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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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e u e Dramen.
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Armin, Drama in ö Auszügen von Hermann Grimm, Leipzig, Weidmann'sche
Buchhandlung. 1831.

Da es uns deutschen Kritikern gegenwärtig uicht vergönnt ist, die Dramen
fertiger und berühmter Schriftsteller zu kritisiren, so fallen unserm Hunger die
Arbeiten jüngerer Kräfte zum Opfer. Es werden in Deutschland jährlich vielleicht
13--20 Dramen von neuen Verfassern verlegt; aber nicht aus jedem Jahrgange
bleibt auch nnr ein Talent übrig, welches sich aus den ersten Ansängen heraus¬
arbeitet, und Lust und Kraft behält, auf der Bühne heimisch zu werden. Denn es
ist merkwürdig, daß fast alle ersten Dramen der Deutschen ohne jede Kenntniß
der innern Gesetze eines dramatischen Kunstwerks geschrieben werden, und des¬
halb für unser Theater durchaus unbrauchbar sind. Ja viele unserer jungen
Schriftsteller sehen mit einem gewissen Hochmuth auf das herab, was sie Be¬
schränkungen durch Bub.nenconvenienz nennen, welche den freien Flug hemmen
und wie die Ausreden sonst heißen. Sie werden grausam dafür gestraft, denn
von je 100 Bücherdrameu, welche erscheinen, verfallen 99 vor Ablauf ihres ersten
Lebensjahres als Makulatur dem Tode. Nur selten retten einzelne als literarische
Merkwürdigkeit ihr Leben bis in die nächsten Generationen.

Was in diesem Blatt oft ausgeführt, und fast bei jeder Anzeige eines neuen
Dramas wiederholt wurde, sei auch hier an die Spitze einer kurzen Besprechung
gestellt. Bühnenrichtigkeit ist das erste Erforderniß des Dramas, wenn es auf
den Namen eines Kunstwerks Anspruch machen will. Was von einem modernen
Dichter geschrieben wird, und auf unsern modernen Bühnen zwischen Souffleur¬
kasten und Hintergrund bei einer etwaigen Darstellung nicht wirksam ist, das ist
aus irgend einem Grunde auch vom Dichter fehlerhaft empfunden oder ungeschickt
ausgeführt.

Auch das Drama von H. Grimm leidet an diesem Uebelstande. Es enthält
eine Reihe von Scenen, in welchen interessante, ja schöne Momente aus den spä¬
tern Kämpfen Armin's und der Deutschen gegen Germanicus und die Römer idea-
lisirt sind. Da der Dichter das Talent zeigt, historische Momente sich durch
detaillirte Anschauungen lebendig zu machen, und da er den Vorzug besitzt, ohne
alle weiche Sentimentalität zu erfinden, so ist gerade bei ihm lebhaft zu wünschen,
daß es ihm gelingen möge, seine Anschauungen und Erfindungen gemäß den
künstlerischen Gesetzen eines Bühnenstücks zu formen. Die Einheit, welche sein
Drama hat, ist eine äußerliche. -- Armin und Germaniens treten einander in
Deutschland gegenüber. Die Deutschen werden besiegt und siegen, die Uneinig¬
keit der Fürsten, die Bestechlichkeit Einzelner, machen es dem Germaniens möglich
über sie in Rom zu triumphiren, seine Popularität erweckt den Neid des Tiber,
dieser läßt den Helden in Syrien vergiften. Armin erfährt unterdeß die Schlechtig-


e u e Dramen.
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Armin, Drama in ö Auszügen von Hermann Grimm, Leipzig, Weidmann'sche
Buchhandlung. 1831.

Da es uns deutschen Kritikern gegenwärtig uicht vergönnt ist, die Dramen
fertiger und berühmter Schriftsteller zu kritisiren, so fallen unserm Hunger die
Arbeiten jüngerer Kräfte zum Opfer. Es werden in Deutschland jährlich vielleicht
13—20 Dramen von neuen Verfassern verlegt; aber nicht aus jedem Jahrgange
bleibt auch nnr ein Talent übrig, welches sich aus den ersten Ansängen heraus¬
arbeitet, und Lust und Kraft behält, auf der Bühne heimisch zu werden. Denn es
ist merkwürdig, daß fast alle ersten Dramen der Deutschen ohne jede Kenntniß
der innern Gesetze eines dramatischen Kunstwerks geschrieben werden, und des¬
halb für unser Theater durchaus unbrauchbar sind. Ja viele unserer jungen
Schriftsteller sehen mit einem gewissen Hochmuth auf das herab, was sie Be¬
schränkungen durch Bub.nenconvenienz nennen, welche den freien Flug hemmen
und wie die Ausreden sonst heißen. Sie werden grausam dafür gestraft, denn
von je 100 Bücherdrameu, welche erscheinen, verfallen 99 vor Ablauf ihres ersten
Lebensjahres als Makulatur dem Tode. Nur selten retten einzelne als literarische
Merkwürdigkeit ihr Leben bis in die nächsten Generationen.

