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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Aus dem Mur"Hener Standes""us.

Der Schiffer sieht den nahenden Sturm voraus, wenn auch dem ungeübten
Auge noch kein leise Anzeichen desselben vorhanden ist. Wer nur mit einiger
Gewohnheit parlamentarischer Auschauung in einen Kammersaal tritt, sagt euch
bestimmt noch vor dem Sitzungsbeginne, daß heut ein starker Debattenstnrm ihn
durchbrausen wird, sobald er einige Blicke in die sich anfüllenden Räume geworfen.
Im Münchener Ständehaus deutet keineswegs immer die Fülle der Galerien dar¬
auf hin; denn seit sind sie oft leer beim Wichtigsten, und dann wieder be¬
setzt beim Richtigste". Das hängt vom Wetter ab, oder vom Volksboden, nicht
gerade von der Sache. Aber am Präsidententisch erkennt man's sofort. Graf
Heguenberg durchsichtet mit absonderlicher Aufmerksamkeit die Massen der vor ihm
aufgeschichteten Papiere, Viceprästdeut I)e. Weiß steht uicht unter den plaudernden
Mitgliedern, sondern unterstützt jenen in den Vorbereitungsgeschästeu. Die Her¬
ren Secretaire suchen mit eifriger Zuvorkommenheit fortwährend anfragende Ab¬
geordnete zu bescheiden, sind aber trotzdem oftmals genöthigt, die Präsidenten
dnrch weiter beförderte Anfragen in ihrem Geschäft zu unterbrechen. Im Gegen¬
satze zu dieser Geschäftigkeit am Bureau durchschreitet ein langer, dürrer Mann
von steifer Haltung, steifer weißer Cravate, noch steiferen und gefährlich zuge¬
spitztem Halskragen, in dürren schwarzen Escarpins und langgeschwänzten schwar¬
zem Frack, mit einer Reihe bunter Dienstzeichen aus der linken Brust, die Sitz¬
reihen der Deputirten. Mit jener unnachahmlichen und heut erhöhten Grandezza,
welche ihm den Namen des ,,Ministers ohne Portefeuille" verlieh, vertheilt er
eine Menge Papiere an die Abgeordneten, oder legt sie aus die noch unbesetzten
Plätze, während unverkennbare Mißbilligung über die Säumigen die würdebewuß-
teu Züge überwölkt. Es ist der erste Pedell der Kammer. Und damit ihm wie¬
der der Gegensatz nicht fehle, bewegt sich flüchtigen Schrittes mit höflich gefälli¬
gem Lächeln und artigen Verbeugungen sein College, gerade in derselben Kleidung,
auch der Dienstzeicheu nicht entbehrend, unter den umherstehenden Deputirten,
um die angelangten Briefe an den Mann zu bringen. Auch die Livräebedieuten
an den Galeriethüren warten heut ihres Amtes mit einer besondern Wichtigkeit.
Sogar das mißliebige Häuflein der Journalisten bespricht sich in seinen Logen
eifriger als sonst. Plötzlich wendet sich ihr Blick, wie ans Kommando, sauer¬
süßlich lächelnd und sorgenvoll vor harter Arbeit, in die Mitte der Arena. Gu¬
stav Freiherr v. Lerchenfeld, königl. Staatsrath in außerordentlichem Dienst und
Gutsbesitzer von Heierbreuth, ist dort erschienen. Trotz einer Handbibliothek von
etwa einem halben Centner unter jedem Arm ist er leichten Soubrettenfchrittes
an seinem Platz angelangt. Die äußerst weit umgeschlagenen Hemdkragen, eine


Grenzboten. I. > Z
Aus dem Mur«Hener Standes«»us.

Der Schiffer sieht den nahenden Sturm voraus, wenn auch dem ungeübten
Auge noch kein leise Anzeichen desselben vorhanden ist. Wer nur mit einiger
Gewohnheit parlamentarischer Auschauung in einen Kammersaal tritt, sagt euch
bestimmt noch vor dem Sitzungsbeginne, daß heut ein starker Debattenstnrm ihn
durchbrausen wird, sobald er einige Blicke in die sich anfüllenden Räume geworfen.
Im Münchener Ständehaus deutet keineswegs immer die Fülle der Galerien dar¬
auf hin; denn seit sind sie oft leer beim Wichtigsten, und dann wieder be¬
setzt beim Richtigste«. Das hängt vom Wetter ab, oder vom Volksboden, nicht
gerade von der Sache. Aber am Präsidententisch erkennt man's sofort. Graf
Heguenberg durchsichtet mit absonderlicher Aufmerksamkeit die Massen der vor ihm
aufgeschichteten Papiere, Viceprästdeut I)e. Weiß steht uicht unter den plaudernden
Mitgliedern, sondern unterstützt jenen in den Vorbereitungsgeschästeu. Die Her¬
ren Secretaire suchen mit eifriger Zuvorkommenheit fortwährend anfragende Ab¬
geordnete zu bescheiden, sind aber trotzdem oftmals genöthigt, die Präsidenten
dnrch weiter beförderte Anfragen in ihrem Geschäft zu unterbrechen. Im Gegen¬
satze zu dieser Geschäftigkeit am Bureau durchschreitet ein langer, dürrer Mann
von steifer Haltung, steifer weißer Cravate, noch steiferen und gefährlich zuge¬
spitztem Halskragen, in dürren schwarzen Escarpins und langgeschwänzten schwar¬
zem Frack, mit einer Reihe bunter Dienstzeichen aus der linken Brust, die Sitz¬
reihen der Deputirten. Mit jener unnachahmlichen und heut erhöhten Grandezza,
welche ihm den Namen des ,,Ministers ohne Portefeuille" verlieh, vertheilt er
eine Menge Papiere an die Abgeordneten, oder legt sie aus die noch unbesetzten
Plätze, während unverkennbare Mißbilligung über die Säumigen die würdebewuß-
teu Züge überwölkt. Es ist der erste Pedell der Kammer. Und damit ihm wie¬
der der Gegensatz nicht fehle, bewegt sich flüchtigen Schrittes mit höflich gefälli¬
gem Lächeln und artigen Verbeugungen sein College, gerade in derselben Kleidung,
auch der Dienstzeicheu nicht entbehrend, unter den umherstehenden Deputirten,
um die angelangten Briefe an den Mann zu bringen. Auch die Livräebedieuten
an den Galeriethüren warten heut ihres Amtes mit einer besondern Wichtigkeit.
Sogar das mißliebige Häuflein der Journalisten bespricht sich in seinen Logen
eifriger als sonst. Plötzlich wendet sich ihr Blick, wie ans Kommando, sauer¬
süßlich lächelnd und sorgenvoll vor harter Arbeit, in die Mitte der Arena. Gu¬
stav Freiherr v. Lerchenfeld, königl. Staatsrath in außerordentlichem Dienst und
Gutsbesitzer von Heierbreuth, ist dort erschienen. Trotz einer Handbibliothek von
etwa einem halben Centner unter jedem Arm ist er leichten Soubrettenfchrittes
an seinem Platz angelangt. Die äußerst weit umgeschlagenen Hemdkragen, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/19>, abgerufen am 27.04.2024.