Verfassung erhalten, und die ersten
Anfänge eiues neuen Staatslebens sind durch die Gesetzgebung gefestigt worden.
Auch in Preußen ging diese große Veränderung nicht ohne gewaltsame Erschütte¬
rungen vor sich, aber die Fieberschrecken der Revolution sowol, als die Einsei¬
tigkeit des gegenwärtigen Regiments erscheinen als Krisen eines Staatskörpers,
in welchem die Kraft und Lebensfähigkeit sehr bedeutend ist. Das Fieber begann
am acutesten und war am schnellsten überwunden. Nach den schrecklichen März¬
tagen, dem polnischen Aufstand und den demagogischen Charlatanerien des Sommers
war die reagirende Partei im Volke bereits so stark und einflußreich geworden,
daß schon im Herbst 1848, nach Auflösung der conseil. Versammlung diese Par¬
tei vermochte, das Heft, zwar ungeschickt, aber ohne Blutvergießen, in die Hand
zu nehmen, und daß selbst das Frühjahr 1849 die Demagogie in Preußen als
ohnmächtig, und das Volk als ernüchtert zeigte. Das Ministerium Manteuffel
hat seinen innern Sieg wahrlich nicht mit Schonung und Maaß benutzt. In
den Demokratenverfolgüngen und den Belästigungen der Presse war viel kleiner
Groll und übermäßige Aengstlichkeit zu sehen, und in Gesetzdeutnngen und poli¬
zeilichen Ministerialerlassen hat es eine nicht beneidenswerthe Fertigkeit bewiesen.
Aber trotz alledem ist im Allgemeinen das Gesetz und der Weg loyaler, gesetzlicher
Entwickelung festgehalten worden, und gerade in einer Zeit, wo in andern Staaten
die Gesetze mit Füßen getreten wurden, durch die neue Organisation der Gerichte,
Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Einführung der Jury ein sehr großer


Grenzboten. l. isL2. 16
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[0131] Preußens Physiognomie. Das staatliche Leben Preußens, wie es in dieser Uebergangsperiode sich ent¬ wickelt, wird für eine spätere Zeit interessanter sein, als man nach der geringen Theilnahme schließen sollte, welches sich jetzt im Volke dafür zeigt. Unter den deutschen Staaten hat Preußen, trotz aller diplomatischen Niederlagen und verun¬ glückten Anläufe, trotz allem Reagiren, und trotz der wenig liebenswürdigen Physiognomie, welche der Staat gegenwärtig zeigt, doch aus den ersten Jahren der großen europäischen Revolution seit 1848 die meisten Resultate gerettet und die größten Fortschritte in seiner gesetzlichen Entwickelung gemacht. Das soll man nicht leugnen, den Gewinn zu überschätzen wird schwerlich Jemand geneigt sein. Preußen hat durch die Revolution eine Verfassung erhalten, und die ersten Anfänge eiues neuen Staatslebens sind durch die Gesetzgebung gefestigt worden. Auch in Preußen ging diese große Veränderung nicht ohne gewaltsame Erschütte¬ rungen vor sich, aber die Fieberschrecken der Revolution sowol, als die Einsei¬ tigkeit des gegenwärtigen Regiments erscheinen als Krisen eines Staatskörpers, in welchem die Kraft und Lebensfähigkeit sehr bedeutend ist. Das Fieber begann am acutesten und war am schnellsten überwunden. Nach den schrecklichen März¬ tagen, dem polnischen Aufstand und den demagogischen Charlatanerien des Sommers war die reagirende Partei im Volke bereits so stark und einflußreich geworden, daß schon im Herbst 1848, nach Auflösung der conseil. Versammlung diese Par¬ tei vermochte, das Heft, zwar ungeschickt, aber ohne Blutvergießen, in die Hand zu nehmen, und daß selbst das Frühjahr 1849 die Demagogie in Preußen als ohnmächtig, und das Volk als ernüchtert zeigte. Das Ministerium Manteuffel hat seinen innern Sieg wahrlich nicht mit Schonung und Maaß benutzt. In den Demokratenverfolgüngen und den Belästigungen der Presse war viel kleiner Groll und übermäßige Aengstlichkeit zu sehen, und in Gesetzdeutnngen und poli¬ zeilichen Ministerialerlassen hat es eine nicht beneidenswerthe Fertigkeit bewiesen. Aber trotz alledem ist im Allgemeinen das Gesetz und der Weg loyaler, gesetzlicher Entwickelung festgehalten worden, und gerade in einer Zeit, wo in andern Staaten die Gesetze mit Füßen getreten wurden, durch die neue Organisation der Gerichte, Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Einführung der Jury ein sehr großer Grenzboten. l. isL2. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/131>, abgerufen am 27.04.2024.