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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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welche in England die Weiberemancipation predigte, und ans die wir noch zurück¬
kommen müssen, gehört in diese Reihe. Wir skizziren hier zum Schluß einen
philosophischen Roman von ihr, der im englischen Publicum nicht geringes Auf¬
sehen erregte, und da er anonym erschien, im Anfang den besten Autoren zuge¬
schrieben wurde. Er hieß: Frankenstein oder der neue Prometheus
(1817), und hatte zum Gegenstand die seltsamste Erfindung von der Welt. Franken¬
stein hat nämlich durch vielseitige Studien der alten Naturphilosophie die Kunst
gelernt, durch chemische Präparate Menschen hervorzubringen. Er producirt also
ein riesenhaftes Monstrum, welches ursprünglich nicht bösartig ist, aber wegen
seiner isolirten Stellung unter den übrigen Menschen zum Haß gegen das Ge¬
schlecht getrieben wird, und wahrhaft teuflische Greuelthaten begeht. Er verspricht
seinem Schöpfer und Meister, sich zu bessern, wenn dieser ihm eine Lebensgefährtin
von ähnlichem Umfange verschaffen würde. Frankenstein geht auch ans Werk,
aber da er von Gewissensbissen gefaßt wird, ob er es auch vor den Menschen
verantworten könne, wenn die Race sich fortpflanzte, so zerstört er sein schon halb
vollendetes Werk. Ans Zorn darüber wird das Ungeheuer zum vollständigen
Teufel, bringt Alles um, was ihm in den Weg kommt, zuletzt Frankenstein selbst,
und geht dann bekümmert und unter vielen Thränen mit Riesenschritten nach den:
Nordpol, um dort einsam zu sterben. -- Die Ausführung dieses wunderlichen
Problems zeugt von so viel Phantasie, daß sie zuweilen an Hoffmann und Arnim
erinnert, aber wie bei diesen.Dichtern fragt man vergebens nach dem Warum.




Gin Tag in Gibraltar.

Eifrig schnob der Dampfer von Algier auf Gibraltar zu. Noch waren es
nicht zwei Tage, seit er die alte Corsarenstadt verlassen , und schon tauchte der
Felsen von Calpe ans dem Meere auf. Es war ein wunderbarer schöner Abend,
als wir in die Meerenge von Gibraltar einliefen. In tiefblauer Farbe rollte
das mittelländische Meer, und blauer noch als das Meer war der Himmel, kein
kleines Wölkchen unterbrach die tiefgesättigte Färbung. Von der sinkenden Sonne
in eigenthümlichen, prächtigen Farben beleuchtet, traten, je weiter wir in die
Meerenge einliefen, immer näher die Küsten zweier Welttheile vor unsre Blicke.
Links die afrikanischen Gebirge, mit dem seltsam geformten Berge Abyla, bis zum
Vorgebirge Ceuta, rechts Spaniens Felsenküste, der Leuchtthurm von Tarifa und
das User bis zum Berge Calpe, der Gibraltar auf seinem Gipfel trägt. Die
seltene Klarheit der Luft und die scharfe Beleuchtung der untergehenden Sonne
ließ durch ein gutes Ferurohr alle Kuppen, Zacken und Buchten der beiden
Küsten vollkommen deutlich erspähen. Offenbar hat Hercules oder ein anderer


welche in England die Weiberemancipation predigte, und ans die wir noch zurück¬
kommen müssen, gehört in diese Reihe. Wir skizziren hier zum Schluß einen
philosophischen Roman von ihr, der im englischen Publicum nicht geringes Auf¬
sehen erregte, und da er anonym erschien, im Anfang den besten Autoren zuge¬
schrieben wurde. Er hieß: Frankenstein oder der neue Prometheus
(1817), und hatte zum Gegenstand die seltsamste Erfindung von der Welt. Franken¬
stein hat nämlich durch vielseitige Studien der alten Naturphilosophie die Kunst
gelernt, durch chemische Präparate Menschen hervorzubringen. Er producirt also
ein riesenhaftes Monstrum, welches ursprünglich nicht bösartig ist, aber wegen
seiner isolirten Stellung unter den übrigen Menschen zum Haß gegen das Ge¬
schlecht getrieben wird, und wahrhaft teuflische Greuelthaten begeht. Er verspricht
seinem Schöpfer und Meister, sich zu bessern, wenn dieser ihm eine Lebensgefährtin
von ähnlichem Umfange verschaffen würde. Frankenstein geht auch ans Werk,
aber da er von Gewissensbissen gefaßt wird, ob er es auch vor den Menschen
verantworten könne, wenn die Race sich fortpflanzte, so zerstört er sein schon halb
vollendetes Werk. Ans Zorn darüber wird das Ungeheuer zum vollständigen
Teufel, bringt Alles um, was ihm in den Weg kommt, zuletzt Frankenstein selbst,
und geht dann bekümmert und unter vielen Thränen mit Riesenschritten nach den:
Nordpol, um dort einsam zu sterben. — Die Ausführung dieses wunderlichen
Problems zeugt von so viel Phantasie, daß sie zuweilen an Hoffmann und Arnim
erinnert, aber wie bei diesen.Dichtern fragt man vergebens nach dem Warum.




