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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Styl und Schriftsprache der Deutschen.
Ein Wunsch.

Das geistreiche Spiel, aus der Handschrift eines Menschen ans seine Per¬
sönlichkeit zu schließen, hat zahlreiche und eifrige Freunde. , Weit lohnender
erscheint es mir, ans den geschriebenen Worten selbst Schlüsse auf Geist,
Charakter und Eigenthümlichkeiten der Schreibenden zu machen. Auch hierzu
gehört einige Uebung, aber viele einzelne Bemerkungen springen schnell in die
Augen. Es ist in der Regel leicht, den Styl gewisser Berufsclassen zu erkennen,
immer vorausgesetzt, daß die Schreibenden das sind, was wir unter der schwer
zu definirenden Bezeichnung: gebildete Menschen verstehen. Leicht erkennt sich
der Beamte, der Kaufmann, der Redner, die Frau, aus der Art der Satzbil¬
dung, aus Lieblingswörtern n. s. w. heraus. Der Beamte von juristischer Zucht
ist gewöhnt das Für und Wider abzuwägen, das Urtheil ans Jndicien und das
Recht aus den Gegensätzen zu finden. Daher gebraucht er mit Vorliebe die Bin¬
dewörter in langen, vieltheiligen Sätzen, in denen er die Gegensätze einander
gegenüber stellt, .die Einzelnheiten in logischer Ordnung zusammen faßt, und an
lauge gegliederte Vordersätze, die Entscheidung des Nachsatzes scharfsinnig ' an¬
knüpft. Der gebildete Kaufmann schreibt eilig, aber sehr genau, seine Gedanken
sind fest ans ein Ziel gerichtet, er stellt kurze Sätze hinter einander und summirt
sie kräftig zusammen. Der Redner, gewöhnt im Fall und Klang der gesprochenen
Worte Behage" zu empfinden, ist auch in der Schrift wortreich, liebt Paralell-
sätze, scharfe Antithesen, Inversionen, Wiederholungen ähnlicher Vorstellungen in
verbundenen Wörtern mit rhetorischen Fall. Er Pflegt einen Satz an den vor¬
hergehenden anzuknüpfen durch die hoslicheltz Bindewörter.-zwar, obgleich und
das Lieblingswort seiner Nachsätze ist das oppositionelle aber, durch welches er
die Weisheit der eigenen Meinung heraushebt. Die Frauen haben nnr wenig
Bindewörter zur Verknüpfung der Satztheile, aber diese gebrauchen sie eifrig; in
ihrem Bestreben, recht viel vou dem wieder zu geben, was sie lebhaft empfinden,
aber in der Sprache mehr anzudeuten als darzustellen gewöhnt sind, benutzen
sie zahlreich und unmäßig die schmückenden Prädicate. Nur selten haben sie den
Muth, durch Inversionen, Auslassungen des Und und des Artikels, und durch
kurze Sätze dramatisches Leben, Energie und raschen Fluß in ihre Satzbildung
zu bringen u. s. w. Dies und Aehnliches zu beurtheilen, sind wir Alle gewöhnt.

> Es ist auch nicht schwer, aus dem Styl des Schreibenden den-Charakter
der Zeit zu erkennen, in welcher er geschrieben, und deu Charakter des Volkes,
aus. welchem er hervorging.

Leicht findet man in dem modernen französischen Styl dieselbe Volksseele wieder,
welche wir als das aufregende Element im politischen Leben Europas seit mehr


Styl und Schriftsprache der Deutschen.
Ein Wunsch.

Das geistreiche Spiel, aus der Handschrift eines Menschen ans seine Per¬
sönlichkeit zu schließen, hat zahlreiche und eifrige Freunde. , Weit lohnender
erscheint es mir, ans den geschriebenen Worten selbst Schlüsse auf Geist,
Charakter und Eigenthümlichkeiten der Schreibenden zu machen. Auch hierzu
gehört einige Uebung, aber viele einzelne Bemerkungen springen schnell in die
Augen. Es ist in der Regel leicht, den Styl gewisser Berufsclassen zu erkennen,
immer vorausgesetzt, daß die Schreibenden das sind, was wir unter der schwer
zu definirenden Bezeichnung: gebildete Menschen verstehen. Leicht erkennt sich
der Beamte, der Kaufmann, der Redner, die Frau, aus der Art der Satzbil¬
dung, aus Lieblingswörtern n. s. w. heraus. Der Beamte von juristischer Zucht
ist gewöhnt das Für und Wider abzuwägen, das Urtheil ans Jndicien und das
Recht aus den Gegensätzen zu finden. Daher gebraucht er mit Vorliebe die Bin¬
dewörter in langen, vieltheiligen Sätzen, in denen er die Gegensätze einander
gegenüber stellt, .die Einzelnheiten in logischer Ordnung zusammen faßt, und an
lauge gegliederte Vordersätze, die Entscheidung des Nachsatzes scharfsinnig ' an¬
knüpft. Der gebildete Kaufmann schreibt eilig, aber sehr genau, seine Gedanken
sind fest ans ein Ziel gerichtet, er stellt kurze Sätze hinter einander und summirt
sie kräftig zusammen. Der Redner, gewöhnt im Fall und Klang der gesprochenen
Worte Behage» zu empfinden, ist auch in der Schrift wortreich, liebt Paralell-
sätze, scharfe Antithesen, Inversionen, Wiederholungen ähnlicher Vorstellungen in
verbundenen Wörtern mit rhetorischen Fall. Er Pflegt einen Satz an den vor¬
hergehenden anzuknüpfen durch die hoslicheltz Bindewörter.-zwar, obgleich und
das Lieblingswort seiner Nachsätze ist das oppositionelle aber, durch welches er
die Weisheit der eigenen Meinung heraushebt. Die Frauen haben nnr wenig
Bindewörter zur Verknüpfung der Satztheile, aber diese gebrauchen sie eifrig; in
ihrem Bestreben, recht viel vou dem wieder zu geben, was sie lebhaft empfinden,
aber in der Sprache mehr anzudeuten als darzustellen gewöhnt sind, benutzen
sie zahlreich und unmäßig die schmückenden Prädicate. Nur selten haben sie den
Muth, durch Inversionen, Auslassungen des Und und des Artikels, und durch
kurze Sätze dramatisches Leben, Energie und raschen Fluß in ihre Satzbildung
zu bringen u. s. w. Dies und Aehnliches zu beurtheilen, sind wir Alle gewöhnt.