Was in diesem Blatt oft ausgeführt, und fast bei jeder Anzeige eines neuen
Dramas wiederholt wurde, sei auch hier an die Spitze einer kurzen Besprechung
gestellt. Bühnenrichtigkeit ist das erste Erforderniß des Dramas, wenn es auf
den Namen eines Kunstwerks Anspruch machen will. Was von einem modernen
Dichter geschrieben wird, und auf unsern modernen Bühnen zwischen Souffleur¬
kasten und Hintergrund bei einer etwaigen Darstellung nicht wirksam ist, das ist
aus irgend einem Grunde auch vom Dichter fehlerhaft empfunden oder ungeschickt
ausgeführt.

Auch das Drama von H. Grimm leidet an diesem Uebelstande. Es enthält
eine Reihe von Scenen, in welchen interessante, ja schöne Momente aus den spä¬
tern Kämpfen Armin's und der Deutschen gegen Germanicus und die Römer idea-
lisirt sind. Da der Dichter das Talent zeigt, historische Momente sich durch
detaillirte Anschauungen lebendig zu machen, und da er den Vorzug besitzt, ohne
alle weiche Sentimentalität zu erfinden, so ist gerade bei ihm lebhaft zu wünschen,
daß es ihm gelingen möge, seine Anschauungen und Erfindungen gemäß den
künstlerischen Gesetzen eines Bühnenstücks zu formen. Die Einheit, welche sein
Drama hat, ist eine äußerliche. — Armin und Germaniens treten einander in
Deutschland gegenüber. Die Deutschen werden besiegt und siegen, die Uneinig¬
keit der Fürsten, die Bestechlichkeit Einzelner, machen es dem Germaniens möglich
über sie in Rom zu triumphiren, seine Popularität erweckt den Neid des Tiber,
dieser läßt den Helden in Syrien vergiften. Armin erfährt unterdeß die Schlechtig-


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[0137] e u e Dramen. ^''" -^.... Armin, Drama in ö Auszügen von Hermann Grimm, Leipzig, Weidmann'sche Buchhandlung. 1831. Da es uns deutschen Kritikern gegenwärtig uicht vergönnt ist, die Dramen fertiger und berühmter Schriftsteller zu kritisiren, so fallen unserm Hunger die Arbeiten jüngerer Kräfte zum Opfer. Es werden in Deutschland jährlich vielleicht 13—20 Dramen von neuen Verfassern verlegt; aber nicht aus jedem Jahrgange bleibt auch nnr ein Talent übrig, welches sich aus den ersten Ansängen heraus¬ arbeitet, und Lust und Kraft behält, auf der Bühne heimisch zu werden. Denn es ist merkwürdig, daß fast alle ersten Dramen der Deutschen ohne jede Kenntniß der innern Gesetze eines dramatischen Kunstwerks geschrieben werden, und des¬ halb für unser Theater durchaus unbrauchbar sind. Ja viele unserer jungen Schriftsteller sehen mit einem gewissen Hochmuth auf das herab, was sie Be¬ schränkungen durch Bub.nenconvenienz nennen, welche den freien Flug hemmen und wie die Ausreden sonst heißen. Sie werden grausam dafür gestraft, denn von je 100 Bücherdrameu, welche erscheinen, verfallen 99 vor Ablauf ihres ersten Lebensjahres als Makulatur dem Tode. Nur selten retten einzelne als literarische Merkwürdigkeit ihr Leben bis in die nächsten Generationen. Was in diesem Blatt oft ausgeführt, und fast bei jeder Anzeige eines neuen Dramas wiederholt wurde, sei auch hier an die Spitze einer kurzen Besprechung gestellt. Bühnenrichtigkeit ist das erste Erforderniß des Dramas, wenn es auf den Namen eines Kunstwerks Anspruch machen will. Was von einem modernen Dichter geschrieben wird, und auf unsern modernen Bühnen zwischen Souffleur¬ kasten und Hintergrund bei einer etwaigen Darstellung nicht wirksam ist, das ist aus irgend einem Grunde auch vom Dichter fehlerhaft empfunden oder ungeschickt ausgeführt. Auch das Drama von H. Grimm leidet an diesem Uebelstande. Es enthält eine Reihe von Scenen, in welchen interessante, ja schöne Momente aus den spä¬ tern Kämpfen Armin's und der Deutschen gegen Germanicus und die Römer idea- lisirt sind. Da der Dichter das Talent zeigt, historische Momente sich durch detaillirte Anschauungen lebendig zu machen, und da er den Vorzug besitzt, ohne alle weiche Sentimentalität zu erfinden, so ist gerade bei ihm lebhaft zu wünschen, daß es ihm gelingen möge, seine Anschauungen und Erfindungen gemäß den künstlerischen Gesetzen eines Bühnenstücks zu formen. Die Einheit, welche sein Drama hat, ist eine äußerliche. — Armin und Germaniens treten einander in Deutschland gegenüber. Die Deutschen werden besiegt und siegen, die Uneinig¬ keit der Fürsten, die Bestechlichkeit Einzelner, machen es dem Germaniens möglich über sie in Rom zu triumphiren, seine Popularität erweckt den Neid des Tiber, dieser läßt den Helden in Syrien vergiften. Armin erfährt unterdeß die Schlechtig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/137>, abgerufen am 28.04.2024.