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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Stunde hinausschob, weil der Chevalier Gambel um 8 Uhr schon in einem andern
Hause zur Salatbereitnng eingeladen war.

'Aber wenn anch die Kunst der französischen Koche fast ausschließlich als das
cnltivirende Element der Küche der übrigen europäischen Völker aufgetreten ist,
so hat letztere doch ihren nationalen Grundcharakter in den verschiedenen Län¬
dern beibehalten. In Deutschland zeigt sich selbst hierin der Mangel an
Einheit, denn, abgesehen von den vielen provinziellen Schattirungen, besitzen wir,
schlecht gerechnet, dreierlei in ihrem Charakter sehr wesentlich von einander ver¬
schiedene Küchen, die norddeutsche, die rheinische und die östreichische. Die erste
erinnert durch die nahrhafte Solidität ihrer Stoffe und die Ausbildung der
Gerichte, welche aus der See stammen, an'die englische, von der sie anch her¬
kommt; die rheinische versucht mit Glück eine Vereinigung deutscher Gründlich¬
keit mit französischer Anmuth; die östreichische ist auch auf ihrer hohen Stufe noch
am nationalsten, leidet aber an Weichlichkeit wegen übertriebener Neigung zu
jüngerem Fleisch und Mehlspeisen. Diese drei Küchen schließen so ziemlich die
West-, Nord- und Südgrenze Deutschlands ein, und verbreiten sich tief in das
Binnenland hinein. Ihnen sei gelegentlich eine besondere Betrachtung gewidmet.




Wochenbericht.
D er todte König und die Parteien. --

Wenn man im übrigen Deutschland vor dem März gewohnt war, auf Hannover herab¬
zusehen, wie auf das Unglücklichste und gcknechtetstc Bruchstück des gemeinsamen Vater¬
landes, wo der Säbel den Thron inne und das Unrecht alle Scham verloren habe, so
hat sich diese Vorstellung in ihr Gegentheil umgesetzt, seitdem der volkcrcrlösendc März
den wieder unterjochenden November herbeigeführt, und das Glück sämmtlicher deutschen
Staatsbürger ihren weisen Regierungen zu alleiniger Fürsorge zurückgegeben hat. Sicher¬
lich ist bei uns die Reaction in einer wesentlich andern Gestalt aufgetreten, als in
Preußen und Oestreich, Sachsen und Baden, Hessen und Holstein. Unser Märzmini¬
sterium stcisid zwar nicht so hoch wie die übrigen in der Gunst der liberalen Führer
und -Massen; aber es erwies sich dauerhafter als die meisten, und wich nach dritthalb¬
jähriger Verwaltung nicht den Angriffen von rechts her, sondern machte seinen eigenen
Anhängern Platz. Die Anfänge ihrer Vorgänger und Meister fortzuführen, war nun
freilich diesen Jüngern nur so lange vergönnt, als der zähe Leib des alten Königs
zusammenhielt; und die Thronbesteigung seines Nachfolgers war der Sieg jener überall
siegreichen Partei, welche die höchste Person auch bei uns schon lange zur Wiederher¬
stellung der Adelsvorrechte zu locken suchte. Jedoch ist bis jetzt, und wir schreiben
schon 18S2, das öffentliche Recht von oben her noch mit keinem Griff der Gewalt
verletzt; so wenig, wie sich 1848 Volksmassen fanden, die ihrem Fürsten Gewalt an¬
gethan und die lange versagten Freiheiten selbst genommen hätten. Das ist der Ruhm


20,*

Stunde hinausschob, weil der Chevalier Gambel um 8 Uhr schon in einem andern
Hause zur Salatbereitnng eingeladen war.

'Aber wenn anch die Kunst der französischen Koche fast ausschließlich als das
cnltivirende Element der Küche der übrigen europäischen Völker aufgetreten ist,
so hat letztere doch ihren nationalen Grundcharakter in den verschiedenen Län¬
dern beibehalten. In Deutschland zeigt sich selbst hierin der Mangel an
Einheit, denn, abgesehen von den vielen provinziellen Schattirungen, besitzen wir,
schlecht gerechnet, dreierlei in ihrem Charakter sehr wesentlich von einander ver¬
schiedene Küchen, die norddeutsche, die rheinische und die östreichische. Die erste
erinnert durch die nahrhafte Solidität ihrer Stoffe und die Ausbildung der
Gerichte, welche aus der See stammen, an'die englische, von der sie anch her¬
kommt; die rheinische versucht mit Glück eine Vereinigung deutscher Gründlich¬
keit mit französischer Anmuth; die östreichische ist auch auf ihrer hohen Stufe noch
am nationalsten, leidet aber an Weichlichkeit wegen übertriebener Neigung zu
jüngerem Fleisch und Mehlspeisen. Diese drei Küchen schließen so ziemlich die
West-, Nord- und Südgrenze Deutschlands ein, und verbreiten sich tief in das
Binnenland hinein. Ihnen sei gelegentlich eine besondere Betrachtung gewidmet.