> Es ist auch nicht schwer, aus dem Styl des Schreibenden den-Charakter
der Zeit zu erkennen, in welcher er geschrieben, und deu Charakter des Volkes,
aus. welchem er hervorging.

Leicht findet man in dem modernen französischen Styl dieselbe Volksseele wieder,
welche wir als das aufregende Element im politischen Leben Europas seit mehr


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[0014] Styl und Schriftsprache der Deutschen. Ein Wunsch. Das geistreiche Spiel, aus der Handschrift eines Menschen ans seine Per¬ sönlichkeit zu schließen, hat zahlreiche und eifrige Freunde. , Weit lohnender erscheint es mir, ans den geschriebenen Worten selbst Schlüsse auf Geist, Charakter und Eigenthümlichkeiten der Schreibenden zu machen. Auch hierzu gehört einige Uebung, aber viele einzelne Bemerkungen springen schnell in die Augen. Es ist in der Regel leicht, den Styl gewisser Berufsclassen zu erkennen, immer vorausgesetzt, daß die Schreibenden das sind, was wir unter der schwer zu definirenden Bezeichnung: gebildete Menschen verstehen. Leicht erkennt sich der Beamte, der Kaufmann, der Redner, die Frau, aus der Art der Satzbil¬ dung, aus Lieblingswörtern n. s. w. heraus. Der Beamte von juristischer Zucht ist gewöhnt das Für und Wider abzuwägen, das Urtheil ans Jndicien und das Recht aus den Gegensätzen zu finden. Daher gebraucht er mit Vorliebe die Bin¬ dewörter in langen, vieltheiligen Sätzen, in denen er die Gegensätze einander gegenüber stellt, .die Einzelnheiten in logischer Ordnung zusammen faßt, und an lauge gegliederte Vordersätze, die Entscheidung des Nachsatzes scharfsinnig ' an¬ knüpft. Der gebildete Kaufmann schreibt eilig, aber sehr genau, seine Gedanken sind fest ans ein Ziel gerichtet, er stellt kurze Sätze hinter einander und summirt sie kräftig zusammen. Der Redner, gewöhnt im Fall und Klang der gesprochenen Worte Behage» zu empfinden, ist auch in der Schrift wortreich, liebt Paralell- sätze, scharfe Antithesen, Inversionen, Wiederholungen ähnlicher Vorstellungen in verbundenen Wörtern mit rhetorischen Fall. Er Pflegt einen Satz an den vor¬ hergehenden anzuknüpfen durch die hoslicheltz Bindewörter.-zwar, obgleich und das Lieblingswort seiner Nachsätze ist das oppositionelle aber, durch welches er die Weisheit der eigenen Meinung heraushebt. Die Frauen haben nnr wenig Bindewörter zur Verknüpfung der Satztheile, aber diese gebrauchen sie eifrig; in ihrem Bestreben, recht viel vou dem wieder zu geben, was sie lebhaft empfinden, aber in der Sprache mehr anzudeuten als darzustellen gewöhnt sind, benutzen sie zahlreich und unmäßig die schmückenden Prädicate. Nur selten haben sie den Muth, durch Inversionen, Auslassungen des Und und des Artikels, und durch kurze Sätze dramatisches Leben, Energie und raschen Fluß in ihre Satzbildung zu bringen u. s. w. Dies und Aehnliches zu beurtheilen, sind wir Alle gewöhnt. > Es ist auch nicht schwer, aus dem Styl des Schreibenden den-Charakter der Zeit zu erkennen, in welcher er geschrieben, und deu Charakter des Volkes, aus. welchem er hervorging. Leicht findet man in dem modernen französischen Styl dieselbe Volksseele wieder, welche wir als das aufregende Element im politischen Leben Europas seit mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/14>, abgerufen am 27.04.2024.