Gin Tag in Gibraltar.

Eifrig schnob der Dampfer von Algier auf Gibraltar zu. Noch waren es
nicht zwei Tage, seit er die alte Corsarenstadt verlassen , und schon tauchte der
Felsen von Calpe ans dem Meere auf. Es war ein wunderbarer schöner Abend,
als wir in die Meerenge von Gibraltar einliefen. In tiefblauer Farbe rollte
das mittelländische Meer, und blauer noch als das Meer war der Himmel, kein
kleines Wölkchen unterbrach die tiefgesättigte Färbung. Von der sinkenden Sonne
in eigenthümlichen, prächtigen Farben beleuchtet, traten, je weiter wir in die
Meerenge einliefen, immer näher die Küsten zweier Welttheile vor unsre Blicke.
Links die afrikanischen Gebirge, mit dem seltsam geformten Berge Abyla, bis zum
Vorgebirge Ceuta, rechts Spaniens Felsenküste, der Leuchtthurm von Tarifa und
das User bis zum Berge Calpe, der Gibraltar auf seinem Gipfel trägt. Die
seltene Klarheit der Luft und die scharfe Beleuchtung der untergehenden Sonne
ließ durch ein gutes Ferurohr alle Kuppen, Zacken und Buchten der beiden
Küsten vollkommen deutlich erspähen. Offenbar hat Hercules oder ein anderer


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[0185] welche in England die Weiberemancipation predigte, und ans die wir noch zurück¬ kommen müssen, gehört in diese Reihe. Wir skizziren hier zum Schluß einen philosophischen Roman von ihr, der im englischen Publicum nicht geringes Auf¬ sehen erregte, und da er anonym erschien, im Anfang den besten Autoren zuge¬ schrieben wurde. Er hieß: Frankenstein oder der neue Prometheus (1817), und hatte zum Gegenstand die seltsamste Erfindung von der Welt. Franken¬ stein hat nämlich durch vielseitige Studien der alten Naturphilosophie die Kunst gelernt, durch chemische Präparate Menschen hervorzubringen. Er producirt also ein riesenhaftes Monstrum, welches ursprünglich nicht bösartig ist, aber wegen seiner isolirten Stellung unter den übrigen Menschen zum Haß gegen das Ge¬ schlecht getrieben wird, und wahrhaft teuflische Greuelthaten begeht. Er verspricht seinem Schöpfer und Meister, sich zu bessern, wenn dieser ihm eine Lebensgefährtin von ähnlichem Umfange verschaffen würde. Frankenstein geht auch ans Werk, aber da er von Gewissensbissen gefaßt wird, ob er es auch vor den Menschen verantworten könne, wenn die Race sich fortpflanzte, so zerstört er sein schon halb vollendetes Werk. Ans Zorn darüber wird das Ungeheuer zum vollständigen Teufel, bringt Alles um, was ihm in den Weg kommt, zuletzt Frankenstein selbst, und geht dann bekümmert und unter vielen Thränen mit Riesenschritten nach den: Nordpol, um dort einsam zu sterben. — Die Ausführung dieses wunderlichen Problems zeugt von so viel Phantasie, daß sie zuweilen an Hoffmann und Arnim erinnert, aber wie bei diesen.Dichtern fragt man vergebens nach dem Warum. Gin Tag in Gibraltar. Eifrig schnob der Dampfer von Algier auf Gibraltar zu. Noch waren es nicht zwei Tage, seit er die alte Corsarenstadt verlassen , und schon tauchte der Felsen von Calpe ans dem Meere auf. Es war ein wunderbarer schöner Abend, als wir in die Meerenge von Gibraltar einliefen. In tiefblauer Farbe rollte das mittelländische Meer, und blauer noch als das Meer war der Himmel, kein kleines Wölkchen unterbrach die tiefgesättigte Färbung. Von der sinkenden Sonne in eigenthümlichen, prächtigen Farben beleuchtet, traten, je weiter wir in die Meerenge einliefen, immer näher die Küsten zweier Welttheile vor unsre Blicke. Links die afrikanischen Gebirge, mit dem seltsam geformten Berge Abyla, bis zum Vorgebirge Ceuta, rechts Spaniens Felsenküste, der Leuchtthurm von Tarifa und das User bis zum Berge Calpe, der Gibraltar auf seinem Gipfel trägt. Die seltene Klarheit der Luft und die scharfe Beleuchtung der untergehenden Sonne ließ durch ein gutes Ferurohr alle Kuppen, Zacken und Buchten der beiden Küsten vollkommen deutlich erspähen. Offenbar hat Hercules oder ein anderer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/185>, abgerufen am 27.04.2024.