Wochenbericht.
D er todte König und die Parteien. —

Wenn man im übrigen Deutschland vor dem März gewohnt war, auf Hannover herab¬
zusehen, wie auf das Unglücklichste und gcknechtetstc Bruchstück des gemeinsamen Vater¬
landes, wo der Säbel den Thron inne und das Unrecht alle Scham verloren habe, so
hat sich diese Vorstellung in ihr Gegentheil umgesetzt, seitdem der volkcrcrlösendc März
den wieder unterjochenden November herbeigeführt, und das Glück sämmtlicher deutschen
Staatsbürger ihren weisen Regierungen zu alleiniger Fürsorge zurückgegeben hat. Sicher¬
lich ist bei uns die Reaction in einer wesentlich andern Gestalt aufgetreten, als in
Preußen und Oestreich, Sachsen und Baden, Hessen und Holstein. Unser Märzmini¬
sterium stcisid zwar nicht so hoch wie die übrigen in der Gunst der liberalen Führer
und -Massen; aber es erwies sich dauerhafter als die meisten, und wich nach dritthalb¬
jähriger Verwaltung nicht den Angriffen von rechts her, sondern machte seinen eigenen
Anhängern Platz. Die Anfänge ihrer Vorgänger und Meister fortzuführen, war nun
freilich diesen Jüngern nur so lange vergönnt, als der zähe Leib des alten Königs
zusammenhielt; und die Thronbesteigung seines Nachfolgers war der Sieg jener überall
siegreichen Partei, welche die höchste Person auch bei uns schon lange zur Wiederher¬
stellung der Adelsvorrechte zu locken suchte. Jedoch ist bis jetzt, und wir schreiben
schon 18S2, das öffentliche Recht von oben her noch mit keinem Griff der Gewalt
verletzt; so wenig, wie sich 1848 Volksmassen fanden, die ihrem Fürsten Gewalt an¬
gethan und die lange versagten Freiheiten selbst genommen hätten. Das ist der Ruhm


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[0165] Stunde hinausschob, weil der Chevalier Gambel um 8 Uhr schon in einem andern Hause zur Salatbereitnng eingeladen war. 'Aber wenn anch die Kunst der französischen Koche fast ausschließlich als das cnltivirende Element der Küche der übrigen europäischen Völker aufgetreten ist, so hat letztere doch ihren nationalen Grundcharakter in den verschiedenen Län¬ dern beibehalten. In Deutschland zeigt sich selbst hierin der Mangel an Einheit, denn, abgesehen von den vielen provinziellen Schattirungen, besitzen wir, schlecht gerechnet, dreierlei in ihrem Charakter sehr wesentlich von einander ver¬ schiedene Küchen, die norddeutsche, die rheinische und die östreichische. Die erste erinnert durch die nahrhafte Solidität ihrer Stoffe und die Ausbildung der Gerichte, welche aus der See stammen, an'die englische, von der sie anch her¬ kommt; die rheinische versucht mit Glück eine Vereinigung deutscher Gründlich¬ keit mit französischer Anmuth; die östreichische ist auch auf ihrer hohen Stufe noch am nationalsten, leidet aber an Weichlichkeit wegen übertriebener Neigung zu jüngerem Fleisch und Mehlspeisen. Diese drei Küchen schließen so ziemlich die West-, Nord- und Südgrenze Deutschlands ein, und verbreiten sich tief in das Binnenland hinein. Ihnen sei gelegentlich eine besondere Betrachtung gewidmet. Wochenbericht. D er todte König und die Parteien. — Wenn man im übrigen Deutschland vor dem März gewohnt war, auf Hannover herab¬ zusehen, wie auf das Unglücklichste und gcknechtetstc Bruchstück des gemeinsamen Vater¬ landes, wo der Säbel den Thron inne und das Unrecht alle Scham verloren habe, so hat sich diese Vorstellung in ihr Gegentheil umgesetzt, seitdem der volkcrcrlösendc März den wieder unterjochenden November herbeigeführt, und das Glück sämmtlicher deutschen Staatsbürger ihren weisen Regierungen zu alleiniger Fürsorge zurückgegeben hat. Sicher¬ lich ist bei uns die Reaction in einer wesentlich andern Gestalt aufgetreten, als in Preußen und Oestreich, Sachsen und Baden, Hessen und Holstein. Unser Märzmini¬ sterium stcisid zwar nicht so hoch wie die übrigen in der Gunst der liberalen Führer und -Massen; aber es erwies sich dauerhafter als die meisten, und wich nach dritthalb¬ jähriger Verwaltung nicht den Angriffen von rechts her, sondern machte seinen eigenen Anhängern Platz. Die Anfänge ihrer Vorgänger und Meister fortzuführen, war nun freilich diesen Jüngern nur so lange vergönnt, als der zähe Leib des alten Königs zusammenhielt; und die Thronbesteigung seines Nachfolgers war der Sieg jener überall siegreichen Partei, welche die höchste Person auch bei uns schon lange zur Wiederher¬ stellung der Adelsvorrechte zu locken suchte. Jedoch ist bis jetzt, und wir schreiben schon 18S2, das öffentliche Recht von oben her noch mit keinem Griff der Gewalt verletzt; so wenig, wie sich 1848 Volksmassen fanden, die ihrem Fürsten Gewalt an¬ gethan und die lange versagten Freiheiten selbst genommen hätten. Das ist der Ruhm 20,*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/165>, abgerufen am 27.04.2024.